Doch das mit grossem Medienaufwand präsentierte Vorhaben stand unter keinem guten Stern. Die Kartierung von 623 islamischen Verbänden, Organisationen und Moscheen in Österreich unter Angabe der Adressen, Verbindungen und einer Einschätzung ihrer «ideologischen Position», provozierte zum einen Kritik der liberalen Öffentlichkeit und bot zum anderen rechten Aktivisten die Plattform für eine antiislamische Propagandashow. Prompt kam die Frage auf, ob die Landkarte auch noch das Modell für Deutschland oder die Schweiz sein könne.
Ein Grundsatzpapier im Dezember
Erstellt hatte die Landkarte die Dokumentationsstelle für den politischen Islam, die 2020 als Staatsfonds mit Mitteln des Integrationsministeriums eingerichtet worden war. Sie solle einen religiös motivierten politischen Extremismus (den «politischen Islam») wissenschaftlich erforschen, dokumentieren und die entsprechenden Ergebnisse für die Öffentlichkeit aufbereiten.
Dieser Kontext macht klar, dass die Islamlandkarte vor allem dazu dient, eine Topographie des «politischen Islam» in Österreich zu erstellen. Im Dezember 2020 veröffentlichte die Dokumentationsstelle ein erstes Grundsatzpapier unter dem Titel «Der Politische Islam als Gegenstand wissenschaftlicher Auseinandersetzungen und am Beispiel der Muslimbruderschaft». Es definiert den «Politischen Islam» als «eine Herrschaftsideologie, die die Umgestaltung bzw. Beeinflussung von Gesellschaft, Kultur, Staat oder Politik anhand von solchen Werten und Normen anstrebt, die von deren Verfechtern als islamisch angesehen werden, die aber im Widerspruch zu den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaates und den Menschenrechten stehen».
Keine wissenschaftliche Definition
Dabei handelt es sich um eine politische, nicht um eine wissenschaftliche Definition. Sie erlaubt offensichtlich keine Option für einen politischen Islam, der nicht rundweg abzulehnen wäre, der Menschenrechte nicht verletzen oder «schleichend» versuchen würde, die Demokratie auszuhebeln. Daher muss die Dokumentationsstelle zwischen «Politischem Islam» als «Herrschaftsideologie» und «einer politischen Partizipation bzw. einem gesellschaftlichen Engagement von Muslimen, um die Gesellschaft mitzugestalten», unterscheiden.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist eine solche politische Bestimmung unhaltbar. Sie hat daher allenfalls bei denjenigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern Konjunktur, die für staatliche Stellen und Ämter Analysen schreiben und die es der Politik ermöglichen wollen, als tatkräftiger Akteur gegen Terrorismus, religiöse Gewalt und religiösem Fundamentalismus aufzutreten. So verwundert es nicht, dass die Verantwortlichen der Dokumentationsstelle mit Vorliebe ihre eigenen Forschungen zitieren und selbst die Ergebnisse von grossangelegten fachwissenschaftlichen Studien ignorieren.
Das betrifft auch den etwa 2005 im Verfassungsschutzjargon geprägten Ausdruck «legalistischer Islamismus», der politisch Kompetenz andeuten soll und im Grunde die politische Haltung islamischer rechtskonservativer und rechtspopulistischer Kreise bezeichnet. Damit wird das Feld des Politischen Islam ziemlich weit ausgedehnt, denn eine klare Definition dessen, was ein «legalistischer Islamismus» sei, gibt es nicht. Allenfalls wird auf die üblichen Verdächtigen verwiesen, etwa auf die Muslimbrüder oder auf Millî Görüş.
Vermeintliche Orte des politischen Islam
Irritierend ist, dass die topographische Kartierung des Islam als Religionsgemeinschaft über das Verzeichnis von islamischen Vereinen und Moscheen erfolgt und dass Informationen zu diesen Institutionen in der Kurzbeschreibung wie Steckbriefe daherkommen. Das bestätigt ein in der Öffentlichkeit vorherrschendes Bild von dem, was die islamische Religionsgemeinschaft vermeintlich repräsentiert: Der Islam erscheint als die Gesamtheit der Institutionen, Vereine und Trägergruppen von Moscheen, und eben nicht als sehr plurale Lebens-, Glaubens- und Kultwelt von Menschen. Den Islam konstituieren dann nicht mehr Menschen, sondern Institutionen. Da in der Öffentlichkeit der Islam schnell mit bestimmten Institutionen in Verbindung gebracht wird (gerade in Österreich mit den Muslimbrüdern), dient die Karte als Instrument, verdächtige Institutionen zu identifizieren. In politisch aufgeladenen Situationen können solche Karten sogar dazu dienen, diese als «Ziele» zu identifizieren.
Die Karte kann nicht ansatzweise den deklarierten Zweck erfüllen, Auskunft über die innerösterreichische Diversität der islamischen Religionsgemeinschaft zu geben. Diversität wird hier allein institutionell definiert und die Differenzierungskriterien (Bundesland, Ort, Dachverband, Kulturgemeinde, Nationalität) werden entsprechend dem typischen Blick von aussen und nicht der Sichtweise muslimischer Gemeinden gefasst.
Auch religionssoziologisch ist eine solche Kartierung eher problematisch. Die Karte kann keine Auskunft darüber geben, wie die soziale Reichweite der Institutionen aussieht, wie ihre Beziehung zur lokalen Kultgemeinde gestaltet ist und welche Funktionen die erfasste Institution in der Kultgemeinde ausübt. In der Öffentlichkeit wird dann schnell eine Gemeinde mit der Trägergruppe gleichgesetzt, obwohl man weiss, dass muslimische Kultgemeinden vor Ort niemals mit dem Charakter der Institutionen, die eine Moschee «trägt», gleichgesetzt werden kann und darf. Damit wird unterstellt, dass Moscheen der politische Ort eines islamischen Extremismus seien.
Einsprüche
Einige muslimische Verbände in Österreich wie die Muslimische Jugend Österreich erwägen, gegen die Veröffentlichung der Islamlandkarte Klage zu erheben. Doch damit verschieben sie die Problematik der virtuellen Karte. Das Fragliche sind ja nicht die Informationen an sich; die Orte sind zum Beispiel über eine Internetrecherche auch via Kartendienste schnell und zum Teil besser als auf der Islamlandkarte der Dokumentationsstelle zu identifizieren und liefern sogar Bilder und Strassenansichten. Auch die Adressen sind meist bekannt.
Problematisch ist ähnlich wie bei gewissen sozialen Medien die Verknüpfung der Informationen, so dass in der Öffentlichkeit schnell der Eindruck erweckt wird, hier gäbe es Netzwerke von islamischen Institutionen, die nun aufgrund der erhobenen Informationen auf ihre «Treue zu Staat und Gesellschaft» hin überprüft werden müssen. Die Landkarte bietet damit auch Laien die Möglichkeit, selbst solche «Netzwerke» zu recherchieren und gegebenenfalls gegen einzelne Institutionen vorzugehen (was ja schon geschehen ist).
Den Islam kartieren?
Religionssoziologische Kartierungen des Islam, die der Öffentlichkeit ein räumliches Bild des Islam in einer Gesellschaft vermitteln sollen, dürfen nicht auf der Erfassung von Institutionen beruhen, sondern müssen Kriterien aufgreifen, die von Musliminnen und Muslimen selbst als passend empfunden werden. So könnte man durch eine quantitative Forschung versuchen zu kartieren, wo der Islam für Einzelne eine grössere oder geringere lebensweltliche Bedeutung hat, wo Menschen mehr oder weniger an gemeinschaftlichen Kulthandlungen teilnehmen, wie gross muslimische Gemeinden im Verhältnis zu anderen Religionsgemeinschaften sind und welche soziale Reichweite sie haben, alles Fragen, die man auch christlichen oder jüdischen Religionsgemeinden stellen könnte und auch würde.
Doch solche Arbeiten dauern lange und sind kostspielig. Die Islamlandkarte der Dokumentationsstelle hingegen konnte inklusiver technischer Implementierung innerhalb von wenigen Monaten hergestellt werden. Das vermittelt nicht gerade den Eindruck von Professionalität und Seriosität.
Die institutionelle Kartierung des Islam bestätigt natürlich auch die Überzeugung, dass über eine Kartierung ein «Politischer Islam» identifiziert werden könne. Die Karte geht davon aus, dass religiöse Stätten Orte des «Politischen Islam» sind. Dies wird aber nur für den Islam vermutet. Andere Religionsgemeinschaften würde man nie so kartieren. Allein die Vorstellung, man würde die jüdischen Gemeinden durch ein Verzeichnis der jüdischen Gemeindeorganisationen und Synagogen in einer Landkarte abzubilden suchen, lässt einen erschauern. Geradezu abstrus ist die Vorstellung, dass islamisch gewendet politische Vorstellungen einen fixen institutionellen Ort in Form von Moscheen hätten.
Üblicherweise würde man politische Vorstellungen beispielsweise danach kartieren, ob und in welchem Umfang sich Menschen einer bestimmten Vorstellung zugehörig fühlen. Dies wird gemacht, wenn Parteienpräferenzen, die sich in Wahlen zeigen, oder die Reichweite des Netzwerks einer bestimmten Organisation kartiert werden. Man könnte zum Beispiel eine Karte anfertigen, die zeigt, wie gross der Anteil von Menschen, die sich in verschiedenen Regionen einer Gemeinschaft wie Millî Görüş zugehörig sehen, an der Gesamtheit der sich dort als Muslime verstehenden Menschen ist. Man könnte auch eine Liste von Einrichtungen, die von Millî Görüş geführt werden, ähnlich wie es Listen gibt, die Einrichtungen des Opus Dei in Deutschland zusammenstellen. Nur: eine solche Karte würde nichts über die muslimischen Gemeinden aussagen und wäre im Grunde bedeutungslos.
Und in der Schweiz?
Aus oben genannten Gründen wäre ein solches Projekt auch für die Schweiz völlig abwegig. Es wäre ein rein politisches Projekt, das eine öffentliche Steuerung des «Islam» auch durch die Exekutive ermöglichen soll. Doch die Gouvernanz einer Religionsgemeinschaft und gerade der islamischen Religionsgemeinschaft kann niemals über die öffentliche und diskursive Kontrolle über ihre Institutionen erfolgen. Wir wissen, dass in der Schweiz (und das dürfte in Österreich nicht anders sein) nur knapp 10 Prozent der Musliminnen und Muslime an bestimmte Gemeinden angebunden sind. Die Institutionen repräsentieren also nicht und in keiner Weise das tatsächliche muslimische Leben im Land. Der Begriff «Islamlandkarte» ist damit irreführend.
Auch die Forderung nach einem öffentlichen Register für muslimische Imame geht in die falsche Richtung. Die Forschung hat gezeigt, dass die «Verbreitung von extremistischem Gedankengut», wie der schweizerische Bundesrat es nennt, nicht primär über Imame erfolgt. Imame dienen allenfalls als Resonanzboden für einen schon bei Einzelnen verankerten religiösen Extremismus. Entscheidend wäre demnach, die religiöse Bildung der Imame so zu vertiefen, dass sie diese Funktion nicht mehr erfüllen können.
Die Geographie des Islam
Geographisch lässt sich der Islam als Religionsgemeinschaft nur durch die Erfassung der Menschen, die sich als Musliminnen und Muslime verstehen, abbilden. Dies gilt auch für bestimmte Teilaspekte der islamischen Religionsgemeinschaft, zum Beispiel für bestimmte religiöse Netzwerke, die die zivilgesellschaftlichen Potentiale religiöser Migrantengemeinden erfassen helfen (so der Göttinger Religionswissenschaftler Alexander-Kenneth Nagel). Doch die Islamlandkarte der Dokumentationsstelle ist eben nicht das Ergebnis einer Religionsgeographie, die ja die Zusammenhänge zwischen Religion und geographischen Regionen untersuchen möchte. Eine solche Kartierung wäre wissenschaftlich nachvollziehbar und auch für die öffentliche, politische Diskussion relevant. Sie reproduziert sich gerade in der jüngeren Vergangenheit in Konfessionalisierungsprozessen, deren politische Bedeutung ja zum Beispiel im Kontext des Nordirlandkonflikts oder des Kriegs in Libanon manifest geworden sind. Die Erfassung der Territorialität einer islamischen Religionsgemeinschaft durch eine Islamgeographie aber ist eben nicht Gegenstand der Forschungen der Dokumentationsstelle.
Distanzierung der Universität Wien
Es überrascht, dass der wissenschaftliche Beirat der Dokumentationsstelle diese Problematik nicht öffentlich besprochen hat. Vielleicht hat hier der politische Druck der österreichischen Regierungsparteien dazu geführt, dass der Beirat vorschnell dem Bedarf der Politik nach Manifestieren ihres Bemühens, etwas «gegen den religiösen Extremismus» zu unternehmen, nachgekommen ist. Die Universität Wien hat sich von der Aussage der Dokumentationsstelle, bei der Islamlandkarte handele es sich um ein «Projekt der Universität Wien» distanziert.
Die Skepsis ist berechtigt. Die Islamlandkarte ist eben nicht das Ergebnis eines von den Fachwissenschaften selbst initiierten und gewollten Wissenstransfers, sondern der misslungene Versuch, einer politischen Auftragsforschung nachzukommen und den Anforderungen eines politischen Programms, das in einer Koalitionsvereinbarung verabredet wurde, zu entsprechen.