Italien braucht wegen der anstehenden, riesigen Probleme „so schnell wie möglich“ eine handlungsfähige Regierung. Dies erklärte am Freitagabend Staatspräsident Giorgio Napolitano. Er beauftragte Pierluigi Bersani, den Chef des sozialdemokratischen „Partito Democratico“ (PD), "zu eruieren, ob er in der Lage sein könnte, eine Regierung zu bilden".
Schon diese Formulieren zeigt, dass Napolitano wenig Hoffnung hat, dass der Chef der Mitte-Links-Allianz Erfolg haben wird. Bersani wird aufgefordert, den Staatspräsidenten rasch über den Verlauf seiner Bemühungen zu informieren.
Schon werden Wetten abgeschlossen. Nur wenige glauben, dass Bersani reüssieren wird.
Bedingungen, die sich täglich ändern
Bersani und sein Mitte-Links-Bündnis haben vor einem Monat die Wahlen in die Abgeordnetenkammer (grosse Kammer) knapp gewonnen. Doch im gleichberechtigten Senat (kleine Kammer) ist Bersani auf Koalitionspartner angewiesen.
Sollte es Bersani gelingen, eine Regierung zu formieren, muss sie sich einer Vertrauensabstimmung im Parlament stellen. Um eingesetzt zu werden, braucht die Regierung die absolute Mehrheit der anwesenden Parlamentarier. Im Senat ist höchst zweifelhaft, ob Bersani eine solche Mehrheit erringen kann.
Eine Koalition mit den Zentrumsparteien reicht nicht für eine absolute Mehrheit. Eine Allianz mit Berlusconis „Popolo della libertà“ (Pdl) hat Bersani kategorisch ausgeschlossen. Bleibt das sehr junge und unberechenbare Sammelbecken des „Movimento 5 stelle“ des Ex-Komikers Beppe Grillo.
Sicher gibt es einige „Fünf Sterne“-Vertreter, die Bersani zumindest ab und zu auf seine Seite ziehen könnte. Möglich ist auch, dass viele Parlamentarier der „5 stelle“ einer Vertrauensabstimmung fernbleiben; das würde Bersanis Chancen erhöhen. Doch kann man unter solchen Bedingungen, die sich täglich ändern können, längerfristig regieren?
Weg von der Sparpolitik
Bersani wird jetzt versuchen, landesweit geachtete Persönlichkeiten in seine Regierung aufzunehmen – auch Personen, die nicht seinem Apparat angehören. Sein Acht-Punkte-Programm hört sich ambitioniert und vernünftig an, wenn auch die EU und „la Merkel“ es wenig schätzen werden. Denn Bersani verlangt eine Abkehr von der rigorosen Sparpolitik. Doch in Anbetracht der schwelenden Anti-EU-Stimmung in Italien sind Forderungen nach einer Aufweichung der Austeritätspolitik nachvollziehbar.
Bersani will auch schnell Massnahmen durchsetzen, um notleidenden Arbeitnehmern und Betrieben zu helfen. Ferner fordert er eine grundlegende Reform der Politkaste. In keinem Land sind Politiker so fürstlich bezahlt wie in Italien. Die Linke hat hier schon ein Zeichen gesetzt. Der neu gewählte linke Senatspräsident sowie die neu gewählte linke Präsidentin der Abgeordnetenkammer haben angekündigt, sie würden auf die Hälfte ihres Salärs verzichten.
Das sind Anzeichen, dass die Linke etwas bewegen will. Kritiker der Linken sehen allerdings eher Anzeichen dafür, dass man schon wieder Wahlkampf betreibt. Denn baldige Neuwahlen sind nicht ausgeschlossen. Doch was bringen sie - nur wenige Monate nach dem letzten Urnengang?
Unberechenbarer Grillo
Beppe Grillos Bewegung “5 stelle“ könnte dann noch stärker werden. Laut Meinungsumfragen hat Grillo auch nach den Wahlen zugelegt. Die „Grillini“, (die kleinen Grillen), die Anhänger von Beppe Grillo, sind zwar zum Teil sehr ehrenwerte Leute, die das Land endlich reformieren möchten. Doch die Bewegung ist derart heterogen, dass es schwierig ist, mit ihr zusammen zu regieren.
Grillo selbst ist in einer unbequemen Situation. Während des Wahlkampfs hat er die Politiker als „Dummköpfe“, „Faschisten“ und „A-Lecker“ bezeichnet. Das politische System sei „korrupt, feudal und plutokratisch“. Davon mag vieles stimmen, doch Grillo muss jetzt mit diesem System einen modus vivendi finden. Tut er das nicht, bleibt er trotz seinen 25 Prozent ohne viel Einfluss. Arbeitet er aber mit andern Parteien zusammen, gehört er plötzlich selbst zum System. Im Moment befindet er sich noch immer im Stänkerei-Modus.
Wird Bersani durch den Bürgermeister von Florenz ersetzt
Der Linken haftet der Makel der „Nicht-Siegerin“ an. Während Monaten lag sie in den Umfragen weit vorn und erzielte dann schliesslich nur eine hauchdünne Mehrheit. Pierluigi Bersani, der Parteipräsident, macht keine schlechte Figur. Er ist einer der seriösesten und pragmatischsten Politiker Italiens. Viel wird jetzt davon abhängen, ob ihm die fast unlösbar scheinende Aufgabe gelingt, eine solide Regierung zu bilden. Scheitert er, würde das die gesamte Linke bei künftigen Neuwahlen belasten. Spekuliert wird, ob dann nicht doch Matteo Renzi, der Bürgermeister von Florenz, das Ruder im linken Partito Democratico (PD) übernehmen sollte.
Renzi war bei den Primärwählen im letzten Herbst Bersani klar unterlegen. Renzi ist 23 Jahre jünger als Bersani und könnte der Partei frischen Wind bringen. Er ist allerdings bei den älteren und altgedienten Parteimitgliedern als „zu wenig links“ umstritten. Doch Renzi hat sich nach seiner Niederlage bei den Primärwahlen klug und loyal gegenüber der Parteispitze verhalten, was ihm Sympathien eingetragen hat.
Wird das „Ruby“-Urteil Berlusconi schaden?
Und Berlusconi? Ihm ist es gelungen, seine Partei erneut auf Vordermann zu bringen. Zwar steht jetzt endlich das Urteil im „Ruby“-Prozess an. Man rechnet damit, dass Berlusconi im Zusammenhang mit der Beziehung zur damals minderjährigen Marokkanerin verurteilt wird. Doch wird ihm das schaden? Berlusconi ist seit Jahren in viele Verfahren verwickelt, seine ungesetzlichen Machenschaften sind längst allen bekannt, ebenso seine Lügen – geschadet hat es ihm kaum.
Wird der 76-jährige Berlusconi bald einmal kürzer treten? Im Moment deutet nichts darauf hin. Zwar hat er schon mehrmals Angelino Alfano als seinen Kronprinzen präsentiert. Doch ob Alfano, der mehrmals von Berlusconi gedemütigt wurde, die Autorität hat, das rechte Parteienspektrum zusammenzuhalten, ist fraglich. Das weiss auch Berlusconi.
Suche nach einem neuen Staatspräsidenten
Das Land steht vor schwierigen Zeiten. Bersani hat eine Herkules-Aufgabe vor sich. Wenn er scheitert, könnte es im Sommer Neuwahlen geben. Doch die Gefahr ist gross, dass auch sie keine stabilen Verhältnisse bringen.
Verkompliziert wird die Situation dadurch, dass demnächst ein neuer Staatspräsident gewählt werden muss. Der 87-jährige Giorgio Napolitano, einer der ehrenwertesten Politiker Italiens, tritt Mitte Mai nach seiner siebenjährigen Amtszeit zurück.
Schon beginnt das Geschacher: Berlusconi drohte, wenn die Rechte nicht das Amt des Staatspräsidenten erhalte, werde er zu Massenprotesten auf den Strassen aufrufen. Wenn aber ein Vertreter seiner Partei Nachfolger von Staatspräsident Napolitano würde, dann wäre er bereit, einen linken Ministerpräsidenten zu akzeptieren.
Der Vorschlag ist perfid. Der Staatspräsident bleibt für sieben Jahre im Amt; ihn kann man nicht stürzen. Einen linken Ministerpräsidenten jedoch kann man sehr schnell – via Vertrauensabstimmungen – aus dem Amt fegen.
Staatspräsident Berlusconi
Immer wieder glaubt man in Rom zu wissen, dass Berlusconi mit dem Amt des Staatspräsidenten liebäugle. „Gönnen wir ihm die Krönung seiner langen Karriere“, wünschen sich offen viele seiner Parteikollegen. Andere sagen: „Setzen wir ihn doch auf den höchsten Thron des Landes, dann haben wir ihn in der Tagespolitik endlich los“.
Ein italienischer Staatspräsident hat zwar wenig Macht. Doch gerade in Krisenzeiten ist er eine wichtige moralische Instanz. Und ob Berlusconi als moralische Instanz taugt, ist zumindest fraglich. Italien mit einem Staatspräsidenten Berlusconi würde dem Land wohl kaum das dringend benötigte internationale Vertrauen zurückgeben.