Luis Sepúlveda (1949 geboren) hat ein reiches, ein abenteuerliches Leben hinter sich. Als politischer Aktivist gehörte er zur Leibgarde des chilenischen Präsidenten Salvador Allendes, wurde nach dem Militärputsch verhaftet, kam auf internationalen hin Druck frei, verbrachte viele Jahre zuerst im lateinamerikanischen, dann im deutschen Exil, verdiente sich das Leben in den verschiedensten Berufen und lebt heute in Spanien. Als scharfzüngiger Journalist profilierte er sich in Reportagen, Kommentaren, Essays und wurde mit Romanen, Erzählungen, Reisebildern berühmt. Augenfällig an seiner Prosa, dass sie sich genre- und stilmässig von Titel zu Titel stark unterscheiden kann. Vom ethnologisch geprägten Abenteuerroman, wie sich sein internationaler Grosserfolg, „Der Alte, der Liebesromane las“, darbietet, bis zum parodistischen Kurzkrimi „Tagebuch eines sentimentalen Killers“ ist die Spannweite gross.
In „Der Schatten dessen was wir waren“ versucht Sepúlveda wieder etwas Neues – und es gelingt ihm auf unterhaltsame Art und Weise. Dass sich das sagen lässt, ist auch der Uebersetzung Willi Zurbrüggens zu verdanken; der hat den sarkastischen Tonfall des Originals bestens getroffen, was wahrhaftig keine leichte Aufgabe war, heisst es doch, dass parallel zum auf dem Papier erscheinenden Text ein unsichtbarer Subtext mitlaufen sollte, der das Gesagte unterminiert, relativiert oder, in zugespitzten Fällen, dekonstruiert. Drei vom Leben gebeutelte alte Herren, ehemalige Revolutionäre, treffen sich, fast vier Jahrzehnte nach dem Militärputsch, der sie aus der Bahn geworfen hat, in Santiago de Chile, um endlich aller Sorgen ledig zu werden. Sie wissen von der nie gefundenen Beute eines 1925 verübten, spektakulären Banküberfalls und wollen den Schatz heben. Ein Vierter soll ihnen dazu verhelfen – aber der kommt nicht zum rendez-vous; stattdessen stellt sich ein fremder, ein ungebetener Gast ein. Eine reichlich kuriose Versuchsanordnung ist das, über deren überraschenden Ausgang nichts verraten sei – oder nur soviel: nette Polizisten spielen ihre Rolle wie es sich gehört und ein fliegender Plattenspieler trägt viel zur allgemeinen Verwirrung bei.
Mit Sarkasmus imprägniert
Da schaut ein Wissender zurück, einer, der die Dramen der jüngsten chilenischen Geschichte aus nächster Nähe miterlebt hat. Seine alt, müde und melancholisch gewordenen Helden sind nicht, was verständlich wäre, der Bitternis verfallen; sie können sich in ihren Gesprächen ereifern, wenn ihnen die Vergangenheit hoch kommt, sie glauben vielleicht sogar noch an das, was sie damals wollten und was ihnen noch immer erstrebenswert erscheint. Die verflossene Zeit hat sie nicht milder werden lassen, aber der Autor stattet ihre Reden mit den distanzierenden Ingredienzen des Sarkasmus, der Ironie aus, die ja auch als scharfe Würze wirken können, was die entsprechenden Passagen für den Leser sehr bekömmlich macht.
Da erfährt man zum Beispiel gleich zu Beginn der Geschichte von der Hähnchenphobie eines Protagonisten, der - ausgerechnet er – den Auftrag erhalten hat, solche Tiere in gebratenem Zustand in grösseren Mengen zu besorgen und ein paar Kapitel weiter hinten wird in einer amüsanten Anekdote aus den Zeiten der Betriebsbesetzungen unter Präsident Allende erzählt, wie es zu dieser Phobie kam. Oder man begegnet einem filmverrückten Lebenskünstler, einem subtilen Schlitzohr, der die revolutionären Ideale der frühen Siebzigerjahre in Kunstkonsum und –genuss umfunktioniert hat und mit dieser Obsession seine Frau zur Verzweiflung bringt, was dann wieder unabsehbare Folgen für die Pläne des Altherrentrios hat.
Die Evokation alter Zeiten, die mannigfachen Prägungen, die Klandestinität und Exil den Charaktern verliehen haben, das durchwächst die Geschichte der drei Schatzsucher im heutigen Santiago, hält sie in Bewegung, lässt sie oszillieren zwischen heute und gestern – und manchmal spielt auch das Vorgestern, der Banküberfall anno 1925, seine Rolle. Raffiniert fügt Sepúlveda die Geschichte aus lauter durch die Zeiten schwirrenden Elementen zusammen. Man mag es kaum glauben, dass er dafür nur 156 gross bedruckte Seiten braucht. „Der Schatten dessen was wir waren“: so bezeichnen sich die Protagonisten selber und betreiben, halb ernsthaft, halb augenzwinkernd ein Licht-und-Schattenspiel das reizvoller nicht sein könnte.
Luis Sepúlveda: „Der Schatten dessen was wir waren“, Deutsch von Willi Zurbrüggen, Rotpunktverlag 2011; die Originalausgabe erschien 2009 unter dem Titel „La sombra de lo que fuimos“ bei Espasa Calpe in Madrid.