Während Jahrzehnten war beim indischen Publikum der populärste Maharadscha ein possierliches kleines Männchen mit einem diamantenbesetzten Turban. Seine Figur – klein, dick, flink – erinnerte zudem an den populärsten Gott im indischen Pantheon, den Elefantengott Ganesch. Dies allein garantierte dem Weltenbummler die nötige Aufmerksamkeit des Publikums.
Dabei war der kleine Maharadscha weder eine historische Person noch der kollektiven Imagination der Inder entsprungen. Er kam aus der Retorte der PR-Abteilung der Fluggesellschaft Air India. Während Jahrzehnten war er dessen Maskottchen. Er half mit, diese zu einer nationalen Institution zu machen – zu einer Zeit, als nur der Bruchteil eines Bevölkerungsprozents je das Innere des fliegenden Maharadscha-Palastes zu sehen bekam.
Der Air India-Maharadscha wurde auch ein globales Markenzeichen der Fluglinie, als ihre Eigentümerin, die Tata-Firmengruppe, Mitte der fünfziger Jahre internationale Flüge anzubieten begann. Die Tatas waren damals bereits nicht mehr Besitzer von Air India. 1948 hatte die indische Regierung den Luftverkehr verstaatlicht. J. R. D Tata, das Oberhaupt der Firmendynastie und Firmengründer, wurde mit dem Chefposten abgespeist.
Hauch von Exotik und Aristokratie
Es war nicht der erste Streit, den „Jeh“ Tata mit der Politik ausfocht – und es sollte auch nicht der letzte sein. Er hatte die Fluglinie zusammen mit einem südafrikanisch-britischen Flug-Enthusiasten namens Nevill Vintcent 1932 gegründet. „Tata Airlines“ begann mit einem Postflug Karachi–Bombay–Hyderabad–Madras. Tata flog die „Puss Moth“ nach Bombay, dort übernahm Vintcent den Steuerknüppel. Zehn Jahre später hatten die Air India-Dakotas auf ihren Passagierflügen bereits den besseren Ruf als die „Imperial Airways“ der Kolonialmacht.
Tata wusste, dass er in Sachen Flugzeugpark und Passagieraufkommen mit den damaligen Platzhirschen BOAC, TWA, Panam und KLM nicht mithalten konnte. Er konnte es nur mit Servicequalität tun. Da kam das Maharadscha-Männchen gerade recht. Das Gleiche taten die Ausstattung und Bedienung im „Palace in the Sky“, sowie die besten Adressen für die Air India-Büros: New Yorks 555 Fifth Avenue, die Bond Street in London, und in Zürich musste es die Bahnhofstrasse 1 sein.
Für Tata war die Firma wie sein eigenes Kind, auch wenn sie inzwischen einen anderen Ziehvater hatte. Mit seiner Gattin Thelma kümmerte er sich um jedes Detail, von den Stewardessen-Uniformen bis zum Besteck und den Geschenken für Erstklass-Passagiere (er liess von Salvador Dali Aschenbecher anfertigen). Air India besass die erste Flotte weltweit, die ausschliesslich mit Düsentriebwerken bestückt war. Während Jahren lag die Fluglinie in den Umfragen des Londoner Daily Mail bezüglich Pünktlichkeit und Bedienung an erster Stelle.
Langer Sinkflug
Zum kulinarischen On-Board-Angebot gehörte natürlich auch der Wein. Als 1978 mit Morarjee Desai ein Anhänger des Alkoholverbots Premierminister wurde, sollte dieses auch in den fliegenden Palästen zur Anwendung kommen. J. R. D.Tata widersetzte sich der Order und wurde kurzerhand entlassen.
Es war der Beginn eines langen Sinkflugs, der längst in einem Crash geendet hätte, wenn der Staat seinem „Flag Carrier“ nicht mit immer grösseren Beträgen unter die Flügel gegriffen hätte. Wie die meisten verstaatlichten Firmen wurde auch Air India von den Wirtschaftsreformen der letzten dreissig Jahre ausgeklammert und durfte ungestraft Schulden aufhäufen. Das Jahr 2007 war das letzte, in dem sie noch einen operationellen Gewinn auswies. Dann wurde sie kurzerhand mit der defizitären Indian Airlines vereint – und die Schulden explodierten.
Der Hauptgrund für die Turbulenzen war die politische Kontrolle der Fluglinie. Gefügige Bürokraten wurden in die operationelle Leitung berufen und Politiker sassen im Aufsichtsrat. Es war eine Grossfirma mit über zehntausend Angestellten, die als hauseigener Fahrzeugpark gehalten wurde – und nebenbei auch zahlende Passagiere aufnahm. Zwei Jumbo Jets mit ihren Crews im Standby-Modus stehen ununterbrochen für Auslandflüge des Premierministers oder Staatspräsidenten bereit – der zweite kommt im Fall einer Panne des ersten zum Einsatz.
Demoralisierung der Belegschaft
Eine Bekannte in Bangalore erzählte mir vor Jahren von einem Flug, auf dem sie gebucht war. Er wurde kurzfristig gestrichen, und sie musste einen halben Tag lang auf einen Ersatzflug warten. Später erfuhr sie, dass die Maschine vom Büro des Luftfahrtministers requiriert worden war. Der Grund: er liess seine Familie auf die Lakkadiven-Insel fliegen.
Die Demoralisierung der Belegschaft resultierte in immer häufigeren technischen Zwischenfällen – einige von ihnen mit fataler Wirkung. Arbeitsabsenzen blieben ungestraft, chronische Verspätungen wurden zur Regel, man bereicherte sich am Familiensilber. (In den ersten Jahrzehnten war Air India die grösste Käuferin von moderner indischer Kunst, die J. R. D.Tata in den Firmenvertretungen ausstellte. Niemand weiss heute, wie viele der 4000 Kunstwerke verschollen sind, sprich: von Angestellten als „Dauerleihgaben“ entwendet wurden).
Seit 2009 hat der Staat nicht weniger als 14 Milliarden Dollar in die leeren Air-India-Kassen gespült. Jeden Tag verliert die Fluglinie zweieinhalb Millionen Dollar. Mit dem Verblassen des Air-India-Sterns wurden diese jährlichen Finanzspritzen immer mehr zu einem Politikum. Als erste versuchte 2001 die BJP-Regierung von A. B. Vajpayee, die Fluglinie zu (teil-) privatisieren; die Bedingungen waren aber so wenig attraktiv, dass sich alle Interessenten zurückzogen. Zudem war es dem Besitzer der privaten Jet Airways gelungen, ein gemeinsames Angebot der Tata-Gruppe mit Singapore Airlines zu hintertreiben; er hatte erfolgreich für den Ausschluss ausländischer Anbieter lobbyiert.
Dem Steuerzahler aufgebürdet
Im Jahr 2018 machte die Modi-Regierung einen neuen Anlauf. Wiederum scheiterte der Versuch. Es wurde kein einziges Angebot hinterlegt. Immer noch insistierte die Regierung auf einer Sperrminorität im Gesellschaftskapital, der Übernahme der gesamten Belegschaft und eines substanziellen Teils der Schuld von 7,5 Mia $.
Man muss der Regierung zugutehalten, dass sie für einmal vor der Realität nicht die Augen verschloss. Drei Jahre später machte sie erneut ein Angebot: Air India wird zu 100 Prozent verkauft; die Belegschaft muss nur für ein Jahr gehalten werden, und der Käufer kann selber bestimmen, wie viele Schulden er übernehmen will.
Von den zwei Interessenten hat sich nun die Tata-Gruppe durchgesetzt. Sie bezahlt dem Staat 2,2 Mia $, davon 350 Millionen in Cash und den grossen Rest in Form einer Schuldübernahme (etwa ein Viertel der gesamten Debitoren). Mit anderen Worten: Die dem Staat verbliebene Schuld von über 5 Mia.$ wird einmal mehr dem Steuerzahler aufgebürdet, es sei denn, die dem Staat verbliebenen Sachwerte (darunter die x-tausend Gemälde) werden diesen Schuldenberg etwas reduzieren.
Schwäche für Hersteller schneller Transportmittel
Über diesen Deal wurde vereinzelt Kritik geäussert. Aber insgesamt war das Echo äusserst positiv. Wenn es eine Firma gebe, die Air India wieder neues Leben einhauchen kann, so die allgemeine Ansicht, dann sind es die Tatas. Nach ihrem erfolglosen ersten Angebot vor zwanzig Jahren hatten sie ihr Fluggeschäft wieder aufgenommen. Sie sind mit Singapore Airlines zur Hälfte an der innerindischen Fluglinie Vistara beteiligt. Zudem besitzen sie die Mehrheit an Air Asia India, einer Tochtergesellschaft der malaysischen Air Asia. Sie können also hoffen, mit diesen nationalen Standbeinen Synergien für die defizitäre Air India zu schaffen.
Zudem kann man davon ausgehen, dass die Muttergesellschaft Tata Sons alles daransetzen wird, die verlorene Ehre ihres „Babys’ wiederherzustellen. Und wenn dies einer Person zugetraut wird, dann Ratan Tata, dem Chairman Emeritus und Ziehsohn von J. R. D.Tata. Obwohl 83-jährig und nicht mehr im operationellen Geschäft, kontrolliert er über die Tata-Stiftungen, deren Präsident er ist, sechzig Prozent des Kapitals der Holdinggesellschaft Tata Sons.
Ratan Tata ist selber Pilot, und er hat schon immer eine Schwäche für Hersteller schneller Transportmittel gezeigt. Investitionen in solche „Legacy“-Sektoren mit umweltschädigender Schlagseite haben die Gesamtfirma aber in die Kritik (und finanzielle Schieflage) gebracht. Dazu gehört etwa das Billigautoprojekt Nano, das inzwischen aufgegeben wurde. Auch die Übernahme der britischen JLR (Jaguar/Rover) durch Tata Motors wird immer mehr zur Hypothek, ebenso wie ein koreanisches Joint Venture für Lastwagen.
Der kleine Maharadscha wird wohl kaum zu den weitergepflegten „Legacies“ gehören. Zwar wurden ihm schon mehrere kosmetische Eingriffe und Kleiderwechsel verpasst. Er ist erwachsen geworden und gibt sich auf den Plakaten vor dem Air-India-Geschäftssitz in Mumbai als schlanker Geschäftsmann mit Krawatte und Attaché-Köfferchen. Aber auch dies wirkt inzwischen reichlich gestrig. Wer weiss, vielleicht verhilft ihm Ratan Tata zu einer Inkarnation mit Gender Fluidity – Indiens Götter-Galerie hätte da gleich mehrere Avatars anzubieten.