Die Lega Nord ist eigentlich keine Partei. Sie war ein Königshof mit einem Sonnenkönig. Ihm lag das Parteivolk zu Füssen. Dieser Sonnenkönig war das Blut der Partei. Ohne ihn ging gar nichts. Die Partei war er. Er war die Partei.
Doch dann kam der April dieses Jahres. Der Sonnenkönig, seine Frau, sein Sohn und mehrere seiner engsten Huldiger wurden schwerster Korruption überführt. Der italienische Staat verteilt den politischen Parteien Steuergelder, damit sie existieren und arbeiten können: damit die demokratischen Auseinandersetzungen funktionieren. Ein Teil dieser Steuergelder wanderten in die privaten Schatullen des Hofstaats, auch in jene des Königs.
Schwere Einbrüche
Der Skandal erschütterte die Partei, sie, die offiziell immer noch für ein unabhängiges Norditalien kämpft. “Der Norden zuerst” heisst ihr Schlagwort. Sie wehrt sich dagegen, dass ihre Steuergelder im süditalienischen Mafia-Sumpf versickern. Man kann dafür ein gewisses Verständnis haben.
Der Traum der “Leghisten” (der Anhänger der “Lega”) ist ein Staat “Padanien”. Dieser soll die Lombardei, das Piemont, die Emilia Romagna, Venetien, Friaul und das Trentino umfassen. “Padanien” leitet sich vom Adjektiv “padano” ab, zum Fluss Po gehörend.
Die Partei, die in einzelnen norditalienischen Gemeinden über 40 Prozent der Stimmen einfuhr, wusste nach dem Skandal weder ein noch aus. Die jüngsten Lokalwahlen haben ihr schwere Einbrüche beschert. Immer wieder hatte sich die Lega als Saubermacher-Partei aufgeschwungen und die korrupten Machenschaften in Zentral- und Mittelitalien angeprangert. Dass jetzt ausgerechnet die Lega schwerster Korruption überführt wurde, mochten viele Wählerinnen und Wähler nicht mehr schlucken.
Neues Logo
Die Frage war nun: Was geschieht mit dem Sonnenkönig? Er, Umberto Bossi, trat fürs Erste zurück. Dann liess er durchblicken, dass er erneut kandidieren könnte. Bossi war es, der Anfang der Achzigerjahre die Lega gegründet hatte. Er war damals in den italienischen Senat gewählt worden; deshalb bezeichnen ihn noch heute die italienischen Zeitungen als “Senatur” – der lombardische Ausdruck für Senator.
Doch nun werden diese E-Mails verschickt. Sie weisen die Parteisektionen der Lega darauf hin, dass das bisherige Logo der Partei nicht mehr gültig ist. Das Logo zeigt den stolzen Alberto da Giussano. Er war der Anführer des Lombarden-Bundes. Am 29. Mai 1176 hatte er in der Schlacht bei Legnano das Heer von Kaiser Friederich I. Barbarossa geschlagen.
Unterhalb von Alberto da Giussano stand der Name “Bossi”. Die Lega war Bossi, Bossi war die Lega.
Jetzt weist das Zentralsekretariat der Lega die Regional- und Lokalgruppierungen darauf hin, dass ab sofort ein neues Logo gilt: Der Name “Bossi” wurde ersetzt: durch “Padania”.
”De-bossizzazione”
Natürlich spielt die Partei den Namenswechsel herunter. Es handle sich keineswegs um eine Säuberung oder eine “De-bossizzazione”. Den Namen “Bossi” im Logo gebe es übrigens erst seit vier Jahren.
Trotz dieser beschwichtigenden Worte: die “De-bossizzazione” ist im vollem Gang. Man kann nicht mit einem Parteichef Wahlen gewinnen, der Millionen abgezweigt hat und dessen Sohn sich mit Steuergeldern teuerste Autos leistete und sich sogar Verkehrsbussen bezahlen liess.
Für kurze Überraschung sorgte jetzt auch dies: Auf der Homepage der Lega war das Foto von Bossi plötzlich verschwunden. Doch nicht für lange. “Das war ein technischer Zwischenfall und kein politischer”, kommentierte Maroni. Jetzt ist Bossi wieder da, mit Zigarre – wie eh und je. Seltsam, dass so etwas passieren kann.
Die Lega ist nicht mehr Bossi. Vor zwei Wochen hat die Partei einen neuen Parteichef gewählt: Roberto Maroni, der Mann mit dem roten Brillengestell und der meistens grünen Krawatte. “Maroni übernimmt das Steuer des maroden Lega-Karrens” titelten die Südtiroler News.
Zu fünf Monaten verurteilt
Maroni war bisher die Nummer zwei in der Partei. Unter Berlusconi war der gelernte Rechtsanwalt zwei Mal Innenminister und ein Mal Arbeitsminister. Weil er in den Neunzigerjahren für die Abtrennung Norditaliens von Italien kämpfte, war er zu fast fünf Monaten Gefängnis verurteilt worden.
Er gehört zu weniger lauten der oft rüpelhaft auftretenden Lega-Politiker. Doch auch Maroni beherrscht die populistischen Gifteleien. Wird es ihm gelingen, die Partei vor dem Zusammenbruch zu retten? Das steht keineswegs fest. Zusammen mit Flavio Tosi, dem Bürgermeister von Verona, und dem Piemontesen Roberto Cota will er das fast unmöglich Scheinende möglich machen.
Natürlich wird man Bossi nicht endgültig entsorgen. Er wird weiterhin als “Ehren”-Gast da und dort auftreten. “Radio Padania libera” präsentiert ihn nach wie vor in grünem Pullover auf der Frontseite ihres Internet-Auftritts.
Das Rütli der Lega
Auch im Städtchen Pontida wird er wohl präsent bleiben. Auf einer Wiese am Eingang des Ortes prangt in riesigen Lettern das verklärte Wort “Bossi”. Pontida liegt zwischen Bergamo und Mailand. Die Lombarden hatten dort im 12. Jahrhundert ihren Bund gegründet und geschworen, gegen fremde Mächte zu kämpfen. Pontida ist für die Lega das Rütli.
Jährlich hatte Bossi dort im Sommer seine Generalaudienz zelebriert. Aus ganz Norditalien störmten seine Jünger zusammen und lauschten seiner Bergpredigt.
Maroni, der entschlossen ist, mit der Vergangenheit zu brechen und radikal neu zu beginnen, hat mit dem Gedanken gespielt, das traditionelle Hochamt von Pontida abzusagen. Doch er stiess in der Partei auf Granit. So findet denn auch dieses Jahr im August die Pilgerfahrt von Pontida statt. Maroni rettete sich mit der Kehrtwendung: “Wer sagt, Pontida werde abgeblasen, hat zuviel getrunken”. Fast sicher ist, dass Bossi im August auftreten wird.
Doch zu viel Bossi ist nicht gut. Spätestens im nächsten Frühjahr finden Wahlen statt. Die Lega zittert schon jetzt. Wenn der Trend der letzen Jahre – und vor allem der letzten Wochen - anhält, wird die Partei zu einem Mauerblümchen-Klub.
Das Gepolter geht vielen auf die Nerven
Der Grund für den Niedergang der Lega ist nicht nur der jüngste Skandal. Das unfruchtbare Gepolter der Partei geht vielen Norditalienern immer mehr auf die Nerven. Denn die Polterei hat wenig eingetragen: erreicht hat Bossi eigentlich kaum etwas. Auch andere populistische Gruppen mussten die Erfahrung machen: Die laute Klappe allein genügt nicht.
Die Forderung nach einem unabhängigen Norden ist noch immer offiziell in den Statuten festgeschrieben. Auf der Homepage der Lega steht in grosser Schrift “Lega Nord, per Indipendenza della Padania”. Und immer wieder “Prima il Nord”. Diese Forderung erscheint vielen Norditalienern in der heutigen Zeit als kindisch. Norditalien gehört zu Italien.
Auch die fremdenfeindlichen Ausfälle werden immer weniger goutiert. Gerade die Wirtschaft und vor allem die Industrie im Norden lebt von billigen ausländischen Arbeitskräften. Die norditalienischen Fabriken ohne Rumänen, Bulgaren, Serben, Bosnier, Albaner und Afrikaner würde zusammenbrechen.
Keine Küsse für Bossi
Gefahr lauert der Lega jetzt auch von der neuen Bewegung “5 stelle” von Beppe Grillo. Von den etablierten Parteien wird Grillo als Clown verschmäht. Doch gerade die Lega täte gut daran, ihn ernst zu nehmen. Bei den jüngsten Gemeindewahlen hat Grillo einen grossen Sprung nach vorn getan. In der Stadt Parma, im Herzen Padaniens gelegen, eroberten die fünf Sterne das Bürgermeisteramt. “5 stelle” scheint sich heute als Protestpartei besser zu eignen als die Lega.
Zum Festen ist Maroni und Co. im Moment wahrlich nicht zumute. Einer der Höhepunkte im Festkalender der Lega war jedes Jahr die Wahl einer “Miss Padania”. Die auserkorene Schöne wurden von “Tele Padania” gefilmt. Und sie durfte Umberto Bossi küssen. Die Miss-Wahl wurde dieses Jahr abgesagt.