Unter all den gigantischen Herausforderungen, welche von Organisatoren Olympischer Spiele zu meistern sind, zählt die Schaffung eines einprägsamen Erscheinungsbildes vermutlich zu den schwierigsten. Paris 2024 überzeugte mit einem überraschenden Konzept.
Paris konnte sich in Szene setzen. Das begann mit der furiosen Eröffnungsfeier, bei der die Sportler und Sportlerinnen auf Schiffen, die an den Zuschauermassen an der Seine vorbeigeführt wurden, fröhlichen Partygästen glichen und einen wohltuenden Kontrast setzten zu den bis anhin üblichen paramilitärischen Paraden in Stadien. Temporäre Sportplätze wurden an touristisch bestbekannten Orten aufgebaut. Wichtige Disziplinen fanden inmitten der weltberühmten Sehenswürdigkeiten statt, die immer wieder mit Luftaufnahmen eingefangen wurden.
Stellvertretend sei der mehrmalige Aufstieg zum Montmartre anlässlich der Rad-Strassenrennen genannt, dessen imperiale Kirche bildgewaltig umkreist wurde. Da scheinen die Strategen der Tour de France Pate gestanden zu haben, wird da doch das Renngeschehen immer wieder mit Ansichten von Denkmälern und Naturschönheiten begleitet. Die grafischen Elemente des visuellen Auftrittes unter der Leitung von Joachim Roncin fügten sich dabei ausgesprochen diskret in das Weichbild der Metropole ein.
Pflastersteine, die in der Geschichte von Paris so oft eine bedeutende Rolle spielten, meist im negativen Sinne, dienten den Gestaltern – u. a. von Ecobranding Design und Roalties – als Leitidee. Es wurden zahlreiche quadratische Muster unter Verwendung der Farben Blau, Rot, Grün und Violett mit Andeutungen an Sportstätten und Denkmäler gezeichnet (am eindeutigsten ist der Hauptbogen des Eiffelturmes zu erkennen). Diese Module wurden je nach Situation zu Bändern und Fassadenverkleidungen zusammengesetzt oder auf Fahnen gedruckt. Sie waren nicht zu übersehen und doch konkurrenzierten sie die Wahrzeichen der Stadt mitnichten. Seit London 2012 ist es üblich, für die Spiele eine eigene Schrift einzusetzen. Paris 2024 begnügte sich mit einem einzigen Schnitt einer von Art Déco inspirierten Schrift.
Zu Recht sprechen die Veranstalter bei den Piktogrammen von einer Revolution. Spätestens sei Tokio 1964 ist man bei den Olympischen Spielen auf ein einheitliches Design bedacht. Damals wurde auch der Grundstein für die seither unverzichtbaren Piktogramme gelegt, die aus stilisierten Figuren in Ausübung der entsprechenden Disziplinen bestanden.
Auf dieser Serie baute das Team von Otl Aicher auf, als es um das grafische Auftreten an der Olympiade 1972 ging. Und der Designer Otl Aicher setzte die Latte derart hoch, dass sie bis anhin von allen Nachfolgern gerissen wurde. Mit den Regenbogenfarben wollte Aicher sich nicht nur von den martialischen Spielen von 1936 in Berlin absetzen, sondern eine fröhliche, positive Stimmung erzeugen (die dann leider durch den Terroranschlag auf die israelische Delegation brutal zerstört wurde). Es wurde darauf geachtet, jede Drucksache, jede Fahne, jedes Plakat, jede Beschilderung aufeinander abzustimmen. Am herausragendsten waren zweifelsohne die 21 Piktogramme für die einzelnen Sportdisziplinen, die bis heute für die Signaletik im Sportbereich nach wie vor häufig verwendet werden.
Das inzwischen gesuchte und teuer gehandelte Handbuch mit den Richtlinien für das Erscheinungsbild wurde als so bedeutend erachtet, dass der Niggli Verlag 2019 eine Faksimile-Ausgabe auf den Markt brachte. Aicher entwickelte die Piktogramme für andere Bereiche des öffentlichen Lebens weiter zu einer Art Bildsprache, welche vor allem dort eingesetzt wird, wo Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander treffen wie etwa an Bahnhöfen und Flughäfen, in Museen und Konzerthallen.
Montreal 1976 versuchte schon gar nicht, etwas Eigenes zu kreieren, und übernahm die Piktogramme von Aicher. Ab Moskau 1980 werden meistens Varianten der Urformen verwendet, doch keine davon erwies sich als nachhaltig (vgl. dazu die informative Webseite www.theolympicdesign.com/olympic-games/).
Paris 2024 löste sich von dieser Last und verzichtete gänzlich auf Figuren. Stattdessen werden die nun 47 Piktogramme als Pins – die Organisatoren sprechen auch von Wappen – dargestellt, die man als Abzeichen buchstäblich an die Brust heften kann. Diese neuen filigranen Zeichen werden wahrscheinlich die Aicherschen Piktogramme nicht ersetzen, aber sie ermöglichen es, der heftigst ausgetragenen Gender-Schlacht elegant auszuweichen. Wo keine Figuren vorhanden sind, erübrigt sich die Frage, ob damit alle Identitäten abgedeckt seien.
Beim Logo, einem raffinierten Vexierbild, das entweder als Medaille, als Flamme oder als Antlitz zu lesen ist, gibt es am Geschlecht des dargestellten Gesichts nichts zu rütteln, es ist weiblich. Explizit wird dabei der Aufstieg der Frauen in der Sportwelt gefeiert, und es ist eine Hommage an die Marianne, die Nationalfigur Frankreichs.