Das Volk kann sich nicht entschliessen. Wollen die Peruaner den 77-jährigen Finanzfachmann Pedro Pablo Kuczynski zum Präsidenten haben, PKK oder „El Gringo“, wie er genannt wird, weil er bis vor kurzem auch Inhaber der US-Staatsbürgerschaft war? Oder schlägt das Pendel zuallerletzt doch noch für Keiko Fujimori (41) aus, für die Tochter Alberto Fujimoris, der das Land von 1990 bis 2000 mit eiserner Hand, im Stil einer Demokratur regierte und 2009 wegen Menschenrechtsverletzungen und Korruption zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt wurde?
El Gringo
Der konservative Kuczynski, ein Mann mit einer abenteuerlichen Biografie, Sohn einer Schweizerin und eines polnisch-deutschen Mediziners, Banker in den USA und erfolgreicher Wirtschaftsminister unter Präsident Alejandro Toledo, spricht den Mittelstand an. Keiko Fujimori findet ihre Anhänger hauptsächlich in den armen, abgelegenen, sich von der Zentralregierung vernachlässigt fühlenden Landbezirken. Kuczynski, der mit einer hauchdünnen Stimmenmehrheit in Führung liegt, verdankt diesen Erfolg kaum dem schwammigen, neoliberal gefärbten Programm seiner Partei, die unter dem gleichen Kürzel wie er segelt – PPK (Peruanos por el Kambio); man musste für den „cambio“, den Wechsel, extra die Sprache germanisch zurechtbiegen.
Eine Partei ist das, die, wie eben schon der Name verrät, ganz auf die Person ihres Anführers zugeschnitten ist und inhaltlich wenig Neues zu bieten hat. Der Erfolg für Kuczynski hat sich erst in den letzten Tagen eingestellt, nachdem die Umfragen einen deutlichen Sieg Fujimoris prognostiziert hatten. Das führte zum einen zu einer Mobilisierung der vielen Unentschlossenen für den Ökonomen; zum andern beschloss die im ersten Wahlgang abgehängte Linke, natürlich aus rein taktischen Gründen, Kuczynski zu unterstützen.
Korrupter Caudillo
Jetzt sieht es also so aus, als ob „El Gringo“ die Fujimori-Tochter auf der Zielgeraden abgefangen hätte. Sie allerdings hofft immer noch auf das Gegenteil, dass sich nämlich nach Auszählung der noch fehlenden Stimmen aus den abgelegensten Gebieten und aus den Kreisen der Auslandperuaner, die Situation zu ihren Gunsten ändern könnte. Ein grosser Teil der Landbevölkerung weigert sich bis heute in Alberto Fujimori das zu sehen, was er war: ein autoritärer und korrupter Caudillo, der in den 90er Jahren die Verfassung ausser Kraft gesetzt hatte. Zuvor war es ihm gelungen, den Terror, mit dem der „sendero luminoso“ das Land in Angst und Schrecken versetzt hatte, zu beenden, und dafür ist ihm die am stärksten betroffene Landbevölkerung ewig dankbar - eine Dankbarkeit, die sich auf die Tochter überträgt.
Versprechungen, Versprechungen
Der wortmächtigste Feind Keiko Fujimoris, der peruanische Autor und Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, lebt schon lange nicht mehr in seinem Heimatland, das er einmal als Präsident regieren wollte. Er verlor seinerzeit die Stichwahl gegen einen aus dem Nichts auftauchenden Alberto Fujimori. Mag sein, dass er entsprechende Ressentiments bis heute kultiviert. Jedenfalls wird er seit Jahren nicht müde, seine Landsleute vor der ehrgeizigen Fujimori-Tochter zu warnen, die er für „eine Katastrophe“ hält und mit deren Einsetzung als Präsidentin „die Diktatur legitimiert“ wäre.
Tatsächlich ist das Programm ihrer Partei, der„Fuerza Popular“, wie dasjenige ihres Gegners ganz auf die Person zugeschnitten, womöglich noch gefährlicher als das von Kuczynski. Die hemmungslose Populistin Fujimori verspricht allen alles, um Stimmen zu bekommen: den Polizisten und Milchbauern mehr Geld, den Verängstigten mehr Sicherheit, den Evangelikalen (eine nicht zu unterschätzende Minderheit) weniger Abtreibungen, den Schwerkriminellen die Wiedereinführung der Todesstrafe.... Ihrem geschiedenen Vater diente sie in den 90er Jahren als First Lady; ihre Kritiker bezweifeln, dass sie sich je von den Ideen ihres Vaters emanzipiert hat, glauben ihr die jüngsten, opportunistisch wirkenden verbalen Abgrenzungen vom Gedankengut des alten Fujimori nicht und befürchten das Schlimmste, sollte sie an die Macht gelangen.
Wer immer die Nase vorn haben wird, zuletzt, er oder sie wird es mit einem tief gespaltenen Land zu tun bekommen, mit gegensätzlichen Meinungen und Erwartungen, die kaum unter einen Hut zu bringen sind. Peru hat gewählt – und nicht gewählt. Es steht zu befürchten, dass sich der oder die Unterlegene mit dem so knappen demokratischen Verdikt nicht wirklich zufrieden geben wird.