München im Juli ist warm, und voller Fahrräder. Viel nackte Haut neben häufigen Damen im Tschador . In München ist Ausverkauf und da sind sowohl Prepaid-Karten für Handys wie grössere Kleidergrössen vergriffen. ‚Die Araber sind da’, seufzt so mancher Ladenbesitzer zufrieden.
Monumentaler Klang
Auf dem Max-Joseph-Platz wird eine Freilichtbühne für die Gratisvorstellung „Oper für Alle“ gebaut. Auf dem Operhaus flackert ein Wimpel: „Die Oper gehört uns“. Doch vor dem „Fidelio“ mit Startenor Peter Hofmann steigt das Opernereignis der Saison: Olivier Messiaens religiöse Musikmeditation „Saint Francois d’Assise“ des Komponisten einzige Oper; mit Einführung ein Monumentalevent von sieben Stunden.
Monumental auch der Klang. Der Orchestergraben ist bis zum Bersten gefüllt, eine Bläsergruppe dazu links auf der Bühne, der Perkussionsblock rechts. Die Direktionslogen rechts und links der Bühne zusätzlich mit Musikern besetzt. Mehrere Chöre singen. So wird eine Klangfülle erreicht, die annähernd dem entspricht, was Messiaen für seine Musik vorschwebte. Ähnlich Hector Berlioz’ „Symphonie fantastique“, die wahrscheinlich nur einmal, und dies zur Eröffnung der Zürcher Festwochen, der Partitur gemäss aufgeführt wurde: Die Tonhalle war gefüllt mit vier Orchestern, mehrere Chöre sangen. Die Musik wurde per Lautsprecher, die auf Plätzen, Häusern und Schiffen angebracht wurden, übertragen und spannte über Zürich und den angrenzenden See eine Klangwolke.
"Man muss sich halt reinhören"
Die Klangwolke im Staatstheater in München mochte das Publikum immerhin dahingehend zu bannen, dass kaum einer vor Ende der Vorstellung desertierte. „Man muss sich halt reinhören bevor sich einem diese Musik erschliesst“, war einer der kritischsten Kommentare aus dem sonst der Musikmoderne gegenüber eher ablehnend eingestellten Abonnementpublikums. Vielleicht auch darum weil Messians tief sakrale Musik sosehr der Lebensbejahung und der Freude an der Natur verpflichtet ist.
Eine Konzertpianistin, die bei Messiaen in Paris Klavier studiert hatte, erinnerte sich, dass er von seinen Schülern immer ‚Der Mönch’ genannt wurde, wegen seines Bedürfnisses sich abzuschotten und wegen seiner tiefen Religiosität. Sie sprach auch von seinen häufigen Ausflügen in die Wälder um Vögel zu studieren. Dort hat sich Messiaen viele Vogelstimmen notiert und dann in seinen Werken benutzt, denn Olivier Messiaen war Ornithologe und Komponist, zwei Berufe mit vielen Parallelen:
Inspiration aus der Vogelwelt
Messiaen: „Als ich mich mit den Vögel befasste, habe ich begriffen, dass der Mensch so viele Dinge nicht erfunden hat, sondern, dass schon viele Dinge vorher um uns herum in der Natur existierten- nur hat man sie nie gehört. Zum Beispiel hat man viel von Tonarten und Modi geredet - die Vögel haben Tonarten und Modi. Man hat auch viel von Teilungen der kleinen Intervalle gesprochen, von Viertel- und Dritttönen - die Vögel machen diese kleinen Intervalle. Auch hat man seit Wagner viel von Leitmotiven geredet: Jeder Vogel ist ein lebendiges Leitmotiv, weil er seine eigene Ästhetik und sein eigenes Thema hat.“
Die Oper spielt im Italien des frühen 13. Jahrhunderts und basiert auf zwei Schriften anonymer Franziskanermönchen aus dem 14. Jahrhundert; den „Fioretti“ (Blütenlegenden) und den „Betrachtungen über die Wundmale“. Und da liegt die Schwierigkeit des Werkes; es ist eine Oper ohne Handlung, ohne Spannungsbogen und ohne Regie.
Aber mit einer grossartigen Inszenierung. Der Wiener Aktionist Hermann Nitsch ist ein passionierter Verehrern von Messiaen: „Seine gleichzeitige Aufarbeitung von Atonalität und Tristanromantik, berauscht mich, seine Orgelmusik begeistert mich eben so sehr wie seine Liebe zu den Vögeln. Auch seine tiefe Religiosität beeindruckt mich sehr, obzwar ich ein anderes Verhältnis zur Religion habe.“
Dem Orgiastischen und Ekstatischen verpflichtet
Hermann Nitsch möchte die Farbigkeit dieser Musik „mit optisch wahrnehmbaren Farben synästisch bereichern“. Etwas, was Messiaen nicht nötig gehabt hätte, denn Messiaen sah Farben wenn er Musik hörte.
Doch so kann es nun auch sein Publikum. Und Nitsch ist in seinen Projektionen und Aktionen ganz dem Orgiastischen und Ekstatischen verpflichtet. Ob nun gekreuzigt, in Tierdärmen herumgewühlt, Ströme von Blut vergossen, oder immer wieder neue Farbskalen projiziert werden. Nitsch: „Das wiederholte Zitieren von Kreuz, Fleisch und Blut wird zur Sublimierung durch Farbe und Licht geführt. Extremste Intensität steigert unser Erleben zum Exzess, zum rasenden, schmerzlichen Glück.“
Verflechtung von Schmerz und Freude
Und da hat sich Hermann Nitsch ganz mit Olivier Messiaen gefunden. Denn dieser sieht das Neue, das seine Oper „Saint François d Assise“ (dem er sich wahrscheinlich irgendwie verwandt fühlte) von seinen früheren Werken unterscheidet, in der Komponente des Leidens. Er beschreibt das Besondere dieses Werkes als „enge Verflechtung von Schmerz und Freude“.
Neben dem überwältigendes Musikerlebnis und dem Rausch der Farbimpressionen bleibt von der Aufführung vor allem eines: Die kristallene Helle des Soprans von Christine Schäfer als Engel. Ihre Stimme durchbricht die musikalischen wie visuellen Rauschzustände wie die Klarheit der Erkenntnis den Tumult der Suche danach. Einer Suche, die erst in der Stunde des Todes für den heiligen Franziskus erfolgreich wird.
Die Produktion „Saint Francois d Assise“ ist eine CoProduktion mit der Mailänder Scala und wird in der nächsten Spielzeit dort gezeigt.