Berlusconi hat sich entschieden: Er will – entgegen früheren Erklärungen – wieder Ministerpräsident werden. Und zwar sofort. Er verlangt vorgezogene Neuwahlen. Wegen Ruby.
Eigentlich läuft die Amtszeit von Mario Monti, dem italienischen Notstandsministerpräsidenten, erst im kommenden März ab. Doch Berlusconi will, dass schon im November gewählt wird.
Der Ruby-Prozess, in den Berlusconi arg verwickelt ist, geht jetzt in die Schlussphase. Dutzende von Zeugen (und vor allem: Zeuginnen) sind befragt worden. Das Urteil könnte im November oder Dezember gefällt werden.
Berlusconi fürchtet, in erster Instanz verurteilt zu werden. Deshalb seine Eile. Er möchte, dass die Wahlen vor einer eventuellen Verurteilung stattfinden. Denn es könnte sich wenig vorteilhaft auswirken, wenn er als Lügner und Betatscher einer Minderjährigen in den Wahlkampf ziehen müsste.
Pakt mit der Linken?
Berlusconi wird vorgeworfen, den Mailänder Polizeichef wegen Karima el-Mahroug, alias Ruby, belogen zu haben. Die damals 17-jährige Marokkanerin, die in Berlusconis Villa bei seinen „eleganten Nachtessen“ verkehrte, war festgenommen worden, weil sie einer Kollegin Schmuck und Geld gestohlen hatte. Berlusconi forderte den Polizeichef auf, sie freizulassen, weil sie „die Nichte von Mubarak“ sei.
Das Gericht, das sich aus drei erfahrenen Frauen zusammensetzt, untersucht auch, ob Berlusconi ein enges Verhältnis zur Minderjährigen hatte.
Doch um schnelle Wahlen abzuhalten, braucht es eine Wahlreform. Staatspräsident Giorgio Napolitano hat die grossen Parteien dringend aufgefordert, ein neues Wahlgesetz auszuarbeiten. Neuwahlen könnten nur nach einer Wahlreform stattfinden. Doch die Parteien sind sich uneinig.
Trotzdem will Berlusconi jetzt ein neues Wahlgesetz durchpeitschen – und ist offenbar zu vielen Konzessionen bereit. Er kann sich sogar vorstellen, zusammen mit seinen Erzfeinden, den Linken, zu regieren, sie, die er immer als Kommunisten, Minderbemittelte und Halbkriminelle bezeichnete. Eigentlich gebe es nur die Möglichkeit einer grossen Koalition zwischen seiner Partei und der Linken, sagt er.
Seinen Nachfolger abserviert
In Meinungsumfragen liegt Berlusconi jedoch fünf Prozentpunkte hinter dem linken Spitzenkandidaten Pierluigi Bersani zurück. Doch der Cavaliere glaubt, diesen Rückstand in einem Wahlkampf aufzuholen. „Ich habe im Wahlkampf 2006 in den letzten drei Wochen gegen Prodi zehn Prozent aufgeholt“.
Doch 2006 ist nicht 2012. Damals gab es noch keine Ruby-Affäre. Damals auch waren nicht all seiner Sex-Orgien öffentlich bekannt. Doch Berlusconi glaubt immer noch an sich. Um erneut zu gewinnen, braucht er einen Neustart, eine neue Partei – oder zumindest: einen neuen Namen für seine Partei. Seine erste Partei hiess „Forza Italia“. Später nannte er sie PdL „Popolo della Libertà“ (Volk der Freiheit). Jetzt soll sie „Grande Italia“ heissen.
Nach seinem Sturz im vergangenen Oktober hatte er verlauten lassen, er wolle kein politisches Amt mehr anstreben. Seinen jungen Gewährsmann, Angelino Alfano, baute er zu seinem Nachfolger auf. Der schlug sich tapfer, doch dann drängte es Berlusconi zurück an die Macht. Die zweite Geige zu spielen, liegt dem Alpha-Tiger nicht. So wurde Alfano abserviert. Letzte Woche musste er, zusammen mit seiner Familie, in Berlusconis Villa in Sardinien antraben, um sich sagen zu lassen: Silvio bleibt die Nummer eins.
Er löffelt nur noch Gemüsesuppe
Und dieser Silvio Berlusconi spielt die alte Leier: „Die Familie hat mich gebeten, nicht zu kandidieren“, sagt er. „Doch das Volk will, dass ich kandidiere. Es will, dass ich Italien rette. Wie kann ich diesen Wunsch ausschlagen?“
Schon feilt er an seinem neuen Image. Er gibt sich zahmer, weniger braungebrannt, grinst nicht ständig, und seine implantierten Haare spriessen weniger üppig als früher. Seine sexistischen Sprüche fehlen im Moment, und offenbar hält er sich auch mit „eleganten Abendessen“ in seiner Mailänder Villa zurück. „Er bereitet sich wie ein Rockstar vor“, zitiert die Zeitung „La Repubblica“ einen Besucher in Berlusconis Villa auf Sardinien. „Er hat acht Kilo verloren und löffelt nur noch Gemüsesuppe.“
Wiederannäherung an seine Frau?
Berlusconi weiss, dass er ein Problem hat. Seine rüden Sex-Eskapaden, seine frauenverachtenden Sprüche, seine krankhafte Sucht nach ganz jungen Frauen machten ihn im weiblichen Wählerpotential nicht eben beliebt. Auch sein jetzt dreijähriger Scheidungsprozess mit Veronica Lario lastet auf ihm. Veronica Lario bezeichnete ihn als „krank“, schlug die Türe zu, verlangte im Mai 2009 die Scheidung und forderte 43 Millionen Euro pro Jahr. Berlusconi sagte damals: „Sie hat mich ins Gesicht getreten, ich verzeihe ihr nie.“
Jetzt lässt Berlusconis Entourage das Gerücht streuen, er könnte sich wieder mit seiner Frau versöhnen. Die Anwälte der beiden bestätigen, dass sich die beiden, zusammen mit ihren drei Kindern „mehrmals“, so die Anwälte, zum Nachtessen getroffen haben. Gefördert werden soll die Wiederannäherung durch die Schwangerschaft von Tochter Eleonora.
Doch die Anwälte betonen, dass es sich höchstens um eine Wiederannäherung handeln könne, aber keinesfalls um eine Wiedervereinigung. Der Scheidungsprozess nehme seinen Lauf. Statt der 43 Millionen wurden Veronica Lario elf Millionen pro Jahr angeboten, was sie ablehnte. Eine Versöhnung und vielleicht ein neues Gruppenbild der Familie in den Zeitungen könnte Berlusconi, so hofft er, wieder einige weibliche Stimmen bringen.
Noch ist er längst nicht am Ziel
Berlusconi gibt sich zahm. Doch all das nützt wenig, wenn er im Ruby-Prozess verurteilt wird. „Die Staatsanwaltschaft verfolgt mich, das Gericht will mich vor den Wahlen verurteilen“, weiss Berlusconi jetzt schon. Auch aussenstehende Beobachter bezeichnen die Möglichkeit einer Verurteilung als „sehr konkret“.
Doch selbst wenn er freigesprochen würde: Berlusconi ist noch längst nicht am Ziel. Auch wenn sich die Parteien jetzt auf eine Wahlrechtsreform einigen, heisst das noch nicht, dass automatisch Wahlen stattfinden. Es liegt einzig am Staatspräsidenten, Wahlen anzusetzen.
Es ist kaum anzunehmen, dass der besonnene Giorgio Napolitano in den nächsten Wochen Neuwahlen ausruft und so Ministerpräsident Mario Monti desavouiert. Monti hat eben seine Wachstumsstrategie vorgelegt und ist dafür von den Rating-Agenturen und sogar von Angela Merkel geadelt worden. Es ist undenkbar, dass der Staatspräsident diese Operation vorzeitig abbricht. Das würde Italien auf internationaler Ebene erneut einen erheblichen Vertrauensverlust bringen. Dass Berlusconi das nicht so sieht, zeigt, dass er einzig an sich und nicht an Italien denkt.
In der eigenen Partei umstritten
So muss der Ex-Ministerpräsident denn wohl bis im kommenden März warten, bis er wieder eine Chance kriegt. Die Frage ist auch, ob ihm eine Verurteilung im Ruby-Prozess wirklich schaden würde. Die eingefleischten Berlusconi-Adepten werden auch dann zu ihm halten und die Richterinnen als feministische Kommunistinnen bezeichnen. Doch eingefleischte Berlusconi-Anhänger gibt es immer weniger.
Viel wird davon abhängen, wie sich die andern Parteien verhalten. Die Linke tut sich noch immer schwer, sich zu finden. Das Zentrum ist wenig homogen. Werden neue, verheissungsvolle Parteien entstehen? Gibt es neue Formationen, neue Koalitionen? Wie auch immer: Berlusconi wird es schwer haben. Auch innerhalb seiner Partei ist er umstritten. Viele nennen sein geplantes Comeback als Zwängerei eines alten, reichen Mannes, der ohne Macht nicht leben kann und nicht merkt, dass es ihn nicht mehr braucht.