Der seit 1992 mit eiserner Faust, beziehungsweise dem Gewehr im Anschlag regierende 77 Jahre alte General Nummer 1, Than Shwe, hat es vorgezogen, weiter in Uniform sich den über fünfzig Millionen Burmesinnen und Burmesen zu zeigen. Nach den Parlamentswahlen vom November liess er sich – zur Überraschung vieler – nicht mehr zum Staatschef küren. Than Shwe bleibt aber Chef der Streitkräfte, hat so den Finger am Abzug und kann, in Asien oft nicht ganz ungewöhnlich, „hinter dem Vorhang“ die Fäden ziehen.
Also alles wie gehabt und mithin ein nahtloser Übergang von den uniformierten zu den zivil gekleideten Militärs? Die Antwort lautet Jein, denn die politische und wirtschaftliche Wirklichkeit ist komplex.
Die Wahlen im November, basierend auf einer von den Militärs massgeschneiderten Verfassung, waren nach westlichem Demokratieverständnis gewiss nicht fair und legitim. Das war auch der Grund, weswegen die Nationale Liga für Demokratie (NLD) der Friedensnobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi die Wahlen boykottiert hat. Das war vermutlich unklug.
Wahlbetrug brauchte es kaum
Vor allem jüngere NLD-Mitglieder formten eine eigene Partei und hielten, wenn auch in kleiner Anzahl, Einzug ins Parlament. Ein Viertel der Sitze waren Verfassungs-konform im Voraus für die Militärs reserviert. Die den Generälen nahestehende Partei „Union Solidarität und Entwicklung“ konnte denn auch achtzig Prozent der Stimmen für sich gewinnen. Wahlbetrug brauchte es dazu kaum, denn die bäuerlichen Massen, die überwiegende Mehrheit des Volkes, sind arm, kämpfen ums Überleben und sind mithin politisch wenig interessiert und aktiv.
Das in der über 300 Kilometer nördlich von Yangon (Rangun) vor fünf Jahren aus dem Nichts gestampften neuen Hauptstadt Naypyidaw tagende Parlament tanzt natürlich weitgehend nach der Kasernenhof-Pfeife der Militärs. Dennoch sind Meinungsäusserungen – sofern nicht „staatsgefährdend“ – in beschränktem Ausmass frei, was für Myanmar schon ein Fortschritt ist.
Zudem wurde der neue Präsident nicht mit 90 oder gar 99 Prozent der Stimmen gewählt. Ex-General Thein Sein erhielt nur 408 von insgesamt 659 Stimmen. Nicht schlecht für burmesische Verhältnisse, wenn auch die beiden Gegenkandidaten als Militär-freundlich gelten. „Ich weiss, dass man diese neue Entwicklung im Westen negativ sieht“, sagt ein junges NLD-Mitglied, das anonym bleiben will, „doch für uns ist das nach all den Jahren der Isolation und des Stillstands ein kleiner, wenn auch winziger Schritt nach vorn“.
Der neue Präsident - nicht einmal die Nummer 2
Der neue Präsident Thein Sein gilt in Myanmar, auch bei den jüngeren Mitgliedern der NLD, als „Saubermann“. In einem notorisch so korrupten Staat wie Myanmar ist das schon fast ein Ehrentitel. Nach der Verfassung verfügt der Präsident über weitgehende Vollmachten. So ist Thein Sein auch Vorsitzender der nationalen Verteidigungs- und Sicherheitsrates und kann ex officio ohne Zustimmung des Parlaments den Ausnahmezustand deklarieren und eine Militärregierung einsetzen. Im burmesischen Macht-Kontext freilich ist Thein Sein vermutlich nicht einmal die Nummer 2 hinter Than Shwe. Der „Alte“, wie Than Shwe im Volk auch genannt wird, hat in General Maung Aye einen Stellvertreter.
Die tatsächliche Macht des 65 Jahre alten Staatspräsidenten ist im Augenblick schwer zu definieren. Ohne Zweifel aber wird er eng mit Than Schwe zusammenarbeiten, wenn nicht gar – wie im Militär üblich – Befehle entgegennehmen. Dem General Nummer 1 jedenfalls verdankt Thein Sein seine Karriere auf oberster Stufe. Than Schwe hat ihn handverlesen 2007 an die Spitze der Regierung gestellt. Inzwischen befreundet mit Than Shwe übernahm er im April letzten Jahres – nunmehr zivil gekleidet – die heikle Aufgabe, die Wahlen zu organisieren.
Thein Sein konnte als Präsident der Union Solidarität und Entwicklung (USDP) auf einen gut funktionierenden Partei-Apparat zurückgreifen. Manipulation und Fälschung waren meist gar nicht nötig, um die Wählerinnen und Wähler zu überzeugen. Seit 2007 ist Thein Sein auch im Ausland bekannt. Als Regierungschef übernahm er oft die delikate Aufgabe, die Position von Myanmar in internationalen Gremien, etwa der UNO oder der Assoziation Südostasiatischer Staaten ASEAN, zu vertreten. Thein Sein verurteilte zum Beispiel vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York die von Amerika und der Europäischen Union verhängten Wirtschaftssanktionen als „Form der Gewalt“.
Die seit den frühen 90er-Jahren verhängten Wirtschaftssanktionen waren und sind denn in der Tat kontraproduktiv, der Aufruf zu einem Tourismus-Boykott eingeschlossen. Nachbarländer wie Thailand, Indien und zumal China sprangen dankbar in die Bresche. Auch Singapur ist in Myanmar investitionsmässig sehr gut vertreten. Für westliche Touristen ist Myanmar inzwischen zum gelobten Land geworden, weil dort, so ein Schweizer Tourist neulich, „noch alles so ist wie vor fünfzig, sechzig Jahren“. In den letzten Monaten setzte Myanmar zu einem weiteren Schritt der Wirtschaftsreform an und begann, staatliche Unternehmen an burmesische Privatunternehmer zu verkaufen.
Myanmar steht vor schwierigen Jahren
Das Ziel ist klar: die reiche Wirtschafts-Elite soll noch enger an die Herrschenden gebunden werden. Und das ist in einem korrupten Umfeld wie in Myanmar nicht schwierig. Allerdings darf nicht unerwähnt bleiben, dass viele dieser Privat-Unternehmer auch gute Kontakte zur Opposition pflegen. Zudem war es die Wirtschaftselite, Grossunternehmer wie KMUs, die 2008 während des Zyklons Nargis (über 100'000 Tote) Hilfskonvois ins Irriwaddy-Delta organisierten, während die Militärs Gewehr bei Fuss standen, d.h. nicht einen Finger für die Opfer, die eigenen Landsleute rührten.
Wie weit sich die burmesische Militär-Demokratie entwickeln wird, ist weit offen. Friedens-Nobelpreisträgerin Aung San Suu Kyi – in Myanmar liebevoll-ehrfürchtig „die Lady“ genannt – steht zwar nicht mehr unter Hausarrest und hat mittlerweile wieder Kontakt mit der Welt dank einem gewährten Internet-Anschluss. Doch die Nationale Liga für Demokratie (NLD), wegen des Wahlboykotts für illegal erklärt, ist noch immer nicht zugelassen. Ein gutes Zeichen wäre der Beginn eines Dialogs zwischen Thein Sein und der NLD oder zwischen der NLD und den jüngeren, jetzt im Parlament sitzenden früheren NLD-Mitgliedern.
Myanmar steht jedenfalls vor schwierigen Jahren – politisch, wirtschaftlich und sozial. Die Entwicklung, weil kompliziert und mit vielen Grautönen versetzt, ist wenig Schlagzeilen-trächtig. Die Erfahrung zeigt, dass westliche Medien – verfassungsmässige Pressefreiheit garantiert – Myanmar/Burma wohl nur bei Naturkatastrophen, Unruhen, Aufständen oder einer erneuten Verhaftung von Aung San Suu Kyi wieder auf der Ausland- oder gar Frontseite heben werden. Leider.