General Khalifa Haftar ist es gelungen, die vier Umschlagplätze für Erdöl am Fluss Syrte in Zentral-Libyen den bisherigen Okkupanten unter ihrem Anführer Jodran zu entreissen. Jetzt kann das Öl wieder über die Nationale Ölgesellschaft exportiert werden. Damit hat General Haftar seine Position gestärkt. Das war erwartet worden.
Doppeltes Spiel
Haftar, nun selbsternannter Feldmarschall, war bisher Rivale und Gegner der von der Uno ins Leben gerufenen Nationalen Einheitsregierung Libyens unter Fayez al-Sarradsch. Nach den offiziellen Darstellungen und Versprechen der europäischen Staaten und der Amerikaner sowie der Uno sollte diese Nationale Einheitsregierung Unterstützung erhalten, sowohl im diplomatisch politischen Bereich wie auch finanziell und in der militärischen Zusammenarbeit.
Doch ganz legal war dieses Vorgehen nicht, solange die bisherige Tobruk-Regierung, die diplomatisch anerkannt worden war, sich nicht dazu entschloss, das Parlament zu Gunsten der neuen Nationalen Einheitsregierung aufzulösen. Haftar ist offiziell der Oberkommandant der Armee der Tobruk-Regierung, doch handelt er nach seinen eigenen Vorstellungen. Die Uno hatte auf die Selbstauflösung der Tobruk-Regierung gehofft. Doch das Tobruk-Parlament hatte sich unter dem Einfluss des Feldmarschalls geweigert, diese Hoffnung der Uno zu erfüllen und löste sich nicht auf.
Das Doppelgesicht der westlichen Mächte
Seit geraumer Zeit war bekannt, dass die westlichen Staaten, besonders Frankreich, Grossbritannien und die USA, sowie auch Italien, unter der Hand General Haftar militärisch "berieten" und seine Armee mit inoffiziellen Geheim-und Spezialtruppen unterstützten. Dasselbe taten sie auch gegenüber Haftars Rivalen, Fayez al-Sarradsch, und dessen Truppen, den Misrata Milizen, die nach wie vor in der Stadt Sirte im Kampf gegen die letzten Reste des libyschen IS stehen.
Der Kampf in Sirte wird sogar ganz offiziell von der amerikanischen Luftwaffe unterstützt. Wie es zu der Doppelgesichtigkeit der Handlungen der Westmächte kam, ist im Dunkel der Geheimaktionen verborgen. Man kann sich ausmalen, dass der Umstand der noch nicht vollgültigen Legalität der Nationalen Einheitsregierung den Westmächten eine Art Vorwand bot, um ihr Versprechen, ausschliesslich die Nationale Einheitsregierung zu unterstützen, nicht einzuhalten, oder diplomatischer ausgedrückt, "noch nicht ganz zu verwirklichen".
Öl als Waffe
Der wahre Grund für diese Doppelbödigkeit ist wohl darin zu suchen, dass es den Nachbarn nördlich des Mittelmeers in Libyen primär darum geht, einerseits den IS zu bekämpfen und andrerseits in Bezug auf die Flüchtlingsströme eine Lage wiederherzustellen, wie sie unter Ghadhafi bestand. Damals hat die Regierung in Libyen die Aufgabe übernommen, die Migranten nach Afrika zurückzuschicken oder sie zumindest daran zu hindern, an der libyschen Küste illegal Schiffe zu besteigen. Zu diesen beiden Motiven kommt wohl auch der Wunsch,dass die unterstützten Gruppen die libysche Erdölförderung wieder in Gang bringen.
Zwar besteht eine "Erdölschwemme", jedoch sind Firmen aus der westlichen Welt in Libyen beteiligt, und ausserdem werden die Preise, wenn das libysche Erdöl zusätzlich auf den Weltmarkt kommt, wahrscheinlich noch weiter sinken, was den Verbrauchern in Europa, China und den USA zugute kommt und den Russen als Grossexporteuren schadet.
All diese Ziele setzen natürlich voraus, dass es in Libyen wieder eine funktionsfähige Regierung gibt. Es ist offensichtlich, dass die involvierten Mächte des Westens auf beide Karten setzten, die Karte Haftar und die Karte Sarradsch, ungeachtet der feierlichen Versprechen und Zusagen, die sie der Uno und der Nationalen Einheitsregierung gemacht hatten. Fayez al-Sarradsch weiss das natürlich auch. Präsident Hollande, den er kürzlich besuchte, sagte sogar öffentlich, al-Sarradsch müsse sich eben mit Haftar verständigen.
Angebot der Einheitsregierung
Seit der Einnahme der vier Umschlagplätze für Öl seitens General Haftars musste al-Sarradsch die Notwendigkeit einsehen, sich mit ihm zu verständigen. Er hat nun öffentlich erklärt, seine Nationale Einheitsregierung werde erweitert und Haftar werde an ihr beteiligt werden. Doch ob Haftar bereit sein könnte, sich al-Sarradsch als Regierungschef unterzuordnen, ist ungewiss. Es ist am wahrscheinlichsten, dass er den Posten eines Oberkommandierenden der Streitkräfte eines Vereinigten Libyens beanspruchen wird. Doch es ist auch zu erwarten, dass die Misrata-Milizen, die zur Zeit die wichtigste Streitmacht al-Sarradsch's bilden, nicht unter Haftar dienen wollen.
Auch muss al-Sarradsch in Betracht ziehen, dass ihm mit Haftar das gleiche geschehen könnte, ja wahrscheinlich geschehen wird, was seinen Vorläufern als Regierungschefs der beginnenden Libyschen Republik nach Ghadhafi geschah, nämlich dass die Waffenträger – nun unter Haftars Kommando – den Befehl übernehmen oder ihn gar zum Rücktritt zwingen. Dies sind lauter Gründe, die einen Kompromiss zwischen Haftar und al-Sarradsch als schwierig erscheinen lassen. Doch finden Verhandlungen offenbar zur Zeit statt – auf indirektem Wege, sagte al-Sarradsch.
Haftar verbündet mit al-Sissi
Haftar selbst scheut sich nicht, klar zu stellen, wo sich seine wichtigsten Stützen befinden. Er hat ein Interview in der ägyptischen Zeitung al-Ahram gegeben, in dem er erklärt, sein enger Freund, Präsident und ex-General al-Sissi, stehe in beständigem Kontakt mit ihm. Sie tauschten sicherheitspolitische und geheimdienstliche Informationen aus, besonders über die islamistischen Gefahren, und auch die VAE (Vereinigten Arabischen Emirate) arbeiteten eng mit ihm und seinen Offizieren zusammen.
Was Haftar dabei überging, ist die Frage, wie weit seine Zusammenarbeit mit der CIA heute geht. Mehr als ein Jahrzehnt lang war er, als er sich in den USA aufhielt und zu den erklärten Feinden Ghaddafis gehörte, deren Schützling und Mitarbeiter.
Ein neuer Ghadhafi?
Alle Libyer, die heute noch daran festhalten und darauf hoffen, dass in ihrem Land eine Demokratie ersteht, aber auch all jene, die einen künftigen "Islamischen Staat Libyen" anstreben, wie immer sie sich diesen vorstellen, sehen in Haftar einen "neuen Ghadhafi", der die "libysche Revolution" zunichte machen würde.
Für den Augenblick kann man sagen: In Libyen gibt es zwei Hauptkräfte, die entweder – wider alles Erwarten – doch noch zusammenfinden und gemeinsam handeln werden oder aber ihren bisherigen Streit weiterführen und dadurch die Auflösung des libyschen Staates weiter vorantreiben und möglicherweise irreversibel machen.