Die drei Richterinnen Carmen d’Elia, Orsola de Cristofara und Giulia Turri werden den ersten Prozess gegen einen amtierenden italienischen Ministerpräsidenten eröffnen. Angeklagt ist Berlusconi der Erpressung und der Prostitution Minderjähriger. Wird er der Erpressung für schuldig befunden, droht ihm eine Strafe zwischen vier und zwölf Jahren. Im Falle der Prostitution Minderjähriger liegt das Strafmass zwischen sechs Monaten und drei Jahren. Im schlimmsten Fall: 12 + 3 = 15 Jahre.
Die Anschuldigungen und die vorliegenden Beweise und Indizien wiegen offenbar so schwer, dass die Mailänder Untersuchungsrichterin Cristina Di Censo einem Schnellverfahren zugestimmt hat. Ein solches hatte die Staatsanwaltschaft beantragt.
"Die Sturmtrupps aus Presse und Justiz"
Berlusconi reagierte am Dienstagvormittag konsterniert. Er hatte sich auf Sizilien über die Situation der ankommenden Flüchtlinge aus Nordafrika informieren lassen. Wutentbrannt verliess er das Städtchen Mineo – ohne Kommentar, ohne Erklärung. Die angekündigte Medienkonferenz in der Präfektur von Catania liess er platzen und flog nach Rom zurück.
Und jetzt? In ersten Reaktionen spielen Berlusconis Freunde die alte Leier: Die Medien, die Kommunisten und die linken Richter haben ein Komplott gegen ihn geschmiedet. „Nichts Neues aus dem Schützengraben von Berlusconis Gegnern“, kommentiert Osvaldo Napoli, der Vizepräsident der Berlusconi-Parlamentarier im Abgeordnetenhaus. „Die Kommandanten der Sturmtrupps aus Presse und Justiz haben entschieden, Berlusconi wie einen Schwerverbrecher vor Gericht zu stellen“.
„Gegen Berlusconi wird ein ewiger Prozess geführt, der jetzt 17 Jahre dauert“, sagte Cosimo Izzo, der Vizepräsident von Berlusconis PDL-Partei im Senat. „Die Herren der Linken sollten nicht zu früh „Sieg“ schreien - sie, die nicht fähig sind, Berlusconi an der Urne zu besiegen. … Auch diesmal wird der Ministerpräsident zeigen, wie fantasiereich und nebulös die Vorwürfe sind“. Izzo spricht von einem „sterilen Anti-Berlusconismus der Staatsanwaltschaft“.
Forderungen nach schnellem Rücktritt
Doch diese Leier nützt jetzt wenig. Faktum ist: Berlusconi muss vor Gericht. Auch wenn sich nicht mehr alle so ganz sicher sind: Italien ist ein Rechtsstaat. Und wenn eine Untersuchungsrichterin auf Antrag der Staatsanwaltschaft entscheidet, dass jemandem der Prozess gemacht wird, so kann dieser Jemand nicht schlüpfen – auch wenn es der Ministerpräsident ist.
Berlusconis Anwälte werden jetzt versuchen, den Prozess hinauszuzögern. Doch das wird diesmal schwer werden. Die Causa Berlusconi hat jetzt eine neue Dimension erreicht.
Der Druck auf den Ministerpräsidenten, noch vor dem Prozess zurückzutreten, wird jetzt gewaltig zunehmen. Als erster forderte Massimo Donadi, der Fraktionschef der Oppositionspartei „Italien der Werte“, Berlusconi auf, sein Amt abzugeben. Ihm folgte sofort Angelo Bonelli, der Präsident der italienischen Grünen. Susanna Camusso, die Generalsekretärin der Gewerkschaft Cgil sagte auf einer Versammlung in Bari: „Wenn wir in einem normalen Land lebten, würde der Ministerpräsident unter solchen Anschuldigungen sofort zurücktreten“. Dario Franceschini, der Fraktionschef des oppositionellen linken „Partito Democratico“ kommentierte: „Berlusconi sagt, er würde verfolgt und sei unschuldig. Also soll er sich doch vor den Richtern verteidigen wie alle Leute, die nichts zu verbergen haben“. Und: “Er soll Italien den Ruf ersparen, einen Ministerpräsidenten zu haben, der der Erpressung der Prostitution angeklagt ist“. Pier Luigi Bersani, der linke Oppositionsführer, forderte sofortige Neuwahlen.
Der alte Mann steht vor dem Ende
Vor Gericht wird es ernst für Berlusconi. Den Vorwurf der Erpressung hat er sozusagen zugegeben. In der Nacht vom 26. auf den 27. Mai 2010 hat er den Mailänder Polizeipräsidenten aufgefordert, die damals minderjährige Marokkanerin „Ruby“ sofort freizulassen. Er behauptete, sie sei die Nichte von Mubarak. Die verantwortlichen Polizisten Pietro Ostuni, Giorgia Lafrate und Ivo Morelli bestätigen, sie hätten diesen Befehl von Berlusconi erhalten. Auch Ruby erzählte später, Berlusconi habe ihr an einem Nachtessen gesagt, er hätte sie als ‚Nichte Mubaraks“ ausgegeben.
Weniger bewiesen schien bisher in der Öffentlichkeit der Vorwurf der Prostitution Minderjähriger. Ruby sagt bis heute, sie hätte zwar von Berlusconi viel Geld erhalten, ein Auto, eine Wohnung, Schmuck, Kleider – doch Sex habe sie nie mit ihm gehabt. Zwar hat sie an mehreren Bunga-Bunga-Partys teilgenommen, doch ohne sich mit dem Ministerpräsident vergnügt zu haben – im Gegensatz zu den meisten andern Party-Gängerinnen.
Die Mailänder Staatsanwaltschaft hat Dutzende von Frauen stundenlang und immer wieder befragt. Aus den Unterlagen geht hervor, dass eine weitere Minderjährige an den Bunga-Bunga-Festen teilgenommen hat: die Brasilianerin Iris B., eine professionelle Prostituierte. Die Ankläger verfügten jetzt offenbar über genügend Beweise, Berlusconi der Prostitution mit Minderjährigen anzuklagen.
Für den 74jährigen Ministerpräsidenten wird es eng. In Italien hat längst seine Götterdämmerung begonnen. In den Meinungsumfragen sackt er jetzt erstmals deutlich ab. Nur noch ein Drittel der Italiener haben Vertrauen in ihn. Die katholische Kirche, in Italien immer noch ein wichtiger Faktor, hat sich angewidert von ihm abgewandt. Die Wirtschaft hat ihn längst fallen gelassen und empfindet ihn nur noch als Bremsklotz. Der italienischen Wirtschaft geht es schlechter als jener der meisten europäischen Länder. Im Land herrscht Lethargie. Die Regierung regiert nicht mehr: mit ihrer winzigen 3-Stimmen-Mehrheit ist sie gelähmt. Der alte Mann steht vor dem Ende.
Mit Ruby zu Mubarak
Am Sonntag demonstrierten in 230 italienischen Städten Hunderttausende italienischer Frauen gegen Berlusconi. Laut Zeitungsberichten waren es insgesamt eine Million Menschen. Berlusconi selbst hatte für den Vortag zu einer Demonstration gegen die Richter aufgerufen: kaum einer ging hin.
In keinem andern Land wechseln Parlamentarier so schnell ihre Meinung und ihre Partei. Wer das Image des Verlierers hat, hat schnell keine Freunde mehr. Bald könnten die Ratten das sinkende Schiff verlassen. Die Gefahr für Berlusconi besteht nun darin, dass sich mehrere seiner Partei-Kollegen von ihm abwenden. Die Erosion hat längst begonnen.
Der Prozess im Fall Ruby ist nicht das einzige Verfahren gegen Berlusconi. Schon am 11. März wird ein alter Bestechungsprozess wieder aufgenommen: Der Prozess David Mills. Berlusconi wird vorgeworfen, Mills für eine Falschaussage 440‘000 Euro bezahlt zu haben. Auch dann sitzt er Richterinnen gegenüber: wieder Frauen.
Und jetzt also der Ruby-Prozess. Die Berlusconi-Gegner jubeln. Schon haben einige einen Plan. Sie wollen zwischen Como und Syrakus ägyptische Verhältnisse schaffen: Sie wollen Tag und Nacht so lange auf den Strassen und Plätzen demonstrieren, die Wirtschaft und das öffentliche Leben lähmen, bis der Cavaliere den Hut nimmt.
„Er könnte ja mit Ruby nach Scharm el-Scheich zu Mubarak fliegen“, hiess es an einer Protestdemonstration am Sonntag. „Mubarak würde sich freuen, seine Nicht wiederzusehen“.
(Lesen Sie auch: "Ruby - Berlusonis femme fatale"
http://www.journal21.ch/berlusconis-femme-fatale