Das Alter ist soziologisch, psychologisch und medizinisch mittlerweile gründlich erforscht. Wie es sich aber wirklich anfühlt, alt zu sein, können uns im Grunde nur diejenigen sagen, die bereits alt sind. Ganz ähnlich, wie uns nur Blinde sagen können, was es heisst, blind zu sein, oder Taube, was es heisst gehörlos zu sein. Von diesem Gedanken gehen Andreas Heinecke und seine Frau Orna Cohen aus, wenn sie in Ausstellungen wie „Dialog im Dunkeln“, „Dialog im Stillen“ oder „Dialog mit der „Zeit“ Sehenden das Blind-Sein, Hörenden das Taub-Sein und Jungen das Alt-Sein nahe bringen.
Ihr Unternehmen „Dialogue Social Enterprise“ steht federführend hinter Ausstellungen, die den Besuchern in der Begegnung mit direkt Betroffenen Anders-Sein erfahrbar machen wollen. So jetzt auch im Museum für Kommunikation in Bern, wo die Ausstellung „Dialog mit der Zeit. Wie ich lebe, wenn ich alt bin“ vom 13. November 2015 bis zum 10. Juli 2016 Station macht. Begegnung ist in diesem Fall wörtlich zu verstehen: 34 sogenannte „Senior Guides“ im Alter zwischen 70 und 84 Jahren stehen bereit, um Besucherinnen und Besucher durch die Ausstellung zu führen, sie Fragen beantworten, Tests machen, Bilder interpretieren zu lassen und ihnen dabei im Gespräch auch persönlich Einblick in die noch unbekannte und für viele beängstigende Welt des Alters zu gewähren.
Es gibt viel zu sehen, zu hören und zu lesen in dieser Schau, die Fakten ebenso vermittelt wie unmittelbares Erlebnis. Ich erfahre, wie der demographische Wandel sich auf die Gesellschaft auswirkt, ich erfahre in eigens entwickelten Tests aber auch, wie es ist, auf alten Beinen Treppen zu steigen oder mit ungelenken Fingern Alltagsaufgaben zu lösen. Ich höre alte Menschen aus ihrem Leben erzählen, ich sehe Bilder alter Menschen in den unterschiedlichsten Lebenslagen, und ich werde mit Fragen konfrontiert, die mich zum Nachdenken auch über das eigene Älterwerden anregen.
Gewiss, einiges davon liesse sich bei einem Rundgang durch die Ausstellung zur Not auch allein bewältigen. Doch die „Senior Guides“ sind ein zusätzlicher Gewinn. Sie leiten an, sie machen auf Details aufmerksam und bringen nicht nur sich und die Besucher, sondern auch die Besucher untereinander ins Gespräch. Man merkt, dass diese Männer und Frauen sorgfältig ausgesucht und geschult worden sind. Sie kommen ihrer Aufgabe mit grossem Engagement und ebenso grosser Lust nach und sind auf Fragen hin auch gerne bereit, eigene Erfahrungen mit den Besuchern zu teilen.
Orna Cohen und Andreas Heinecke verstehen ihre Ausstellungen als Katalysatoren des gesellschaftlichen Wandels. Sie wollen Differenz erfahrbar machen und Lernprozesse in Gang setzen. Und sie sind mit Martin Buber der Überzeugung, dass dies nur in der unmittelbaren Begegnung mit dem andern, dem Du, möglich ist. Im Museum für Kommunikation sind sie mit ihrer Dialog-Ausstellung über das Alter deshalb bestens aufgehoben.
Ausstellung „Dialog mit der Zeit. Wie lebe ich, wenn ich alt bin?“, Museum für Kommunikation, Helvetiastr. 16, Bern. Geöffnet täglich ausser Montag von 10 bis 17 Uhr. Dauer der Ausstellung bis 10. Juli 2016. Senior Guides führen Einzelbesucher durch die Ausstellung, für grössere Gruppen Anmeldung erforderlich.