In Condet Balekambeng, einem Stadtteil im Süden Jakartas an den Ufern des Ciliwung-Flusses hat Abdul Kodir ein veritables Naturmuseum geschaffen, einen Garten, in dem er alle Arten von Pflanzen anbaut, die entlang des Ciliwung wachsen. Da sind Ramutan, eine stachelige, süße, rote Frucht, Durian, Salak (Schlangenhautfrucht), Jackfruit, Palmen, Orchideen oder Bananenblumen, die in der Form winziger Bananen erblühen.
Er versucht, seinen Nachbarn ein wenig Umweltbewusstsein beizubringen. Mit mageren Resultaten. Auf der einen Seite ist sein „Garten“ während der Regenzeit regelmäßig von den Fluten des Ciliwung bedroht und auf der anderen Seite von einem riesigen Müllberg, wo die Nachbarn und sogar Leute aus entfernteren Gegenden ihren Abfall deponieren.
Bedrohtes Naturschutzgebiet
1979 erklärte die Regierung Condet zu einem geschützten Gebiet. Um der auch weiterhin unkontrollierten Bautätigkeit, mit der Geschäftszentren und Wohngebiete sowie die illegale Ansiedlung Tausender das Gebiet zu überwuchern drohten, bestätigten die Behörden sieben Jahre später erneut den Sonderstatus der Region – umsonst. Die Uferböschungen des Ciliwung brechen in ausgedehnten Erdrutschen weg und erhöhen die stete Sedimentierung des Flusses, der nur noch als eine braune Brühe dahin fließt. Die Tier- und Pflanzenwelt ist zerstört. Echsen, Biber oder Affen, die ohnehin immer seltener gesehen werden, durchstöbern die Müllberge und Konservenbüchsen auf ihrer Suche nach Futter. Pythonschlangen dringen auf der Suche nach Beute bis in die Höfe und das Wohngebiet vor. Sogar Salak und Duku, so typisch für Condets Landwirtschaft, sind schon bedroht. „Obstplantagen werfen kaum noch ausreichend Erträge ab. Die Umweltzerstörungen machen den Anbau unproduktiv“, sagt Kodir.
Die meisten Menschen, die an den Ufern des Ciliwung – mit 117 Kilometern der längste der 13 Flüsse, die durch Jakarta fließen – leben, machen sich nicht einmal die Mühe, ihren Abfall wenigstens auf einem der unkontrollierten Müllberge, wie jenem, der auf Kodirs Garten herabschaut, abzuladen. Sie werfen ihre Abfälle direkt in den Fluss, in dessen verschlammten Wassern Plastikflaschen, Plastiktüten, Kleiderfetzen, Äste, Strauchwerk, Fäkalien, sogar Matratzen und Sessel treiben. Von hohen Banyanbäumen hängen Plastikplanen, Stofffetzen und zerrissene Bettlaken – Reste der Fluten vergangener Jahre. Kleine Zuckermühlen und Fabriken, die Tofu, Sambal oder Kecup herstellen, die scharfen und süßsauren Beigaben, die in keinem indonesischen Gericht fehlen dürfen, leiten ihre Abwasser ungeklärt direkt in den Fluss. Die Ufer des Ciliwung sind eine einzige, lange Müllkippe. Dennoch baden und waschen sich darin Zehntausende und putzen dort sogar ihre Zähne.
„Wenn es regnet, ist es besser“
Schon vor 60 Jahren beschrieb der holländische Paläontologe Ralph von Königswald, der in den dreißiger Jahren die ersten Knochenreste des Javamenschen gefunden hatte, Javas Flüsse als „bräunlich und schmutzig-trüb. Büffel lümmeln sich im Wasser, und diese Cloaca Maxima trägt all die Abfälle der zahlreichen Dörfer entlang seiner Ufer fort. Das hält aber niemanden davon ab, im Fluss zu baden oder in diesem Wasser seine Zähne zu putzen. Die Frauen stehen bis zu den Hüften im Wasser und waschen friedlich ihre Wäsche. Niemand hier hat je von Bazillen und ähnlich teuflischen Erfindungen des Westens gehört.“
Ibu Rusmi, eine 27jährige Mutter von Zwillingen, die aus Madura (eine Insel vor der Küste Ostjavas) nach Jakarta gezogen ist, vermisst „das Meer und unser Land. Die Luft ist schrecklich hier, und der Fluss stinkt. Wir werden von Moskitos massakriert“, klagt sie. „Das Beste am Fluss ist, dass wir unseren Abfall reinwerfen können. Wenn es regnet ist es besser, weil unsere Abfälle wie gebrauchte Pampers dann schneller fortgewaschen werden und nicht ganze Ewigkeiten hier herumhängen.“
„Wir werfen die Windeln nicht auf den Müllhaufen“, erklärt sie nach einer kurzen, nachdenklichen Pause, „weil die Regierung den Abfall verbrennt. Wenn aber die Windeln verbrannt werden, stößt den Babies, die sie getragen haben, Leid zu. Sie bekommen Hautausschläge oder Fieber. Das ist die Folge davon. Darum beharren wir darauf, das Zeug in den Fluss zu werfen. Das ist besser für die Kinder, es wird einfach weggewaschen.“
Die Fische verschwinden
Dennoch sah es in Condet Balekambeng nicht allzu schlecht aus. Studenten und Vertreter diverser NGOs, die Untersuchungen am Fluss durchführen und ihre Ergebnisse und Beobachtungen an die Behörden schicken, lassen sich von Kodir beraten. Kinder aus der Nachbarschaft kommen gerne in seinen Garten, entweder um zu spielen oder um aufzuräumen. Kodir lächelt ein paar 12-, 13-jährigen Buben zu, die gerade Altpapier in einem Eimer verbrennen. Wenn ihm auch die Erwachsenen nicht zuhören, so „wächst immerhin bei den Kindern langsam das Umweltbewusstsein“, sagt er. „Sie beginnen schon, ihre Eltern zu erziehen. ‚Mama, lass‘ das doch nicht einfach fallen! Wirf es in den Mülleimer!‘“
Doch dann versank Kodirs Garten in den Fluten des Ciliwung. Nicht nur die Pflanzen und der wertvolle Boden wurden fortgewaschen, auch zahlreiche der schäbigen Hütten aus den illegalen Siedlungen entlang der Flussufer. In Condet rissen die Fluten sogar eine Stahlbrücke in ihre Strudel. Und all dieser Müll türmt sich seither wie ein Damm in dem Fluss, der immer noch steigt. Der Damm, inzwischen von den Einheimischen mit vom Wasser zerstörtem Mobiliar und anderen Abfällen verstärkt, ersetzt heute die Brücke – bis er bricht und flussabwärts neue Überflutungen verursachen wird.
Nun gingen die Menschen nicht mehr, Aale fischen, die im Fluss ohnehin nicht mehr zu finden sind, höchstens in einigen nahegelegenen Reisfeldern, die mit dem Wasser des Ciliwung bewässert werden. Auch nicht Berat, ein bis zu ein Meter langer und zehn Pfund schwerer Fisch, der ebenfalls längst verschwunden ist. Höchstens im Oberlauf des Ciliwung bei Bogor, wo das Wasser noch etwas sauberer ist, sind noch vereinzelte Exemplare dieses Süßwasserfisches zu finden. Jetzt fischten die Leute nach Wertvollerem, nach Handtaschen, Geldbörsen, Schachteln, Platikbehältern, nach ganzen Schubladen, die von den Fluten flussabwärts bis Condet geschwemmt wurden. Die Armen am Unterlauf des Flusses suchten nach verlorenen Wertgegenständen der Armen vom Oberlauf des Flusses.
Die Schuld der Regierung
Als im Februar nach fünf Tagen strömenden Regens, der die Wasser des Ciliwung um drei bis vier Meter ansteigen ließ und 70 Prozent der 15-Millionen-Metroploe Jakarta unter Wasser setzte, das Hochwasser endlich zurückging, zählten die Behörden 54 Tote durch Ertrinken oder Stromschlag. 200 000 hatten mit ihren Häusern und Hütten ihren gesamten Besitz verloren, 340 000 weitere waren den Fluten in höher gelegene Gebiete entkommen und kehrten langsam in ihre zerstörten oder von Schlamm überfluteten Häuser zurück. Die wirtschaftlichen Schäden wurden auf eine halbe bis eine Milliarde Euro geschätzt. Und wie jedes Jahr nach den regelmäßigen Überflutungen während der Regenzeit so wurden auch nun wieder die gleichen Fragen gestellt: Warum? Wer war Schuld an der Katastrophe?
Viele in Indonesien, mit 240 Millionen Einwohnern der größte moslemische Staat, akzeptieren das Unglück als von Gott gesandt, entweder als Prüfung der Liebe zu Gott oder als Strafe, weil die Gläubigen vom rechten Weg abgewichen seien. Doch Regierungs- und Behördenvertreter fordern diese fatalistische Haltung heraus. Sie führen die Überschwemmungen auf die von Abfällen und Unrat verstopften Flüsse, Kanäle und Gullies zurück, auf die Entwaldung, auf Irrtümer oder Fehler in der Stadtentwicklungsplanung und überdurchschnittlich starke Regenfälle.
Internationale Experten geben der Regierung die Schuld. Das Land habe kaum etwas getan, solche Katastrophen zu verhindern. Es habe keine Dämme gebaut, das Abwassersystem nicht ausreichend ausgebaut. „Diese relativ billigen Lösungen wurden nicht umgesetzt, obwohl das Risiko von Überschwemmungen in Jakarta und Bogor schon lange bekannt ist“, sagte Prof. Debarati Guha-Sapir, der die Folgen solcher Katastrophen weltweit untersucht hat.
Zubetonierte Ufer
Das Gegenteil war der Fall. Der Ciliwung, einst bis zu 160 Meter breit, ist heute eingezwängt in ein gerade zehn Meter breites Flussbett. „Die Flussufer sind zunehmend übervölkert, so dass sie ihre Fähigkeit verloren haben, ihre natürlichen Funktionen zu erfüllen – das Wasser zu absorbieren“, gibt sogar I Gede Nyoman Soewandi zu, der Chef der für die Wasserressourcen zuständigen Abteilung in Jakartas Behörde für öffentliche Arbeiten. Wo früher Tausende Hektar bewässerter Reisfelder, kleine Seen und die natürliche Pflanzenwelt waren – natürliche Wasserauffanggebiete – sind heute zubetonierte Wohngebiete. In Jakarta sind die Ufer des Ciliwung von Hunderten legaler und illegaler Siedlungen besetzt. Und im höher und kühler gelegenen Puncak und Bogor, wo der Ciliwung entspringt, säumen 2000 Villen mit Tennisplätzen und Golfanlagen den Fluss.
Jakarta’s Kanäle und Abwassersysteme wurden einst von den Kolonialherren, den Holländern, gebaut. „Es war 1733, dass mit dem Bau der Kanäle um Batavia herum begonnen wurde, durch die das Wasser von der Stadt umgeleitet wurde“, schrieb der britische Reisende Joseph John Stockdale 1811. Doch seither stieg die Einwohnerzahl von damals weniger als 100 000 auf über 15 Millionen. Die Stadt dehnt sich heute 665 Quadratkilometer über die Alluvialebene der Nordküste Westjavas aus. Schon 1811 schrieb Stockdale von den „stehenden Gewässern in den Kanälen“ und von der Notwendigkeit, eine „ununterbrochene und ausreichend schnelle Strömung sicherzustellen, um all den Schmutz fortzutragen, mit dem sie immer gefüllt sind.“
Eines der schlimmsten Ergebnisse der ungezügelten Bautätigkeit, der Entwaldung und Nachlässigkeiten: Jakartas Fähigkeit, Wasser zu absorbieren, ist seit den 70er Jahren von 40 auf nur noch zehn Prozent zurückgegangen.
Keine Müllbeseitigung
In Jakartas Außenbezirken sind an einigen wenigen Uferteilen des Ciliwung noch ein paar kleine Wälder zu finden, wie etwa der Srengseng Sawah Wald, der an Depok und den Campus der Universität von Indonesien im Süden der Stadt grenzt, und immer noch eine verblüffende Artenvielfalt aufweist. Dort sind zahlreiche Sorten von Jackfruit, Ketapang, Durian oder essbare Farne zu finden. Immer noch hallt der Gesang der Tropischen Nachtigall oder honigsaugender Vögel durch den natürlichen Bambuswald mit seinen mindestens 15 Bambusarten am Flussufer. Hier sind noch einige Zibetkatzen, Biber und Schildkröten zu finden. „Die Einheimischen kümmern sich um den Wald, weil sie von seinen Pflanzen profitieren können“, erklärt Stadtrat Sarman.
Die Regierung ist dankbar für das Engagement der Ansässigen. „Wir können es uns nicht leisten, den Wald wieder aufzuforsten“, gesteht ein Beamter des Forstministerium. „Wir haben keine Mittel.“
Aber sogar hier türmen sich Müllberge. „Die Müllbeseitigung der Verwaltung lässt sich hier kaum einmal blicken“, sagt Sarman. „Darum laden die Bewohner diverser illegaler Siedlungen hier ihren Abfall ab.“ Die Stadt verfügt nur über 600 Müllwagen, viel zu wenig um wenigstens jene täglich anfallenden 25 000 Kubikmeter Abfall zu beseitigen, die nicht auf illegalen Müllhalden entlang der Flussufer landen oder die Kanäle und Abwassersysteme verstopfen.
„Die Stadtverwaltung hat den Plan, zusätzliche Müllfahrzeuge zu beschaffen, verschoben, weil sich die Stadträte die dafür vorgesehenen Mittel aus dem Budget unter den Nagel gerissen haben, um 55 neue Limousinen und fünf neue Busse für den Eigengebrauch zu kaufen“, wetterte die Jakarta Post. Jedes Jahr nach den üblichen Überflutungen der Regenzeit versprechen die Regierungsbeamten Maßnahmen, Verbesserungen und für die härtere Durchsetzung der bestehenden Gesetze zu sorgen. Doch sobald die Wasser ablaufen, sind alle guten Vorsätze und Pläne schnell wieder vergessen.
Giftige Gewässer
Das Resultat: Der Ciliwung wie auch die anderen Flüsse in der Hauptstadt sind extrem verschmutzt. Blei, Quecksilber, Fäkalien, alle Arten von Chemikalien wurden nachgewiesen. Täglich strömen rund 300 000 Kubikmeter Abwässer ungefiltert in Jakartas Wasserstraßen. „Der Ciliwung liegt außerhalb jeder Qualifizierung“, räumte ein Beamter des Umweltministeriums ein. „Das heißt, seine Wasser können nicht in Trinkwasser verarbeitet werden, nicht einmal in Badewasser oder für die Bewässerung von Reisfeldern.“ Zwölf Prozent der Bevölkerung Jakartas jedoch verfügen weder über Leitungswasser noch haben sie Zugang zu einem Brunnen – sie leben von den Wassern Ciliwung und der anderen Flüsse und Kanäle in der Stadt. In ihnen baden sie und waschen sie sich, dort holen sie ihr Trinkwasser und damit kochen sie.
Niemanden verwundert da, dass 20 Prozent aller Todesfälle unter Kindern unter fünf Jahren die Folge von Diarrhoe und anderen Magen-Darm-Erkrankungen sind. Der Quecksilbergehalt in den Fischen aus der Bucht von Jakarta liegt weit über den Richtlinien, welche die Weltgesundheitsorganisation für Nahrungsmittel ausgegeben hat. „Ich mag Fisch, aber ich esse nie mehr als einmal pro Woche Fisch“, warnte ein Hochschuldozent für Biologie. „Sonst nähme ich zuviel Quecksilber auf.“
Gescheiterte Projekte
Und die laut angekündigte „Sauberer Fluss-Kampagne endete als ein totaler Fehlschlag“, berichteten Indonesiens Zeitungen. Abgesehen von zwei Obdachlosen, die auf der Veranda Siesta halten, und Husein, einem Zigarettenverkäufer, der für das Büro verantwortlich ist, liegt das zweistöckige Gebäude, in dem die Kampagne untergebracht ist, verlassen da. Durch das Dach tropft Regenwasser, das Telefon funktioniert nicht.
1989 ins Leben gerufen, finanziert von Japan und unterstützt von 64 Organisationen einschließlich der Fakultät für Umweltschutz der Universität von Indonesien und etlicher NGOs, war das Projekt schon nach zwei Jahren bankrott. „Die NGOs stellten keine Mittel mehr zur Verfügung, und die Stadt gibt eh nichts dafür“, erklärt der Koordinator des Projektes. „Da wir kein Geld haben, bewegt sich nichts mehr.“
18 Jahre brauchte Singapur, um die Abfälle und all den chemischen Schmutz aus seinen Gewässern zu entfernen. Nur mit rigorosen Maßnahmen und schmerzhaft hohen Geldstrafen bei Verstößen gegen die Vorschriften, so glaubt Staatsgründer Lee Kwan Yew heute noch, konnten Malaria, Gelbfieber oder Typhus ausgemerzt und die Eigenversorgung mit Wasser wenigstens zu 30 Prozent erreicht werden. Wie üblich haben Jakartas Behörden nach den Überschwemmungen vom Februar ebenfalls wieder „energische Maßnahmen“ angekündigt.