Das Buch handelt von den eineinhalb Jahren, die Herta Müller nach ihrer Emigration aus Rumänien 1987 in dem deutschen Auffanglager Nürnberg-Langwasser zugebracht hat. Sie wurde mehrfach verhört, wobei sie zwei Beamte besonders herausstellt. Der eine Beamte arbeitet in der Abteilung A. Der Beamte von der Abteilung B heisst bezeichnender Weise Fröhlich. Wie ein roter Faden zieht sich durch die Verhöre der Verdacht, dass sie nicht wirklich eine Gegnerin des Regimes von Nicolae Ceaușescu gewesen beziehungsweise, dass sie vielleicht auch eine Querulantin gewesen sei:
Der sogenannte Herr Fröhlich von der Prüfstelle B sagte
man wusste, Sie wollten den Sozialismus nicht
wieso sollte der Sie wollen
Da sind ein paar Gefahren absehbar
ob das wirklich politische Verfolgung war
An anderer Stelle heisst es:
kaum dass ich sass
waren die Büros um den Tisch rundherum
nacheinander bodenlos
«Collagen» nennt Herta Müller ihre Texte, die sie seit 30 Jahren mit Hilfe ausgeschnittener Worte montiert.
Am Anfang dieser Arbeitsweise stand der Widerwille, der bei ihr von Ansichtskarten ausgelöst wurde. Sie transportierten nicht das, was sie ihren Freunden aus der Ferne mitteilen wollte. Also fing sie an, auf weisse Karteikarten zunächst Zeitungsbilder zu kleben, dann mehr und mehr kurze Texte.
Die Worte warten
Daraus entwickelte sich das systematische Sammeln von gedruckten Worten aus diversen Zeitungen und Zeitschriften. Und sie begann, daraus Gedichte zu formen. «Der Beamte sagte» ist nun die erste Erzählung, die aus diesen Wortcollagen geformt ist. Aber die meisten Seiten kann man auch wie kurze Gedichte lesen.
Herta Müller hat in einem früheren Band darüber Auskunft gegeben, warum sie diese Collagetechnik verwendet. Sie begegnet dabei der Sprache in einer besonders intensiven Weise, «weil man jedes Wort einzeln anfassen kann». Und es ist ihr, als würden die Worte, die sie alphabetisch sortiert in Schubladen verwahrt, dort «wie ich auf den Bahnhöfen warten». Sie möchten «endlich in einen Text einsteigen».
Intimität der Angst
Beim Lesen von «Der Beamte sagte» entsteht zudem eine Atmosphäre der Intimität der Angst. Die Worte, die jedes für sich eine eigene typographische Gestalt haben, wirken so sperrig, wie sie jemand empfinden muss, der der deutschen Sprache, zumal der Behördensprache, noch fremd gegenübersteht und gleichzeitig bang auf jedes Wort achtet, weil darin schon das künftige Schicksal enthalten sein kann.
Gleichzeitig aber enthüllt Herta Müller mit diesen Worten äussert präzise, bis zur Schmerzhaftigkeit, die inneren Sehnsüchte, die Suche nach Zeichen der Vertrautheit und die Leere, die der Verlust der Heimat, der Familie und Freunde mit sich bringt. Gegen Ende heisst es:
Ich habe geträumt Mutter sagt
dein Vater ist wieder Soldat
ich bin so allein ich frag
gibt es Krieg Mutter sagt
nein er wird doch nur bestraft
weil du das Land verraten
hast, die Kaserne ist ein
Nest aus Stacheldraht
Man hört förmlich das Geflüster der inneren Monologe. Sie erhält die Nachricht, dass ihr engster Freund erhängt in seinem Badezimmer aufgefunden wurde. Man schickt ihr ein Haar, das sie in eine Grube wirft, in der sich Schnee und Schlamm vermischen.
In den Texten tauchen wiederholt Reime auf, die manchmal unmittelbar anrühren, manchmal auch befremden. Der Reim sei, schreibt sie in ihrem früheren Band, «der Motor im Satz». Aber die Sätze müssten so klingen, «als ob sich der Reim von selbst ergeben hätte». Er sei «Wächter» und «Schelm» zugleich und katapultiere den Text, «wohin er will».
Herta Müller wurde 2009 mit dem Nobelpreis für Literatur geehrt. Die Texte dieses Bandes zeigen sie ganz auf der Höhe ihrer Kunst.
Herta Müller, Der Beamte sagte. Erzählung. 164 Seiten, Hanser, München 2021, ca. 24 Euro