Dank den Naturwissenschaften halten wir einen Blitzschlag nicht mehr für ein Zeichen erzürnter Götter. Dank der Aufklärung glauben wir nicht mehr, dass Schamanen uns den unerforschlichen Ratschlag überirdischer Mächte mit geheimnisvollen Ritualen entschlüsseln und übersetzen müssen. Die nur von ihren Betreibern für eine exakte Wissenschaft gehaltene Wirtschaftskunde funktioniert dagegen bis heute auf mittelalterlichem Niveau.
Banale Denkschablonen
Ja oder Nein, ein oder aus. Wirtschaftliche und finanzielle Zusammenhänge werden immer komplexer, interaktiver und multifaktorieller. Gleichzeitig werden die Analysemethoden immer banaler. Griechenland hat kein Problem. Dann hat Griechenland plötzlich ein Problem. Spanien hat kein Problem. Dann hat Spanien plötzlich ein Problem. Der Euro ist stabil. Dann ist der Euro plötzlich nicht mehr stabil. Das Denken vieler Ökonomen, von Politikern und Journalisten ganz zu schweigen, gleicht einem Ventilator mit Wackelkontakt. Manchmal Windstille, dann plötzlich warme Luft. Die Untergrenze von 1.20 zum Euro ist eine tolle Sache. Die Untergrenze zum Euro ist eine fatale Sache. Ja noch schöner: Darüber soll gefälligst nicht einmal diskutiert werden, jedes falsche Wort hätte fürchterliche Auswirkungen. Illustrieren wir das Elend der Debatte an wenigen Beispielen.
Ganz unten
Fangen wir ganz unten an - beim «Volkswirtschafts-Experten der „Blick“-Gruppe» Werner Vontobel. Der behauptet, den im Milliardenpack von der SNB angekauften Euros stünden nur «ein paar tausend Franken Kosten für das Drucken von Franken gegenüber». Sänke der Kurs des Euro auf 1 zu 1 zum Franken, würden «Spekulanten ihre lang gehorteten Franken wie überreifes Obst auf den Markt werfen» und die «Coolmänner von der SNB würden erst bei einem Kurs von über 1.20 pro Euro zugreifen – und so erst recht Kasse machen». Das ist so gaga und uncool, dass ich Wert auf die Feststellung lege, dass ich diese Zitate nicht erfunden habe.
Ein wenig höher
Steigern wir das Niveau, aber nur unwesentlich, und kommen zu Martin Spieler, früher immerhin mal Chefredaktor der «Handelszeitung» und inzwischen in gleicher Position bei der «SonntagsZeitung». Der will, dass alle Kritiker der Verteidigung der Untergrenze den Mund halten: «Niemand würde es einfallen, mitten in einer Herzoperation lauthals die Arbeit des Chirurgenteams in Frage zu stellen.» Um im schiefen Bild zu bleiben, wenn das Chirurgenteam gerade die Aorta durchtrennt und der Patient in seinem Blut schwimmt, ist es allerdings geboten, lauthals zu protestieren. Dass «Spekulanten» von kritischen Einwürfen eines Oswald Grübel und immerhin des Gewerbeverbandschefs Bigler dazu «ermuntert» werden sollten, «die Entschlossenheit der SNB zum dümmsten Zeitpunkt zu testen», ist so falsch, dass nicht einmal das Gegenteil richtig wäre. Denn nicht die haben den «dümmsten Zeitpunkt» gesetzt, sondern der zerfallende Euro selbst.
Noch ein wenig höher
Aber wenigstens vom gelifteten Zentralorgan der kompetenten Wirtschaftsberichterstattung könnte man ein kluges Wort erwarten. Leider gräbt die «NZZ am Sonntag» die Studie eines Genfer Professors aus, dass man bei einem Absinken des Kurses zum Euro auf 1 zu 1 bei Schweizer Auslandguthaben in Euro «netto mit einem Wertverlust von 106,6 Milliarden Franken rechnen müsste». Ja Wahnsinn, ohne Professorentitel käme man ja nie auf eine dermassen banale Erkenntnis. Immerhin erinnert sich die zitierte Koryphäe daran, dass der Franken scheint’s auch schon mal auf über 1.50 zum Euro stand. Das ergab dann Verluste bis zu 1.20 von 350 Milliarden Franken. Komisch nur: Daran ist die Schweizer Wirtschaft aber offensichtlich nicht zugrunde gegangen. Ganz abgesehen davon, dass sich Direktinvestitionen mit dem Aufkauf von Euro durch die SNB ungefähr so gut wie Äpfel mit Birnen vergleichen lassen.
Tiefer geht’s nicht
Wir haben immerhin die drei meinungsbildenden Deutschschweizer Presseorgane mit aktuellen Aussagen zitiert. Wenn von deren geballtem Sachverstand die Zukunft des Franken abhängen würde, könnten wir gleich anfangen, das Klo mit Schweizer Banknoten zu tapezieren. Laut Vontobel wäre das wohl noch billiger, als einen Wandbelag zu kaufen. Laut Spieler wäre das wenigstens eine Tätigkeit, die die SNB nicht bei der Arbeit stört. Und laut Daniel Hug von der «NZZ am Sonntag» könnten wir auch die eine oder andere Euronote verwenden. Oh Herr, lass Hirn vom Himmel regnen!