Von Stefan Stöcklin
Persönlichkeiten blicken auf ihre Studienzeit an der Universität Zürich zurück. Diesmal der langjährige Nahostkorrespondent und Buchautor Arnold Hottinger.
Ein unauffälliges Appartementhaus in Zug, etwas erhöht oberhalb der Altstadt gelegen. Ein Lift führt den Besucher hinauf, hinter der weissen Wohnungstür lebt Arnold Hottinger zusammen mit seiner neuen Lebensgefährtin. Der renommierte Journalist und Buchautor, promovierte Philologe und zweifache Ehrendoktor, bekannt für seine Analysen und Reportagen aus dem Nahen Osten, liebt es bescheiden: Die Wohnung ist einfach eingerichtet, nur ein Bücherschrank fällt auf und zeugt von der Liebe zum Buch.
Mehr als 60 Jahre ist es her, seit Arnold Hottinger an der Universität Zürich Spanisch und Italienisch studiert hat. Jetzt sitzt der 89-Jährige im Wohnzimmer. Die Jahrzehnte haben Spuren hinterlassen, aber der Schalk ist geblieben. Hottinger spricht schnell und präzis, immer wieder mal lacht er kurz. Kein Zweifel, Arnold Hottinger ist ein ernster Mann, aber er nimmt das Alter gelassen und hat seine eigene, oft ironisch gefärbte Sichtweise auf das Leben.
Das zeichnete sich bereits bei der Studienwahl ab, die ihn 1949 von Basel an die Universität Zürich führte. Die spanische Sprache hat er gewählt, weil er nicht Lateinisch und Griechisch studieren wollte, wie es damals alle taten. «Ich habe in meinem Leben immer gemacht, was nicht üblich war», sagt Arnold Hottinger lachend. Und weil der Romanistikprofessor Arnald Staiger meinte, zum Spanischen würde Arabisch gut passen, belegte Hottinger zusätzlich Orientalistik.
Da das Fach damals in Zürich noch nicht gelehrt wurde, lernte er diese Sprache – zu jener Zeit ein absolutes Orchideenfach – in Basel, was die Universität Zürich anerkannte. So fand er auf Umwegen zur arabischen Kultur, die sein Leben bestimmen sollte. Nachgeholfen hat auch die Mutter: Sie animierte ihn noch während des Studiums zu einer Reise nach Tunesien. Unvergesslich geblieben ist für ihn die Medina von Tunis, in der er sich verirrte – ein Erlebnis, das ihn noch Jahre später in seinen Träumen verfolgte.
Die Begegnung mit der arabischen Welt war elektrisierend. «Ich erlebte ein erstes Mal, wie Sprachkenntnisse die Türen zu einer fremden Welt öffnen.» Das Feuer war entfacht, Hottinger – der heute sieben Sprachen spricht – wollte sich in diese Kultur vertiefen.
Journalismus statt akademische Karriere
Die Gelegenheit, diese Träume umzusetzen, kam nach dem Studium, das er mit einer Dissertation über die Übersetzungskunst des Arabischen ins Spanische an der UZH abschloss. Frisch promoviert, begab sich Hottinger auf eine Reise durch den Nahen Osten in Richtung Asien. Unterwegs schrieb er die ersten Berichte über Länder und Kulturen und bot sie der Redaktion der NZZ an. «Ich war ganz überrascht, dass sie meine Texte abdruckten», sagt Hottinger lachend. Im Journalismus konnte er seine beiden Leidenschaften – für die arabische Kultur einerseits und für die arabische Literatur anderseits – ideal verbinden. «Das farbige Leben interessierte mich mehr als eine akademische Laufbahn.»
Die weitere Karriere ergab sich wie von allein. Arnold Hottinger war dank seiner Arabischkenntnisse ein gefragter Journalist: 1956 entbrannte die Suez-Krise wegen der Verstaatlichung des Kanals durch den damaligen ägyptischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser. Anfang der 60er-Jahre putschten die Generäle in Algerien. 1967 begann der Sechstagekrieg zwischen Israel und den umliegenden arabischen Ländern.
Hottinger lebte unterdessen in Beirut und berichtete für die NZZ und das Schweizer Radio von den arabischen Brennpunkten. Er blieb möglichst objektiv, verhehlte aber auch seine Sympathien für die Sichtweise der Araber nicht. Das passte nicht allen und gipfelte im Antisemitismusvorwurf. Wegen der Kritik musste er schliesslich seinen Korrespondentensitz nach Madrid verlegen. «Das Spanische lag mir ja auch, und der Wechsel hatte Vorteile für meine Frau», meint er lakonisch. Sie konnte sich in Spanien freier bewegen als im Nahen Osten.
Die Ehefrau starb 2003, nach 50 gemeinsamen Jahren. «Ein schwieriger Moment», sagt Hottinger leise. Die aktive Berufszeit liegt unterdessen zwei Jahrzehnte zurück. Auf die tagesaktuelle Lektüre arabischer Zeitungen und das Schreiben kann Arnold Hottinger aber nicht verzichten. Mit dem Internet vereinfacht sich vieles, und als Blogger veröffentlicht er im «Journal21» seine Hintergrundberichte.
Was in den arabischen Ländern passiert, lässt ihn nicht kalt. Es müsse noch schlechter werden, bevor es besser werden könne, prognostizierte er schon vor Jahren. Leider hat er recht behalten. Der betagte Mann wird schweigsam. Erst als die Rede auf die Studienzeit zurückkommt, blitzt der Schalk aus den Augen. Lachend erinnert er sich, wie sie sich auf der Baustelle des damals im Bau befindlichen Universitätsspitals verpflegten. «Eine Mensa gab es noch nicht. Die Kantine der Arbeiter war günstig, und Italienisch sprachen wir ja auch.» Das praktische Leben zog Arnold Hottinger schon damals an.
Mit freunlicher Genehmigung von "Journal/Die Zeitung der Universität Zürich/Campus: Alumni", März 2015