Teil 2: Der brillante Populist
„Ja, die Ratten sind leichter loszubringen als die Zigeuner.“ „Marine Le Pen ist mein Vorbild, sie ist für die Politik wegweisend.“ „Die Beamten in Brüssel sind Idioten.“ „Der Euro hat schlimmere Massaker angerichtet als die Panzer der Nazis.“
Keiner beherrscht die Provokation besser als er. Er zeigt sich mit einem T-Shirt, auf dem Wladimir Putin abgebildet ist. Er verspottet die Partisanen des Zweiten Weltkriegs und brüskiert Holocaust-Überlebende. Er trägt Windjacken mit der Aufschrift „Polizia“. In der Mailänder Metro fordert er spezielle Wagen und Sitze für Einheimische.
Eine der „wichtigsten Persönlichkeiten Europas“
„Bald werden wir gemeinsam mit Viktor Orbán regieren“, sagt Salvini vor den Europa-Wahlen. „Wir werden Europa verändern.“
Steve Bannon, der einstige Chefstratege von Trump, verehrt Salvini. Er könne zu einer der „wichtigsten Persönlichkeiten Europas“ werden, sagt Bannon.
Sicher ist: Salvini ist heute eine der gefürchtetsten Persönlichkeiten Europas. Die Möglichkeit, dass er bald an die Macht gelangt, wird von Römer Beobachtern als „total real“ eingeschätzt.
Wichtige Wahl in der Emilia-Romagna
Sollte Salvinis Lega am kommenden 26. Januar die Regionalwahlen in der „roten“ Emilia-Romagna gewinnen, wäre die Macht für ihn zum Greifen nahe. Doch selbst wenn seine Kandidatin nicht Regionalpräsidentin wird, könnte die nationale Regierung in Rom bald stürzen. Sie ist zerstritten. Ministerpräsident Giuseppe Conte hält die beiden Koalitionspartner, die Sozialdemokraten und die Cinque Stelle nur mühsam zusammen.
Müssen wir uns also bald auf eine rechtspopulistische, teils rassistische italienische Regierung einstellen?
Der „Kommunist"
Dass Salvini heute vielen in Europa Angst macht, haben auch die meisten seiner früheren Parteigenossen nicht erwartet.
Als Studienabbrecher zerreisst er keine Stricke. Wie so mancher Rechtspopulist beginnt er als Linker. Er lümmelt sich durch das „Centro Sociale Leoncavallo“, ein linksalternatives Mailänder Zentrum, in dem teils anarchistische Ideen zelebriert wurden. Dort findet er lange seine Heimat. Seinen Kollegen fällt er nicht besonders auf. Mit 17 Jahren tritt er der „Lega Lombarda“ bei. 1996 gründet er das „Movimento Comunista Federalista Padano“, also die „Föderalistische padanische kommunistische Bewegung“. Ihr Logo enthält Hammer und Sichel.
Bald gehört Salvini zu den engen Mitstreitern von Umberto Bossi, dem charismatischen Führer der Lega Nord. Sie kämpfen für die Abspaltung Norditaliens vom übrigen Italien – oder zumindest für eine ausgeprägte Autonomie.
Mit 24 Jahren schafft es Salvini in den Gemeinderat (Legislative) von Mailand. Gleichzeitig gehört er dem „Padanischen Parlament“ an, einem Parallelparlament, das zwar keine legalen Befugnisse hat – aber einen symbolischen Wert. Als „Padanien“ bezeichnet die Lega das Gebiet rechts und links des Flusses Po: also die gesamte Po-Ebene. Po heisst auf Lateinisch „padanus“.
Bühne frei für Salvini
Jetzt wird Salvini Journalist bei der Lega-Parteizeitung „La Padania“ und dem Lega-Radiosender „La Padania Libero“. Die Zeitung ging 2014 ein; den Radiosender gibt es noch immer, allerdings nur als Web-Radio.
2012 wird Lega-Chef Umberto Bossi in einen Finanzskandal verwickelt. Zudem erleidet er einen Schlaganfall und einen Herzinfarkt. Jetzt ist die Bühne frei für Matteo Salvini.
Neues Feindbild
Als Parteichef gelingt es ihm schnell, aus der Lega Nord eine gesamtitalienische Partei zu formen: Die „Lega Salvini“.
Das Feindbild wechselt er aus. Früher waren es die schmarotzenden Süditaliener, die für alles Übel im Staat verantwortlich waren. Jetzt sind es vor allem die Migranten, die Moslems und die EU. Die Flüchtlingswelle von 2015 bringt ihm einen spektakulären Popularitätsschub.
Es gelingt ihm, die Migrationsfrage zum Problem Nummer eins der Italiener zu machen. Die Flüchtlinge sind an allem schuld – schuld, dass die Wirtschaft lahmt (obschon sie schon vorher lahmte), schuld dass die Jugendarbeitslosigkeit über 30 Prozent liegt (so hoch war sie schon vorher) und schuld, dass die Kriminalität steigt (was erwiesenermassen falsch ist).
Der Carola-Rackete-Hype
Die Schliessung der Häfen für Bootsflüchtlinge und die täglichen Attacken auf Kapitänin Carola Rackete transformiert er in eine grandiose Publicity-Show, die ihn in den Umfragen auf aufsehenerregende Höhen katapultiert. „Prima gli Italiani“ – zuerst die Italiener. „Seht, ich kämpfe für euch, für eure Arbeitsplätze, für die Erhaltung unserer Kultur und unseres stolzen italienischen Wesens.“
Er wehrt sich gegen den Bau von Moscheen und Minaretten. Er zeigt sich mit einer Maschinenpistole und plädiert für Selbstverteidigung.
Hatz auf Flüchtlinge und Nicht-Weisse
Er flirtet offen mit den neofaschistischen Organisationen „Casa Pound“ und „Forza Nuova“. Er trägt Lederjacken, die die „Jungs“ von Casa Pound tragen. Das Buch „Io sono Matteo Salvini“ erschien in einem Verlag, der von Francesco Polacchi gegründet wurde. Polacchi bezeichnet sich offen als Faschist. „Ein bisschen Diktatur kann nicht schaden“, erklärt er.
Die Hatz auf Flüchtlinge und Dunkelhäutige zeitigt Folgen. Laut einem Bericht des italienischen Geheimdienstes stiegen die rassistischen Gewalttaten seit der Machtübernahme Salvinis bedrohlich an.
„Die EU ist an allem schuld“
Zu den Feinden gehört auch die EU, die Italien eine rigorose Sparpolitik verordnet. Sie sei schuld daran, sagt Salvini, dass es Italien schlecht geht. Und schuld ist natürlich die Einheitswährung. „Der Euro ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, erklärte er einst.
Doch dass Italien nicht vom Fleck kommt, liegt weder an der EU noch an den Flüchtlingen: Schuld ist die katastrophale Bürokratie, die lächerlichen Reglementierungen, und vor allem die Unfähigkeit der Politiker, endlich tiefgreifende Strukturreformen in Angriff zu nehmen. Italien ist ein krankes Land.
Die „Davoser Bande“
Salvinis Botschaft ist klar: „Wir Italiener sind ein stolzes Volk, wir wären schon gut, wenn uns nur die Flüchtlinge nicht drangsalierten und wenn uns nur die EU nicht knebeln würde.“ Dass die EU mit vielen, vielen Milliarden Italien über Wasser hält, sagt er nicht.
Zu den Feinden gehören auch der „Turbo-Neoliberalismus“, die Globalisierung und die „Davoser Bande“, die Teilnehmer des Davoser Weltwirtschaftsforums (WEF).
Der „Digital philosopher“
Natürlich wettert er auch gegen Kommunisten und Homosexuelle, gegen die Ehe für alle. Er will für eine „Familie wie früher“ kämpfen, eine „Familia mit Mama und Papa“.
Doch diese populistische Rhetorik allein hätte nicht genügt, um aus Salvini das zu machen, was er heute ist. Den grössten Anteil an seinem Aufstieg hat nicht Salvini selbst, sondern ein Mann namens Luca Morisi. Der 46-jährige IT-Spezialist nennt sich „Digital philosopher“ und ist Salvinis Kommunikationschef.
Er hat aus dem Lega-Führer einen brillanten Selbstvermarkter geformt. Kein Populist in Europa kann Salvini das Wasser reichen.
Morisi zog eine eigentliche Propagandamaschinerie für den „Capitano“ auf. So wird der Lega-Chef jetzt genannt. Seither ist er fast rund um die Uhr präsent. Er hat auf den verschiedenen sozialen Medien weit über sechs Millionen Followers. Jeder zehnte Italiener (Babys inbegriffen) folgt ihm auf Twitter, Facebook oder Instagram. Bis zu 20 Mal pro Tag tritt er auf diesen Plattformen auf. Da gibt es halbstündige Livestreams.
So funktioniert Populismus
Er sendet aus einem Gemüseladen. „Cari amici, ich bin hier beim Kleinbauern Luigi, er hat wieder fantastisches Gemüse, wieso kaufen wir ausländisches Gemüse? Diese Artischocken: einfach wunderbar.“ Oder er sendet aus dem Auto: „Cari amici, heute ist ein herrlicher Tag, ich besuche gerade die Notfallstation im Spital, die Leute dort leisten wirklich tolle Arbeit ...“ Dann geht es zur Feuerwehr.
Man sieht ihn, wie er alte Frauen im Altersheim küsst.
Händeschütteln überall, Küsschen da und dort. Er achtet genau darauf, dass er alle Altersklassen und Menschen aus allen sozialen Schichten vor die Linse kriegt.
„Hai buon gusto Capitano“, schreibt ein Piero Castelli auf Facebook. „Du hast einen guten Geschmack, Capitano.“
Er zeigt sich auf den Märkten mit einer Verkäuferin von Steinpilzen.
Er posiert in Kuhställen und lobt die Bauern und die italienische Landwirtschaft.
Man sieht, wie er Spaghetti isst, so, wie die einfachen Leute essen, Spaghetti mit Sugo sonst nichts, oder ein Fladenbrot. Eine Verkäuferin auf dem Markt schenkt ihm eine Orange – aus Sizilien natürlich. Und immer wieder Selfies und Selfies, vor allem auch mit Jungen, denn diese will er an die Urnen holen.
„Sei sempre circondato da persone meravigliose“, schreibt ein Terry. „Du bist immer von wunderbaren Menschen umgeben.“
Älteren Frauen sagt er, sie sollten sich nicht schämen, wenn sie zuhause ihre wertvolle Arbeit verrichten. „Ein gutes Heim ist der Pfeiler unseres wunderbaren Landes.“
Er hängt in den Bars auf dem Strand von Milano Marittima herum, Papeete genannt, und trinkt italienisches Bier.
Er mischt sich in die Menge, er ist einer von ihnen, er weiss, wie die Leute reden, er spricht so banal und einfach, dass ihn auch der „terroni“, der Landarbeiter in der Basilicata oder der Fischer in Otranto versteht, er ist einer unter ihnen, und er will nur das Beste für Italien. Weg mit diesen Ausländern, weg mit diesen schleimigen, überheblichen Beamten in Brüssel. Viva l’Italia.
„Freiheitsberaubung“
Vor einem Jahr schien seine Kampagne zu stocken. Da gibt es Tonaufnahmen, die bezeugen, dass ein Freund Salvinis in Moskau mit Putins Vertrauten über eine Parteispende im Wert von 65 Millionen Dollar redete. Die Untersuchung ist noch immer im Gang.
Auch etwas Anderes beschäftigt ihn: Im August vorletzten Jahres rettet die „Diciotti“, ein Schiff der italienischen Küstenwache 190 Migranten im Mittelmeer. Salvini lässt die Notleidenden festhalten und nicht an Land gehen. Auch 629 Flüchtlinge, die vom Schiff Aquarius gerettet werden, dürfen – entgegen dem internationalen Seevölkerrecht – nicht landen. In beiden Fällen wurde Salvini wegen „Freiheitsberaubung“ angeklagt.
Ein Gericht in Catania hatte zudem verlangt, dass die Immunität von Salvini aufgehoben wird, damit er im Fall des Flüchtlingschiffs „Gregoretti“ wegen Freiheitsberaubung und Amtsmissbrauchs belangt werden kann. Er hatte dem Schiff mit 116 Migranten verboten, in einen italienischen Hafen einzulaufen. Der Senat soll kommende Woche über die Aufhebung der Immunität entscheiden.
„Pieni poteri“
Im vergangenen Sommer erregt er Misstrauen und heftige Proteste, weil er „volle Macht“ (pieni poteri) verlangt. Diese Worte benützte schon Mussolini. Kurz darauf geht die damalige Koalitionsregierung zwischen Lega und Cinque Stelle in die Brüche. Salvini, damals mit 38 Prozent Stimmenanteil auf dem Höhepunkt seiner Beliebtheit, hoffte, dass Neuwahlen ihn ins Amt des Regierungschefs tragen würden. Doch Staatspräsident Matterella will keinen Regierungschef mit „pieni poteri“ und beauftragt die Sozialdemokraten und die Cinque Stelle mit der Regierungsbildung. Salvini steht – vorläufig – auf dem Abstellgleis. Die demokratisch gesinnten Kräfte in Europa freuen sich. Freuten sie sich zu früh?
Salvinis Beliebtheit jedenfalls ist intakt. Seine Lega liegt seit Monaten stabil bei rund 30 Prozent Zustimmung.
Salvini saugt die Linke auf
Seine guten Werte haben auch etwas mit dem Zusammenbruch der anderen Parteien zu tun. Berlusconis „Forza Italia“ ist mit rund 6 Prozent fast ganz verschwunden. Die Fünf Sterne sind dabei zu erlöschen. Die traditionelle Linke, die Sozialdemokraten, dümpeln bei rund 20 Prozent. Dafür gibt es eine Erklärung.
Salvini besetzt viele Themen, die die Linke bewirtschaftet – wie dies auch Mussolini tat. Der Lega-Chef propagiert den Schutz der Arbeitsplätze, will Abschottung, um die Italiener zu fördern und zu schützen, wendet sich gegen den „Raubtierkapitalismus“, gegen die Globalisierung, die italienische Arbeitsplätze gefährde. Er kritisiert die Macht der Grosskonzerne und die „gierigen Eliten“. Folge davon ist, dass viele Arbeiter sich bei Salvini besser aufgehoben fühlen als bei den Sozialdemokraten, die längst eine liberalisierte Partei sind. Der Capitano saugt die Arbeiterschaft auf.
***
Was haben wir zu erwarten, wenn Salvini Regierungschef würde? Zu dieser Fragen spekulieren wir im dritten und letzten Teil unserer Serie.
Literatur: Lorenz Gallmetzer: Von Mussolini zu Salvini, K&S, Wien, 2019
Matteo Pucciarelli: Salvini, der Aufsteiger, Le Monde diplomatique, Juni 2019
Matteo Pucciarelli: Anatomia di un populista: la vera storia di Matteo Salvini, Feltrinelli, 2016
Io sono Matteo Salvini, Altaforte Edizioni, 2019