„Wenn Millionen in Afrika hungern, werden wir die Stabilität Europas nicht aufrechterhalten können“, fürchtet Bundeskanzlerin Angela Merkel: „Das Wohl Afrikas liegt im deutschen Interesse.“ Wenn es Afrika gut geht, so die Logik europäischer Politiker, dann bleiben die Afrikaner auch auf ihrem Kontinent und fliehen nicht auf den gelobten Kontinent Europa.
Eine neue DDR
Bislang geht es der überwiegenden Mehrheit der 1,2 Milliarden Afrikaner nicht gut. Weniger als die Hälfte von ihnen hat Zugang zu Elektrizität. Nach Angaben der Weltbank vegetieren in den 48 Staaten von Subsahara-Afrika rund vierzig Prozent der Menschen in absoluter Armut, leben also von weniger als 1,25 Dollar am Tag. Nun will Europa die Regierungen Afrikas dafür bezahlen, dass sie eine Mauer zwischen Europa und Afrika errichten, so dass Hungerleider nicht mehr rauskommen und bleiben, wo sie sind. Afrika soll eine Art neuer DDR werden.
Afrika soll Entwicklungshilfe bekommen. Dass dies die Situation ändert oder sogar verbessert, bezweifelte der Spiegel in einem Essay unter dem Titel „Blühende Landschaften“. Schließlich sind „seit dem Ende der Kolonialzeit mehr als 500 Milliarden Dollar Entwicklungshilfe in Afrika versickert.“
Rohstoffreiches Afrika
Die Spiegel-Autorin verschwieg jedoch, dass Afrika in all diesen Jahren der Welt weit mehr zurückgab, als es erhielt. Aus Afrika kommen nicht nur unterernährte sogenannte Wirtschaftsflüchtlinge in kaum hochseetüchtigen Kähnen und Booten, sondern auch grosse Mengen Öl und wertvolle Mineralien in riesigen, hochseesicheren Tankern und Containerfrachtern. Allein „im Jahr 2010 betrug der Wert der Brennstoff- und Mineralexporte aus Afrika 333 Milliarden Dollar, mehr als das Siebenfache der Wirtschaftshilfe, die in den Kontinent floss“, berichtet der ehemalige Afrika-Korrespondent der „Financial Times“ Tom Burgis in seinem Buch „Der Fluch des Reichtums“.
Afrikas Bevölkerung macht nur 13 Prozent der Weltbevölkerung aus. In Afrikas Böden lagern aber 15 Prozent der Rohölvorräte, 40 Prozent des Goldes und 80 Prozent des Platins des Planeten. Hier befinden sich die reichsten Diamantenminen, bedeutende Vorräte an Uran, Kupfer, Eisenerz, Bauxit und seltenen Erden. Berechnungen zufolge beherbergt Afrika etwa ein Drittel aller Kohlenstoff- und Mineralressourcen der Welt.
Das Risiko der Rohstoffe
Warum die Armut ausgerechnet in rohstoffreichen Staaten wie Sambia oder dem Kongo bei 75 respektive 88 Prozent liegt, versuchen Ökonomen seit zwanzig Jahren herauszufinden. „Paradoxerweise“, so schrieben Macartan Humpreys, Jeffrey Sachs und Joseph Stieglitz von der New Yorker Columbia University 2007, „ist es allzu oft so, dass solche Bodenschätze, ungeachtet der durch Entdeckung und Förderung von Öl und anderen Rohstoffen erzeugten Aussichten auf Reichtum und neue Möglichkeiten, eine ausgeglichene und stabile Entwicklung eher behindern als fördern.“
Während Dollars für den Kauf von Rohstoffen ins Land strömen, wird der Rest der Wirtschaft deformiert. Ausländische Unternehmen bezahlen, gemessen an den späteren Erträgen, lächerlich wenig für die Lizenz zur Förderung von Öl oder dem Schürfen nach Erzen. Dieses, „wirtschaftliche Rente“ genannte, Einkommen macht die Regierenden unabhängig von Steuereinkünften, sie ist eine Goldgrube für sie. Solche rohstofffinanzierte Regime, die sich ihrer Bevölkerung nicht verpflichtet fühlen, tendieren dazu, „das Nationaleinkommen für Dinge auszugeben, die ihren eigenen Interessen dienen“, so Burgis in seinem Buch. „Die Bildungsausgaben sinken, während die Militärbudgets steigen.“
Schlösser, Jachten, Privatjets
In Sambia etwa, einem der wichtigsten Kupferproduzenten der Welt, zahlten Minenunternehmen niedrigere Steuersätze als die halbe Million Sambier, die in dieser Industrie beschäftigt sind. 2011 bezog der Staat nur 2,4 Prozent der Exporterlöse von zehn Milliarden Dollar aus dem Kupferabbau. Im benachbarten Kongo lag die Zahl mit 2,5 Prozent nur hauchdünn darüber. Und die amerikanische Newmont Mining Corporation bezahlte in Ghana für das Gold, das sie dort schürfte, bescheidene drei Prozent Lizenzgebühren.
Tatsächlich liegen die staatlichen Einnahmen aus dem Rohstoffexport in Afrika nur bei vier bis sieben Prozent der Erlöse, die dann meist in Form von Schlössern, Villen, teuren Autos, Jachten, Privatjets und Barzahlungen auf Bankkonten in entlegenen Steueroasen an korrupte Despoten und deren Clan gehen. „Verglichen mit den 45 bis 65 Prozent, die laut Schätzungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) die effektive weltweite Durchschnittsrate im Bergbau sind, ist das ein kümmerlicher Betrag“, urteilt Burgis.
Transnationale Eliten
Seit Ankunft des weissen Mannes wird Afrika geplündert. Zunächst waren es Gold und Sklaven und Palmöl. Ab Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts begann der Ölboom in Nigeria. Damit begann auch dieser so genannte Ressourcenfluch. „Von Russlands ölfinanzierten Oligarchen bis zu den Konquistadoren, die vor Jahrhunderten Lateinamerikas Silber und Gold plünderten, haben Rohstoffrenten immer zur Konzentration von Reichtum und Macht in den Händen weniger geführt“, beobachtet Burgis:
„Wo einst gewaltsam aufgezwungene Verträge Afrikaner um ihr Land, ihr Gold, ihre Diamanten und sogar um grosse Teile ihrer Angehörigen brachten, zwingen heute Heerscharen von Anwälten der Öl- und Bergbaugesellschaften mit Hunderten Milliarden Dollar Jahresumsatz afrikanischen Regierungen groteske Bedingungen auf und nutzen dann Steuerlöcher, um mittellose Länder um ihre Einnahmen zu betrügen. Anstelle der alten Imperien sind verborgene Netze von multinationalen Unternehmen, Zwischenhändlern und afrikanischen Potentaten getreten. Diese Netze verschmelzen staatliche und unternehmerische Macht. Sie fühlen sich keiner Nation verpflichtet, sondern gehören zu den transnationalen Eliten, die mit der Ära der Globalisierung aufgeblüht sind.“
Der rote Faden
Übervorteilte afrikanische Regierungen suchen Einkünfte, die ihnen als Folge der ungünstigen Lizenzverträge entgangen sind, durch Auslandshilfe wieder aufzubessern. Das bedeutet wiederum, dass die privaten Öl- und Bergbauunternehmen auch noch mit Steuergeldern aus den Geberländern subventioniert werden.
„Der Fluch des Reichtums“ ist ein erschütterndes, aufrüttelndes Buch, das sowohl den allgemeinen Leser als auch den interessierten Experten anspricht und eine breite Leserschaft verdient. In einer „Vorbemerkung des Autors“ schreibt Tom Burgis, der viele Jahre für die Financial Times aus Afrika berichtete, von seiner eigenen Erschütterung über die Zustände und das Leid, das er dort vorfand, die schliesslich sogar eine „schwerwiegende Depression“ bei ihm ausgelöst hatte. „Der Fluch des Reichtums“ ist ein Notizbuch über die Plünderung eines Kontinents durch habgierige Präsidenten und Warlords und vielleicht sogar noch habgierigere multinationale Firmen, ihre Bankiers, Berater und Kunden im entfernten New York, London, Zürich oder Hongkong.
„Ich begann, den roten Faden zu sehen, der ein Massaker in einem abgelegenen afrikanischen Dorf mit den Freuden und Bequemlichkeiten verbindet, die wir in den reicheren Teilen der Welt geniessen“, schreibt er. Indem er diese Verbindung aufzeigt, hat er den Ärmsten in Afrika einen großen Dienst erwiesen.
Tom Burgis, „Der Fluch des Reichtums“, Westend, Frankfurt/Main, 2016