Vor der riesigen Basilika hält ein Autobus. Etwa 50 ältere Süditaliener steigen aus, drängen sich ins Innere der geheimnisvollen Kirche. Dort, rechts hinten, stehen schon Japaner und Amerikaner, Südamerikaner und viele Spanier. Auch eine Gruppe schnatternder 13-jähriger Mädchen ist da.
Alle blicken in die Höhe und richten ihre Linsen auf ein kleines Medaillon. Sie schwatzen, lachen und bekreuzigen sich. Eine Gruppe Deutscher murmelt ein Ave Maria. Zwar befindet sich in dieser Basilika – so der Vatikan – das Grab des Heiligen Paulus. Doch das interessiert in diesen Tagen wenig. Jetzt gilt das Interesse dem alten Herrn dort oben rechts.
Rom quillt in diesen Tagen über mit 6000 Journalisten und Zehntausenden von Touristen. Sie alle wollen dabei sein, wenn ein neuer Papst gewählt wird. Sie stürmen auf den Petersplatz und fotografieren sich selbst vor heiliger Kulisse. Viele von ihnen werden von cleveren Tour Operators abgeschleppt. Busse bringen sie hinaus aus der Stadt in die Basilika mit den lächelnden Toten – und dem einzigen Nicht-Toten. "In dieser Kirche schlummert ein Geheimnis", sagt ein italienischer Geistlicher aus Bozen.
Geht die Welt bald unter?
Die Basilika „San Paolo fuori le mura“ (St. Paul ausserhalb der Mauern) ist eine der phantastischsten Kirchen Roms. Auch Nicht-Katholiken und Nicht-Religiöse kommen aus dem Staunen nicht heraus. Die Ursprünge des Bauwerks sollen auf das Jahr 324 zurückgehen. Doch nicht der Säulenwald, die Architektur oder die Ausstattung sind es, die in diesen Tagen Tausende anziehen.
Über den Säulen zieht sich ein langes Band mit Medaillons aller 265 Päpste, schön der Reihe nach aufgereiht. Freundlich blicken sie auf die Besucher hinunter. Die 31 Gegenpäpste sind nicht dabei.
Die Legende besagt, dass die Welt mit riesigem Krachen untergeht, wenn kein Platz mehr für weitere Medaillons besteht. Als Wojtyla Papst wurde, gab es nur noch Platz für drei Päpste. Jetzt, nach Benedikt, wären es also nur noch zwei. Ist der jetzt zu wählende neue Papst also der vorletzte? Geht dann die Welt unter? Beginnt dann das Jüngste Gericht?
Der Trick von Johannes Paul II.
Papst Wojtyla, alias Johannes Paul II., glaubte offenbar nicht an einen schnellen Weltuntergang. Um den Spekulationen über ein nahes Ende der Welt (und der katholischen Kirche) eine Ende zu setzen, liess er kurz vor seinem Tod Anfang 2005 an einer Nebenwand und in einem Seitenschiff 15 weitere leere Medaillons anbringen. So schnell trickst man die katholische Kirche nicht aus.
Ein französischer Priester steht mitten in der Kirche und erklärt einer Gruppe älterer Franzosen, dass Gott es war, der Johannes Paul befahl, diese weiteren Medaillons anzubringen.
Der Priester erzählt natürlich auch die Geschichte des heiligen Malachias. Er, der irische Mönch und Bischof, hatte vorausgesagt, dass der jetzt zu wählende Papst der letzte sein würde. Dann würde die Sieben-Hügel-Stadt Rom zerstört werden und ein „furchtbarer Richter“ werde erscheinen.
Viele Kirchenhistoriker haben die Prophezeiungen des heiligen Malachias längst als Fälschung entlarvt. Offenbar hatte da im 16. Jahrhundert der entrückte Philipp Neri die Hände im Spiel. Er war es, der an Pfingsten von einer feurigen Kugel aus dem Himmel getroffen wurde. So vom Geiste Gottes in Besitz genommen, mischte er sich mit seinen Prophezeiungen in die Intrigen einer Papst-Wahl ein.
“Ihr wisst weder Tag noch Stunde“
Doch Verschwörungstheoretiker und Weltuntergangspropheten geben nicht auf. Aus den Texten von Malachias gehe nicht mit Sicherheit hervor, dass der kommende Papst der letzte sein werde. Es sei durchaus möglich, dass noch einer dazwischengeschoben werde. Erst dann folge der „Petrus Romanus“ - und mit ihm der schaurige Weltuntergang.
Diese Interpretation würde zusammenpassen mit der Anzahl der leeren Medaillons, die bis 2005 in der Basilika noch zur Verfügung standen. Auch der französische Priester hält wenig von Malachias. Niemand wisse, wann das Jüngste Gericht stattfinde. Er weist seine Zuhörer auf das Matthäus-Evangelium hin. „Ihr wisst weder Tag noch Stunde.“
Die Männer und Frauen aus Südfrankreich sind erleichtert. Fröhlich verlassen sie die Basilika und kaufen noch einige Postkarten. Vor der Kirche, auf dem Parkplatz, stehen zwei ältere Männer aus Bayern. Sie halten ein selbstgemaltes Transparent in die Höhe: „Danke Benedikt“.