Puccinis letzte Oper ist ein Werk, das auf ein persisches Märchen zurückgeht, obwohl es nicht in Persien, sondern in China spielt. Der Handlungsverlauf kommt uns denn auch ziemlich «chinesisch» vor.
Das Libretto basiert auf einem italienischen Schauspiel des venezianischen Dichters Carlo Gozzi (1720–1806). Für Puccinis Intentionen bearbeitet haben dieses Drama dann Gozzis Dichterkollegen aus dem frühen 20. Jahrhundert, Giuseppe Adami und Renato Simoni, beide würdige Nachbastler des originalen Dramas. Puccini selbst konnte den 3. Akt nicht mehr vollenden, er starb bereits 1924, sodass sein vertrauter Musikerkollege Franco Alfano es nach den Skizzen des Meisters in den darauf folgenden zwei Jahren vollenden musste.
Die Uraufführung fand 1926 an der Mailänder Scala statt. Am Pult stand damals kein geringerer als Arturo Toscanini. An der Stelle, an der Puccini die Komposition nicht mehr weiterführen konnte, brach Tocanini auch die Uraufführung ab und verkündete dem Publikum: «An dieser Stelle starb der Maestro.» Von der zweiten Aufführung an wurde dann auch der von Alfano nachkomponierte Schluss – etwas verkürzt – mitgespielt.
Die männermordende Prinzessin
Die erzählte Geschichte ist nicht ohne dramatischen Pfiff, freilich auch durchmischt mit Komik und chinesischen Bizarrerien. Prinzessin Turandot, die Tochter des Kaisers von China, will sich an den Männern für die Vergewaltigung an einer weit in der Vergangenheit zurückliegenden Vorfahrin rächen, indem sie jedem Mann, der um sie wirbt, drei Fragen stellt, die der Bewerber beantworten muss. Kann er dies nicht, wird der Bräutigam in spe erbarmungslos hingerichtet.
Im 1. Akt wartet ein schaulustiges Volk auf die Hinrichtung eines persischen Prinzen, der wie bisher alle Vorgänger an den Fragen der Prinzessin gescheitert ist. Ein neuer Verehrer ist jedoch schnell wieder zur Stelle. Dieser, ein Prinz der Tataren namens Kalaf verliebt sich unheilbar bei ihrem Erscheinen in die Prinzessin Turandot und will sich ihren Fragen stellen, obwohl ihn die drei Hofschranzen Ping, Pang und Pong, Grosskanzler, Grossmarschall und Oberküchenmeister am chinesischen Kaiserhof, davon abhalten wollen. Eine weitere wichtige Figur in diesem Hofdrama ist die Sklavin Liu, die sich um den alten totgeglaubten Vater Kalafs kümmern will, sollte auch Kalaf bei seiner Bewerbung das Schicksal all seiner Vorgänger ereilen.
Wir ahnen es schon: In Akt 2 wird Kalaf die drei Fragen der Turandot richtig beantworten, sodass die eiskalte Prinzessin nun ihren Bewerber heiraten müsste. Sie bittet aber den Kaiser, ihren Vater, diesen fremden Mann nicht heiraten zu müssen. Kalaf, dessen Namen in China niemand ausser der Sklavin Liu kennt, bietet Turandot eine Chance: Sie müsse bis zum folgenden Morgen seinen Namen herausfinden. Wenn sie dies schaffe, sei auch er bereit, für sie zu sterben.
Im 3. und letzten Akt erfahren wir, dass Liu auch unter Folter nicht bereit wäre, den Namen des Prinzen zu offenbaren, da sie diesen heimlich liebt. In ihrer Not und Verzweiflung erdolcht sie sich selbst. Wer nun um das eigene Leben zittert, sind die drei Höflinge, sofern es ihnen nicht gelingt, den Namen des Prinzen bis zum anbrechenden Morgen ausfindig zu machen. Turandot schlägt vor, dass ihr Bewerber, da man seinen Namen nicht herausfinden kann, vom chinesischen Hof flieht. Doch da gibt Kalaf seinen Namen selbst der Prinzessin preis. So kann sie ihr Gesicht wahren, weil auch sie die Bedingung erfüllt, die er ihr gestellt hat. Echte Liebe besiegt eben alle Hindernisse und löst alle Rätsel, das erkennt sogar eine männermordende Prinzessin, sodass ihrer Vereinigung mit Kalaf nunmehr nichts mehr im Wege steht.
Die bekanteste Tenorarie Puccinis
In diesem Schlussakt finden wir auch jene Arie, die aus künstlerischen und aus kommerziellen Gründen Puccini weltweit und in allen gesellschaftlichen Kreisen zum Star der Opernwelt gemacht hat. Zumindest seit der Tenor Luciano Pavarotti diese Arie zur Eröffnung der Fussballmeisterschaft 1990 in Rom sang, hat er für Puccinis Musik alle Ohren der zuhörenden Welt geöffnet. Die Einschaltquote betrug weltweit über eine Milliarde Fussballfans, die damit auch zu Puccini-Begeisterten wurden.
Es ist Nacht und Kalaf erwartet die beginnende Morgendämmerung. «Nessun dorma!» – «Keiner schlafe! Keiner schlafe! Auch du, Prinzessin, betrachtest in deinem kalten Zimmer die Sterne, welche vor Liebe und vor Hoffnung beben. Doch mein Geheimnis ist verschlossen in mir, mein Geheimnis wird niemand erfahren! Nein, erst wenn das Licht des Tages scheinen wird, werde ich dieses auf deinem Mund offenbaren, und mein Kuss wird das Schweigen lösen, das dich zu meiner macht.» In der Oper beginnt nun ein nicht sichtbarer Chor zu klagen: «Seinen Namen wird niemand erfahren, und wir müssen sterben, ach sterben!» Doch Kalaf ist siegesbewusst: «Verschwinde, Nacht! Geht unter, ihr Sterne! Denn bei Sonnenaufgang werde ich siegen, siegen, siegen!»
Es ist dieses dreifache «Vincerò», mit dem Pavarotti, oft auch zusammen mit seinen Kollegen Placido Domingo und José Carreras, danach ganze Stadien, Central Parks und Massenevents weltweit geradezu zum Rasen brachte, in einer seltsamen Mischung von hysterischen Siegeswünschen für die jeweils favorisierten Nationalmannschaften und Begeisterung für Puccinis Bravourarie.
Wer eine gute Biographie von Puccini zur Hand nimmt, die sich auch an seinem brieflichen Nachlass aus den späten Jahren orientiert, wird entdecken, dass die letzte Zeit für den Komponisten alles andere als leicht war. Er war häufig deprimiert und erschöpft, fühlte sich ausgelaugt und einfallsarm. Dabei ist sein letztes Werk sehr reich gerade an überraschenden Momenten.
Bedauerlich ist es beispielweise, wenn die faszinierende Figur der liebenden Liu etwas allzu sehr vom Glanz der Turandot und ihrem Kalaf überblendet wird. Der Schluss der Oper – etwa 15 Minuten Musik –, den Puccini selbst nicht vollenden konnte, mit dem finalen Liebesduett und dem etwas gar hymnisch geratenen Schlusschor, entspricht zwar wohl seinen dazu hinterlassenen Notizen. Man darf dennoch seine Zweifel darüber behalten, ob Puccini selbst den Schluss der Oper so ausgeführt und gestaltet hätte.
Zu den heutigen Stimmenstars für die Rolle des Kalaf gehört mit Sicherheit Jonas Kaufmann. Er hat die Arie oft in Konzerten gesungen, als Gesamtoper eingespielt hat er sie erst vor kurzem in einer bemerkenswerten Produktion unter Antonio Pappano, diesmal nicht aus der Oper Covent Garden in London, sondern aus Rom, mit Pappanos Orchester von Santa Cecilia und sehr guten Solisten. Was an dieser Einspielung hervorhebenswert bleibt – es gibt ja für Puccinis letzte Oper viele ältere Versionen mit grössten Namen aus der Reihe der weltbekannten Sängerinnen und Sänger –, ist jedoch, dass sie die ganze von Alfano nachkomponierte Musik enthält.
Toscanini scheint die Arbeit von Alfano nicht sonderlich geschätzt zu haben. Er verlangte von ihm, dass er etwa 100 Takte seines Schlusses streiche, und es ist diese gekürzte Fassung, in der die Oper in der Regel eingespielt wurde. Im Vergleich zur neuen Aufnahme erkennen wir aber heute, dass das so wiederhergestellte Schlussduett die Menschlichkeit der grausamen Prinzessin und ihre Zuneigung und «Bekehrung» zur Liebe für ihren Kalaf vermehrt und glaubwürdiger macht.
Wir hören hier nur die Arie aus dem Beginn des 3. Aktes mit Jonas Kaufmann in einer Aufnahme aus der Berliner Waldbühne, auch hier vor über zwanzigtausend Menschen, die ihm zujubeln. Es spielt das Berliner Radio-Sinfonieorchester unter der Leitung von Jochen Rieder.