A WORK OF ART WITHOUT EMOTION IS NOT A WORK OF ART: Dieser Schriftzug, ein Auftrag des Galerievereins Winterthur, leuchtet auf der Rückseite des Kunst Museums Reinhart am Stadtgarten in hellem Licht über der zweiten Etage. Die nüchtern und emotionslos anmutende Schrift redet von Emotionen und nennt sie ein entscheidendes Kriterium jedes Kunstwerks: Eine Einsicht, die sich fraglos durch die Jahrhunderte zieht. Fraglos? Eben nicht, denn die kompromisslos harte Aussage findet über der Fassade am auf der gegenüberliegenden Parkseite stehenden Gebäude des Museums beim Stadthaus eine Weiterführung: ARE YOU SURE?
Bethan Huws’ eben vollendetes Werk geht auf einen Wettbewerb mit prominenter Beteiligung (Matt Mullican, Karin Sander, Sylvie Fleury, Simon Starling) zurück. Die Schriftzüge suchen, so wollten es Museum und Galerieverein, eine organische Verbindung zwischen den beiden Gebäuden der gleichen Institution. Sie leuchten in der Nacht und verweisen mit Nachdruck auf die Bedeutung dieses kulturellen Ortes. Doch das allein wäre ein rein formales Statement. Und das liegt der Künstlerin fern, denn sie liebt das Spiel mit verschiedenen Ebenen, mit sich überlagernden Bedeutungen, mit Medien und Ausdrucksformen. Sie bedient sich in ihren Werken seit dreissig Jahren der Sprache, der Typographie, des Bildes, der Skulptur, des Films, der Installation, des Konzepts.
Der kreative Zweifel
Im Winterthurer Beispiel stellt die 1961 geborene Künstlerin uns einen Satz voller inhaltsschwerer Begriffe aus dem Umfeld der Kunst vor. Der Satz ist eine rigide Behauptung zum Wesen der Kunst. Handkehrum zieht sie mit einer einfachsten Frage das Gesagte in Zweifel: „Sind Sie sicher?“ Womit, wer sich da auf der gepflegten Rasenfläche zwischen den prominenten, grossbürgerliches Kulturbewusstsein ausstrahlenden Repräsentationsgebäuden aufhält, hochgradig irritiert wird: Stimmt gar nicht, was die Künstlerin eben sagte? Wer bin ich, dass ich das bezweifeln soll? Was sind meine Argumente? Was die Gegenargumente?
Bethan Huws gibt sich nicht als Lehrmeisterin, die um das Richtige weiss. Sie öffnet mit den beiden Textelementen vielmehr einen Raum, in dem unser Denken über das Wesen der Kunst frei ausschwingen kann. Sie bleibt aber nicht beim Nachdenken über Kunst. Sie zielt ganz generell auf die Bedeutung des kreativen Zweifels, der auch wesentlich zur Kunst gehört.
Die vergessene Katze
Betan Huws lockert den tiefschürfenden Ernst ihrer Winterthurer Arbeit mit ihrer Frage spielerisch und mit leichtfüssiger Ironie auf. Augenzwinkernder Witz prägt auch ihre Arbeit an der Einfriedungsmauer des Zuger Kunsthauses. Da lesen wir in hellblau leuchtender Neonschrift: I’VE FORGOTTEN TO FEED THE CAT – I HAVEN’T GOT A CAT. Links des Tores legt jemand – wer? – das Bekenntnis ab, er habe das Füttern der Katze vergessen. Das arme Tier wird’s verschmerzen, denn: „Ich habe keine Katze“, lesen wir rechts des Tores. Alles ist unklar. Spricht beide Male das gleiche Ich? Kann, wer keine Katze hat, das Füttern vergessen? Wer spricht mit wem? Sind wir Zeugen eines Selbstgesprächs?
Auch dieses Werk, entstanden 2020 aus Anlass des dreissigjährigen Bestehens des Kunsthauses an diesem Standort, akzentuiert die Bedeutung des Kulturortes im Stadtraum. Auch dieses Werk irritiert – vielleicht umso mehr, als es eben nicht von etwas so Wichtigem wie der Kunst spricht, sondern von einer Banalität. Auch hier geht es um mehr als einen direkten Sachbezug, und auch hier öffnet die Spannung zwischen der Institution Kunsthaus und der skurrilen und zugleich abgründig-absurden Botschaft des Textes unserem Denken einen Raum. Bethan Huws verweist so ohne Pathos, aber mit Nachdruck auf eine wesentliche Aufgabe der Kunst in der Gesellschaft.
Von Gott reden – in welcher Sprache?
Bethan Huws bedient sich in Winterthur und Zug des Englischen. Warum – mitten im deutschen Sprachgebiet? Weil das Englische heute Weltsprache ist? Die Sprache wurde, so Museumsdirektor Konrad Bitterli, in den Vorberatungen thematisiert. Am Ende war das Schriftbild entscheidend und damit ein Aspekt, der in der Konkreten Poesie eine wichtige Rolle spielt. Andere Künstler trafen allerdings andere Entscheide. Lawrence Weiner zum Beispiel suchte für seine Interventionen im öffentlichen Raum stets nach einer Fassung in der ortsüblichen Sprache. On Kawara – ihm widmete Bethan Huws 2006 die Schriftbild-Arbeit ON ON KAWARA – wählte für seine Datumtafeln immer die Sprache des jeweiligen Entstehungsortes.
Die Texte einer Schrift-Intervention Bethan Huws an der Aussenseite der Apsis der St. Johanneskirche in Freiburg i. Br. (2020/21) sind deutsch, französisch und englisch. Die Künstlerin tat das mit Bedacht, denn sie erreichte damit gleichsam durch die Hintertür eine hintersinnige Bedeutungsverschiebung. GOTT BESCHREIBT ETWAS VIEL GRÖSSERES ALS WIR lautet der deutsche Text. Die anderen beiden Varianten sind: DIEU DÉCRIT QUELQUE CHOSE DE BIEN PLUS GRAND QUE NOUS und GOD DESCRIBES SOMETHING FAR GREATER THAN US. Im Französischen wird der Sinn des deutschen Textes ins Doppeldeutige ausgeweitet: „Nous“ heisst „wir“ und zugleich „uns“. Es ist Nominativ und Akkusativ. Die Subjektform „wir“ kann als Objektform „uns“ gelesen werden. Die Unentschiedenheit, mit der die Künstlerin bewusst spielt, ist wichtig, denn sie lässt das Rätselhafte der Intervention noch rätselhafter erscheinen. Der Satz lässt uns nicht los – und eröffnet uns wiederum einen weitgespannten Denk-Raum. Auch da gibt es von Seiten der Künstlerin keine Belehrung. Sie gibt nicht vor zu wissen, wie es um Gott bestellt ist, doch sie deutet an – denn davon spricht die enigmatische Formulierung –, dass wir mit dem Nachdenken über Gott zu keinem Ende kommen.
Wörter in Vitrinen
Von Gott handelt auch eine der Wort-Vitrinen, denen sich Bethan Huws seit 1999 widmet. Die Wort-Vitrinen sind handelsübliche Metallkästen, vorn mit einem Glas und mit einer schwarzen Rückwand, in die sich weisse Buchstaben stecken lassen. Man kennt das von meist banalen Informationen zum Beispiel in Restaurants. Auch die Wortvitrinen sind Textarbeiten, in denen sich – ähnlich wie in der Konkreten Poesie – Beziehungen zwischen bildhafter Typographie und Wortsinn ergeben. Wenn die Künstlerin GOD thematisiert (2003), so fügt sie zwischen O und D ein zweites, nach oben versetztes O ein – und setzt in unseren Köpfen ein nie endendes Spiel zwischen „gut“ und „Gott“ in Gang.
Die Textarbeiten von Bethan Huws, die Neonschriftzüge und die Wortvitrinen, leben davon, dass die Künstlerin sehr genau hinhört und abtastet, was mit Buchstaben, Wörtern und Sprache geschieht und welche subtilen Verschiebungen der Bedeutungen möglich werden. Hinter dieser Intensiven Befragung der Sprache mag eine prägende Lebenserfahrung der Künstlerin stehen, die gewissermassen zwischen den Sprachen aufwuchs. Ihre Muttersprache ist das keltische Walisisch mit ihrem für Nicht-Waliser völlig verschlossenen Erscheinungsbild. Im Alltag fern ihrer Heimat bewegt sie sich im Englischen, lange lebte sie in Paris, heute meist in Berlin. Das schärft Wahrnehmung und Bewusstsein.
Eingriffe in die Sammlung
Für die Präsentation ihrer Wortvitrinen in der neuen Winterthurer Ausstellung wählte sie die Sammlung im Haus am Stadtgarten, stets auf der Suche nach Bezügen zwischen ihrem Werk und dem Kontext der Sammlung und des spezifischen Ortes. Geht man die Treppe hoch, so sieht man sich ihrem Werk NU DESCENDANT UN ESCALIER gegenüber. Die Buchstaben sind so in einer Schlangenlinie angeordnet, dass man unweigerlich an Duchamps gleichnamiges kubistisches Aktgemälde von 1912 erinnert wird – und sich mit einiger Phantasie vorstellen mag, dass hier gleich eine Nackte, wie sie auf Werken der Sammlung zuhauf anzutreffen sind, die Treppe heruntersteigen wird.
Gegenüber der Wortvitrine SPOT THE DOG mag man auf einem Gemälde von Jacques Laurent Agasse den sich in eine Ecke verkriechenden Hund entdecken. Die Wortvitrine HOLLYWOOD präsentiert sie in einem Saal mit Berliner Stadtlandschaften, mit idyllisch-schönen Ansichten (von Eduard Gaertner zum Beispiel) auf der einen und dem krudem Realismus der Hinterhöfe (von Adolf von Menzel) auf der anderen Seiten.
Pikant: Der Name „Hollywood“ – ins Deutsche übersetzt bedeutet er „Stechpalmenwald“ – hat sich längst von jedem Wortsinn gelöst und steht weltweit für die Traumfabrik des grossen Kinos, und das just gegenüber Menzels Gemälde vom Kopf des toten Schimmels! Im gleichen „Realismus-Raum“ präsentiert Bethan Huws die Wortvitrine QU’EST-CE QUE TU PENSES? JE NE PENSE PAS, JE REGARDE und mag auch da ein kleines absurdes Denkfeuerwerk zünden: Denkt, wer schaut, nicht? Oder schaut, wer denkt, nicht?
Auch im Treppenhaus lesen wir, wie immer weiss auf schwarz, LIFE IS MORE IMPORTANT THAN ART. Mit ironischem Augenzwinkern verabschiedet uns Bethan Huws aus einer Kunstsammlung, die wir dank ihrer präzisen Interventionen neu erleben können.
Arbeiten auf Papier
Im Kunstmuseum beim Stadthaus steht der Ausstellungsraum im Parterre für Arbeiten auf Papier von Bethan Huws zur Verfügung. Sie entstanden in den vergangenen rund dreissig Jahren. Die Künstlerin verwendete selten Bleistift und meist Wasserfarben, doch Aquarelle im eigentlichen Sinn sind es nicht, sondern eher Pinselzeichnungen der feinsten und zugleich persönlichsten Art. Im Gegensatz zu den rational und mit geometrischer Klarheit konzipierten und gestalteten Textarbeiten treffen wir hier auf die reine, wenn auch gezügelte Emotion, die Bethan Huws eher aus dem weiten leeren Raum auftauchen und wieder dahin verschwinden als laut und kräftig aufbrechen lässt.
Manche Blätter handeln von Erinnerungen an eine Kindheit im ländlichen Wales, an Begegnungen mit oder Eindrücken von nahestehenden Menschen. Oft geht es auch um Kunst und Künstler – um Marcel Duchamp, um René Magritte, um Carl Andre. Oder um eine Erinnerung an ihre erste Ausstellung in der Schweiz. Im Jahr 1990 holte Ulrich Loock die damals 29-Jährige in die Kunsthalle Bern.
Kunstmuseum Winterthur, bis 5. September