Ein Versuch, diese berühmte antike Tragödie linear zu erzählen, muss scheitern. Deshalb vorerst nur wenige Fakten.
Von den rund 90 Werken des 525 v. Chr. in Eleusis geborenen Tragödiendichters Aischylos haben sich nur sieben erhalten. Darunter ist „Orestie“ eines seiner bis heute am regelmässigsten aufgeführten Dramen.
Drei Suiten zur Orestie von Aischylos
Der Komponist und Architekt Yannis Xenakis,1922 in Rumänien geborener Grieche, der 1965 die französische Staatsbürgerschaft erhielt, schrieb auf die Texte des Aischylos drei Werke, welche in Basel nun als Suiten zur Orestie zusammengefasst werden: „Oresteia“, „Kassandra“ und „La Déesse Athéna“.
Der spanische, durch aufsehenerregende Inszenierungen bekannt gewordene Regisseur Calixto Bieito, Jahrgang 1963, wagte sich, unterstützt vom französischen Dirigenten und Spezialisten für zeitgenössische Musik Franck Ollu, Jahrgang 1960, an eine Zusammenfassung dieser drei Musikwerke mit dem Aischylos-Text als spartenübergreifende Produktion – ein Riesen-Unterfangen.
Der Atridenfluch
Der Fluch der Atriden beruht auf einer Gräueltat, welche Atreus von Mykene, der Vater des späteren Königs Agamemnon, im Kampf um die Herrschaft beging: Er liess zwei Söhne seines Bruders abschlachten und setzte sie diesem als Fleischspeise vor. Der daraus erwachsene Fluch besagte, dass den Atriden bis zur fünften Generation ein Mörder aus dem eigenen Geschlecht erwachsen würde – bis zu dessen Auslöschung.
Die Orestie behandelt den Schlussakt dieser erbarmungslosen Kette von Gewalt und Schuld, beginnend mit der Opferung Iphigenies, Tochter des Agamemnons und der Klytaimestra, um von den Göttern gute Winde für den Kriegszug gegen Troja zu erkaufen. Heimgekehrt, wird Agamemnon, die eindringliche Warnung Kassandras in den Wind schlagend, von seiner Frau Klytaimestra als Rachetat für die Opferung der Tochter erschlagen, was wiederum zum Muttermord Orests führt, den seine Schwester Elektra dazu aufstachelt. Der ursprünglich unschuldige Muttermörder Orest wird damit den Rachegöttinnen ausgeliefert.
Die Komposition
Düster also und unheildrohend sind auch die musikalischen Gebärden von Yannis Xenakis: Einem 10-köpfigen Instrumentalensemble (Basel Sinfonietta) stehen drei grosse und im musikalischen Geschehen sehr wichtige Schlagwerke gegenüber. Als einzige Singstimme agiert ein Bariton mit Psalterium, der meist im Falsett zu singen hat – eine höchst anspruchsvolle und umfangreiche Partie, welche vom deutschen Bariton Holger Falk ungemein eindrücklich umgesetzt wird.
Ansonsten steht den grossen Sprechrollen der Klytaimestra, der Elektra, Agamemnons, Aigisths und Orestes ein grosser Sprechchor des kommentierenden Volkes (Theaterchor Basel) als durchgängig tragendes Element gegenüber. Dies entspricht dem Usus der antiken Tragödie, wenn auch im alten Griechenland ausschliesslich männliche Schauspieler agierten.
Xenakis verzichtet jedoch neben den Männerstimmen weder auf Frauen- noch auf Kinderstimmen, auch nicht in der Besetzung der – sich in Basel mit durchwegs hoher Sprachkultur auszeichnenden – Solo-Sprechpartien. Lediglich der Bariton verkörpert mit seinem Wechsel von der Baritonstimme zum hohen Falsett und seinem wehklagenden Geheul die beiden Frauengestalten Kassandra und Athene. Auf seine Schreie antwortet der Chor in bisweilen fast unerträglicher Lautstärke.
Bestürzende Bilder
Calixto Bieito ist ja für seine kompromisslose Haltung gegenüber Gewalt und Unrecht bekannt und reizt auch hier im erbarmungslos gezeigten Königs- und vor allem Muttermord die Nervenstärke des Publikums aus. Ansonsten jedoch lässt er in einem neutralen, nur von Videoprojektionen zum Thema Iphigenie (Video: Sarah Derendinger) belebten Bühnenraum die in moderner Kleidung agierenden Schauspieler sich ganz dem gewaltigen Text widmen. Die neue deutsche Übersetzung von Kurt Steinmann bringt uns Heutigen immer wieder bestürzende Bilder vor Augen, mit denen wir uns selbst überlassen bleiben:
„... ihr gehört dahin, wo Köpfen, Blenden, Menschenschlachten / als Strafen man verhängt, wo man durch Kastration / der Knaben Manneskraft zerstört, wo es Verstümmelung gibt / und Steinigung und wo laut klagend stöhnen / die durch das Rückgrat Aufgespiessten.“ (Orestes)
Wie nahe wir der Antike doch immer noch sind ...
Der Aufführungsbesuch wird vom Theater Basel erst ab 14 Jahren empfohlen.