Was war das doch für ein Klagen und Schimpfen im Medienwald, als der Bundesrat Anfang Dezember entschied, zu dem mit der EU während Jahren ausgehandelten Entwurf eines Rahmenvertrages nicht unmittelbar Stellung zu beziehen. Vielmehr entschloss sich die Regierung, eine sogenannte Konsultationsrunde einzuschalten. Diese sollte zu einer breiteren Meinungsbildung in den Parteien, in Verbänden und in der allgemeinen Öffentlichkeit genutzt werden. Dem Bundesrat wurde darauf aus allen möglichen Ecken Führungsschwäche, mangelnder Mut und Drückebergerei vorgeworfen.
Inzwischen zeigt sich, der aufschiebende Entscheid des Bundesrates war genau richtig. Hätte er sich unmittelbar für eine Annahme respektive Paraphierung des Vertragsentwurfs festgelegt, wäre das ein willkommenes Fressen für die Anti-EU-Hardliner geworden. Sie hätten aus allen Rohren gegen den Vertrag und gegen den Bundesrat schiessen können.
Dieser will angeblich, so behauptet Christoph Blocher, gemäss einem «Geheimplan» die freie Schweiz an die undemokratische, tyrannische EU verhökern. In dieses reaktionäre Gezeter stimmte auch die Gewerkschaftsführung mit ein. Der SPD-Rennleitung wäre angesichts dieser Totalpolarisierung kaum noch Zeit und Spielraum übriggeblieben, sich aus der Geiselhaft durch die Gewerkschaftsideologen zu lösen.
Doch dank der vom Bundesrat anberaumten Bedenkfrist zeichnet sich ab, dass sich inzwischen der Wind zugunsten einer positiveren und differenzierteren Beurteilung des EU-Rahmenabkommens gedreht hat. Kluge und erfahrene Köpfe wie die Altbundesräte Villiger, Couchepin, Calmy Rey, der SP-Nationalrat Jositsch, der frühere SP-Regierungsrat Notter und selbst ein sich sonst gerne als Radikalkritiker der Schweiz gerierender Schriftsteller wie Lukas Bärfuss haben inzwischen in durchdachten, weit über den eigenen Tellerrand hinausblickenden Stellungnahmen für eine Annahme des Rahmenabkommens argumentiert.
Die Sozialdemokraten haben mittlerweile klargestellt, dass sie grundsätzlich für den europäischen Integrationsprozess einstehen wollen. Die bürgerlichen Parteien FDP und CVP, die sich zuvor noch zierten, haben kaum missverständlich signalisiert, dass sie im Parlament für das EU-Rahmenabkommen stimmen werden. Diese Zeichen werden es den SP-, FDP- und CVP-Vertretern im Bundesrat wesentlich erleichtern, in den nächsten Wochen oder Monaten die Paraphierung des Vertrages zu befürworten und so die beiden SVP-Trabanten Maurer und Parmelin zu überstimmen.
Damit kommt das EU-Rahmenabkommen ins Parlament. Es hat gute Aussichten, dort mit zusätzlicher Hilfe der Grünen, der Grünliberalen und anderer Kleinparteien eine Mehrheit zu finden. Ohne jeden Zweifel wird die SVP dagegen sofort ein Referendum ausrufen. Und so wird am Ende tatsächlich das von allen Seiten beschworene Volk entscheiden, ob es die umstrittene institutionelle Anbindung an die Europäische Gemeinschaft befürwortet oder ablehnt.
Eine Volksabstimmung zu dieser grundlegenden Frage aber ist für ein Land wie die Schweiz, die sich mit Vorliebe als direkte Demokratie definiert, der weitaus überzeugendste Weg. Ohne die vom Bundesrat im Dezember angeordnete Besinnungspause wäre es wahrscheinlich nicht zu dem inzwischen eingetretenen Stimmungswandel bei den Sozialdemokraten und bei den bürgerlichen Mitteparteien gekommen. Der jetzt vorliegende Rahmenvertrag wäre vielleicht schon im Bundesrat versenkt worden – und weder das Parlament noch das Volk hätten in absehbarer Zeit Gelegenheit, sich für oder gegen eine rechtlich verlässlichere Verbindung mit der EU zu entscheiden.
Merke: Es ist nicht immer Führungsschwäche, sondern oft ein Zeichen staatsmännischer Klugheit, wenn eine Regierung sich dazu entschliesst, eine definitive Festlegung in einer schwierigen Frage zunächst zu vertagen und eine Denk- und Diskussionsphase einzuschalten.