
Jeff Bezos, der schwerreiche Besitzer der «Washington Post», trimmt die Meinungsmacherinnen und Meinungsmacher der Hauptstadtzeitung auf einen Trump- und wirtschaftsfreundlicheren Kurs. Die Redaktion ist entsetzt, das Weisse Haus applaudiert.
Mitte Woche erschien in der «New York Times» ein Artikel ihres früheren Russland-Korrespondenten Peter Baker. Der Aufmerksamkeit erregende Titel: «In Trumps Washington macht sich eine Moskau-ähnliche Kälte breit». Doch, führte Baker aus, der heute im Weissen Haus akkreditiert ist, die Vereinigten Staaten seien keinesfalls mit Russland gleichzusetzen und jeder Vergleich gehe wahrscheinlich zu weit.
Als Waldimir Putin das Präsidentenamt antrat, habe Russland keine Erfahrung mit Demokratie gehabt, während entsprechende amerikanische Institutionen bereits seit fast 250 Jahren existiert hätten: «Für jene von uns, die vor einem Vierteljahrhundert von dort berichtet haben, weckt Mr. Trumps Washington Erinnerungen an Mr. Putins Moskau in den frühen Tagen.»
Begrenzte Vielfalt
Auch in den USA, schrieb Peter Baker, würde Druck auf die Medien ausgeübt, seien Volksvertreter gezähmt und als illoyal eingestufte Bundesbeamte gefeuert worden. Von Donald Trump eingesetzte Strafverfolger, die «Vergeltung» versprochen hätten, würden gegen angebliche Feinde des Präsidenten vorgehen und Verfahren gegen dessen Alliierte und Unterstützer einstellen. Milliardäre, die sich einst als Herrscher des Universums gesehen hätten, würden sich vor ihm verbeugen.
Gleichentags publizierte die «Times» einen Beitrag ihres Medien-Experten über einen jener US-Milliardäre, die unübersehbar um Donald Trumps Gunst wetteifern: Jeff Bezos, den Amazon-Gründer und Besitzer der Raumfahrtfirma Blue Origin. Bezos, Eigentümer der «Washington Post», hatte angekündigt, das renommierte Meinungsressort der Zeitung grundlegend neu auszurichten.
Künftig sollen dort nur noch Meinungsartikel erscheinen, die «persönliche Freiheiten und freie Märkte» propagierten, entgegengesetzte Meinungen zu diesen Themen jedoch keinen Platz mehr finden, sondern von anderen Medien, in erster Linie von Internet-Plattformen, publiziert werden. Die Devise ähnelt jener des «Wall Street Journal», dessen konservative Meinungsmacher sich für «freie Märkte, freie Leute» stark machen.
Hunderttausende Abo-Kündigungen
Der zuständige Ressortleiter der «Post» kündigte; die Redaktion der «Post» zeigte sich über die unerwartete Einmischung schockiert und fassungslos. Weitere Kündigungen dürften folgen, ebenso zahlreiche Abbestellungen von Abonnements, wie im vergangenen Herbst, als Jeff Bezos dem Blatt verbot, einen Artikel zu veröffentlichen, der Kamala Harris zur Wahl ins Weisse Haus empfahl, was innert weniger Tage zu über 250’000 Abo-Kündigungen führte. Auch dieses Mal lassen Reaktionen der Leserschaft in den Kommentarspalten Ähnliches erwarten. Dafür äusserte sich Elon Musk auf X äusserst positiv: «Bravo, @Jeff Bezos!»
Der Stimmung auf der Redaktion war weiterhin nicht förderlich, dass eine Trump-kritische Karikatur von Ann Telnaes nicht erscheinen durfte, wie auch das Inserat einer Washingtoner NGO nicht, das Elon Musk kritisierte – angeblich des eigenwilligen Formats wegen, welches aber früher im Fall einer Anzeige für die amerikanische Ölindustrie niemanden gestört hatte.
Unbemerkt blieb auch nicht, dass Amazon für einen Dokumentarfilm über Melania Trump 40 Millionen Dollar zahlt, wovon 28 Millionen auf das persönliche Konto der First Lady wandern. Oder dass Jeff Bezos bei der Vereidigung Donald Trumps im Capitol zusammen mit Tesla-Chef Elon Musk und Facebook-Gründer Marc Zuckerberg noch vor den Mitgliedern des Kabinetts in der ersten Reihe hinter dem Präsidenten sass.
«Fifi zum Bürgermeister»
Zwar bestreitet in den USA niemand, dass ein Zeitungsbesitzer das letzte Wort hat, was den Inhalt von Meinungsseiten betrifft. «Wenn der Mann, der die Checks ausstellt – es ist fast immer ein Mann – seinen Cocker Spaniel um jeden Preis wirklich im Rathaus sehen will, dann sieht die Leserschaft mutmasslich die Schlagzeile ‘Unsere Wahl: Fifi zum Bürgermeister’ als Aufmacher der Meinungsseite», schreibt Joshua Benton vom NiemanLab der Universität Harvard. Insofern habe Jeff Bezos lediglich sein «droit de seigneur» als Kapitalgeber wahrgenommen.
Doch sei, so Benton, im vorliegenden Fall die Heuchelei atemberaubend. Dies vor allem im Vergleich zu Bezos’ früheren Äusserungen, als er nach der Unterdrückung der Wahlempfehlung für Kamala Harris schrieb, das Schlimmste, was dem Meinungsressort einer Zeitung passieren könne, sei es, als parteiisch wahrgenommen zu werden: «Wir müssen genau berichten und man muss uns glauben, dass wir genau berichten. (…). Wir müssen uns härter anstrengen, um zu kontrollieren, was unsere Glaubwürdigkeit stärkt. (…) Eine Wahlempfehlung aber kreiert lediglich die Wahrnehmung der Einseitigkeit. Eine Wahrnehmung der Nicht-Unabhängigkeit.»
Freiheit über alles
Noch letztes Jahr räumte Jeff Bezos ein, dass die Leute seinen Reichtum und seine Unternehmen entweder als ein Bollwerk gegen Einschüchterung oder als ein Netz widersprüchlicher Interessen sehen können: «Nur meine eigenen Prinzipien können die Waagschalen auf die eine oder andere Seite sinken lassen. Ich versichere euch, dass meine Ansichten hier in der Tat prinzipientreu sind und ich glaube, dass mein Leistungsausweis als Besitzer der ‘Post’ seit 2013 das belegt.» Fragt sich nur, ob die widerspruchlose Verteidigung der freien Marktwirtschaft nicht auch mit der Wahrnehmung eigener Interessen zu tun hat.
«Ich bin von Amerika und für Amerika und stolz darauf», führte Bezos weiter aus: «Unser Land ist nicht gross geworden, indem es durchschnittlich war. Und ein wichtiger Grund für Amerikas Erfolg ist die Freiheit im Bereich der Wirtschaft und in anderen Belangen gewesen. Freiheit ist ethisch begründet – sie minimiert Zwang – und sie ist praktisch – sie fördert Kreativität, Erfindungsgeist und Wohlstand …»
Furcht vor Trump
Marty Baron, bis 2021 Chefredaktor der «Washington Post», räumt ein, dass Jeff Bezos nach dem Kauf der Zeitung die Redaktion nach Jahren des Sinkflugs ausgebaut und neu motiviert hat. Umso enttäuschter zeigt er sich heute nach dem jüngsten Ukas seines einstigen Arbeitsgebers: «Es ist feige. Im Grunde fürchtet er Trump. Er ist zum Schluss gelangt, dass die Meinungsartikel, so ängstlich und lauwarm sie auch gewesen sein mögen, mit Trump doch zu hart ins Gericht gegangen sind.» Künftig seien die Meinungsseiten nicht mehr für alle, sondern nur noch für jene Amerikanerinnen und Amerikaner zugänglich, die gleich denken würden wie Bezos.
Noch gibt es aber laut Baron keine Anzeichen, dass Bezos auch versucht, sich in die reguläre Berichterstattung der Zeitung einzumischen: «Falls es nur das geringste Anzeichen dafür gibt, wird die ‘Post’ alles verlieren – ihre ganze Glaubwürdigkeit.» Auch sei wohl unvermeidlich, dass auch die Berichterstattung Trump künftig stinksauer werden lasse: «Wir sind an einen Punkt gekommen, wo wir keine unterschiedlichen Meinungen mehr haben, sondern wir uns streiten, was die Fakten sind.»
«Democracy Dies in Darkness»
Jeff Bezos war es auch gewesen, der für die «Washington Post» den Slogan «Democracy Dies in Darkness» prägte, der heute stolz die Frontseite der Zeitung ziert: «Demokratie stirbt in Dunkelheit». Auf die Frage, ob es heute nicht eher heissen müsse, die Demokratie sterbe im hellen Tageslicht, antwortet Marty Baron, dem Hollywood im Film «Spotlight» als mutigem Chefredaktor ein Denkmal gesetzt hat, es sei noch zu früh, die Demokratie für tot zu erklären. Es stehe aber ausser Frage, dass sie erodiere: «Ich glaube, die jetzige Regierung verfolgt Massnahmen, welche die Säulen unserer Demokratie untergraben.»
Während Donald Trumps erster Amtszeit hatte sich Baron einst denkwürdig wie folgt verlauten lassen: «Wir sind nicht im Krieg, wir sind an der Arbeit.» Das gelte, sagt er, auch heute wieder: «Unser Job als Journalistinnen und Journalisten ist es, der Öffentlichkeit zu sagen, was sie wissen muss und zu wissen verdient, um sich selbst regieren zu können. Falls wir zur Überzeugung gelangen, dass wir Krieger in einer Art andauernden Schlacht mit der Regierung sind, verheddern wir uns in einer Falle, in die uns die Regierung tappen lassen will – eine Falle, die es ihr erlaubt, uns als politische Gegner und nicht als unabhängige Vermittler von Fakten zu zeichnen.»
Amerikas Oligarchie
Robert Reich, Arbeitsminister unter Bill Clinton, kommt im «Guardian» zum Schluss, wenn Amerikas Oligarchen wie Jeff Bezos von «Freiheit» sprächen, würden sie in Tat und Wahrheit die Freiheit meinen, niemandem Rechenschaft ablegen zu müssen: «Sie sind Oligarchen. Sie fahren fort, den Reichtum der Nation abzusahnen. Sie unterstützen einen Tyrannen, der ihnen Steuersenkungen und den Abbau von Regulierungen verspricht, die sie noch reicher werden lassen.» Laut dem Wirtschaftsmagazin «Forbes» galt Jeff Bezos mit einem Vermögen von 197 Milliarden Dollar 2024 hinter Elon Musk als zweitreichster Amerikaner.
Wenig wahrscheinlich, wie die Medienkolumnistin des «Guardian» vorschlägt, dass Jeff Bezos die «Washington Post» an jemanden verkauft, «der versteht, was es heisst, einen nationalen Schatz zu besitzen». Eher ein Zufall dagegen, dass die «New York Times» am selben Tag, an dem sie über Jeff Bezos Anordnung berichtete, eine Kritik über einen 92-minütigen Dokumentarfilm publizierte, der Katherine Graham gewidmet ist, jener mutigen Verlegerin, die in den 1970er-Jahren die «Washington Post», wohlgemerkt als Frau, unerschrocken durch die Stürme der Pentagon Papers und von Watergate steuerte und den Weltruf der Zeitung begründete.
Grosse Besitzerin
«Grosse Besitzer helfen ihren Reportern und Redaktoren, die dunkelsten Ecken der Gesellschaft hell auszuleuchten», sagte «Post»-Chefredaktor Ben Bradlee bei Katherine Grahams Beerdigung am 24. Juli 2001 in der National Cathedral in Washington DC: «Grosse Zeitungen brauchen grosse Besitzer. Punkt. Eine Besitzerin, die sich mit Leidenschaft sowie höchsten Standards und Prinzipien einer simplen Suche nach der Wahrheit verschreibt – mit Leidenschaft, ohne Bevorzugung, mit Fairness und Mut.» Tempi passati.