Ob, boulevardesk formuliert, die Schweizer Kicker zu „Helden“ werden, bleibt abzuwarten. Die Radfahrer bei der Tour de Qinghai jedenfalls sind es schon jetzt.
Natürlich wird meines Wissens über die Tour de Qinghai kaum irgendwo im Schweizer oder europäischen Blätterwald Buch geführt. Am Radio oder Fernsehen schon gar nicht. Wäre noch schöner, schliesslich haben wir unsere national weltberühmten, eigenen Tours. Also etwa die eben zu Ende gegangene Tour de Suisse, die bald rollende Tour de France, den Giro d’Italia, die Vuelta nicht zu vergessen und, freundnachbarlich, schon gar nicht die Österreich-Rundfahrt.
Doch das Fifa-Pendant im – wie es korrekt Neudeutsch heisst – Cycling will genau so weltumspannend sein wie „Sepp“ und seine Fussball-Kollegen. Schliesslich, das wussten schon Fausto Coppi, Ferdi Kübler und Hugo Koblet, hat Radrennfahren absolut nichts mit Politik zu tun, dient aber dem Frieden.
Tour Down Under
Der Brite Brian Cookson, Präsident der Union Cycliste Internationale (UCI), ist zwar nicht so bekannt wie der Blatter Josef aus Visp, keineswegs aber weniger mächtig. Ähnlich wie bei der Fifa gibt es Ableger auf jedem Kontinent. Für den Radsport in Fernost also die Asian Cycling Confederation mit Sitz in Südkoreas Hauptstadt Seoul. Schon mal etwas gehört von der Tour of Almaty, Tour de Hainan, Tour of Bali, Tour de Chine, Tour de Borneo, Tour of Japan, Tour of Beijing, Tour de Taiwan, Tour Down Under oder Tour d’Indonesia? Um nur einige Beispiele zu nennen. Nein?
Der Radsportfreund sollte jedoch wissen, dass das nicht irgendwelche Grümpelturnier-ähnliche Veranstaltungen für blutige Amateure und reifere Senioren sind. Nein, es sind Profirennen mit Preisgeld und vielen National- und Firmenmannschaften.
Tour de Qinghai: Non-Plus-Ultra
Sagt Ihnen – kluger Sportler, schöne Sportlerin – der Name des Deutschen Veloprofi Robert Förster etwas? Wenn nicht, sei darauf hingewiesen, dass er im vergangenen Jahr immerhin die 6. Etappe der Tour de Qinghai gewonnen hat. Oder der italienische Radprofi Gabriele Missaglia? Nein? Er jedenfalls war vor sieben Jahren Gesamtsieger der Tour de Qinghai. Das ist nicht nichts. Und Tyler Hamilton, ein Team-Gefährte beim Weltmeister aller Doping-Sünder Lance Armstrong?
Hamilton kennt man sicher in der Schweiz, hat er doch die Tours de Romandie zweimal gewonnen. Aber eben auch die Tour de Qinghai vor sechs Jahren. Ob mit oder ohne Doping weiss man in diesem Fall beim bekennenden Drögelern nicht genau. Aber ob nun mit oder ohne Dope, ein Sieg bei der Tour de Qinghai ist sportlich gesprochen das Non-Plus-Ultra.
Gerade einmal Strampelübungen
Das „Dach“ der Tour de Suisse, der Furka-Pass, ist mit 2‘416 Metern nicht zu verachten. Ebensowenig der österreiche Grossglockner-Pass, der sich in 36 Spitzkehren auf 2‘504 Meter heraufwindet. Das Kletterkunststück stand zweimal am Giro d’Italia (1971 und 2011) auf dem Programm. Aber verglichen mit der Tour um den Qinghai-See auf dem Tibet-Qinghai-Plateau sind solche Passübergänge gerade einmal Strampelübungen. Ich höre schon den Einspruch: die Tour-de-France-Etappe Alpe d’Huez ist die Krönung der Berg-Radrennfahrt, geht es doch dort über 13,8 Kilometer in 21 Spitzkehren von 806 Meter auf 1‘713 Meter.
Und dies vor allem: Beat „Bergfloh“ Breu hat dort 1982 souverän gesiegt. Breu war gewiss ein toller Radrennfahrer, aber auf der Qinghai-Tour wäre im wohl vielleicht doch die Luft knapp geworden, im oder aus dem Sattel. Wahrscheinlich hätte sich Breu auch an den Qinghai-Steigungen versucht, doch diese Rundfahrt gab es damals noch nicht.
In knapper Luft
Die Qinghai-Tour wurde erstmals 2002 ausgerichtet und vom Amerikaner Tom Danielson gewonnen. Auf einer durchschnittlichen Höhe von rund 3‘000 Metern bewegen sich die Velofahrer in der Tat in dünner Luft. Der absolute Höhepunkt ist ein Pass von fast 4‘000 Metern.
Die Teams reisen denn kaum verwunderlich ziemlich früh an, um sich an die ungewohnte, aber für China selten saubere Höhenluft zu gewöhnen. Dass im vergangenen Jahr der Iraner Mirsamad Poorseyedi vom „Tabriz Petrochemical Team“ und vor zwei Jahren sein Team-Kollege Hossein Alizadeh gewonnen hat, kommt nicht von ungefähr. Sie trainieren in Iran in
ähnlich knapper Luft. Jetzt fehlen an der Qinghai-Tour eigentlich nur noch die Kolumbianer.
Preisgeld: eine Million
Das Leiden am Berg lohnt sich. Die über 2‘201 Kilometer führende Tour hat eben das Preisgeld von 700‘000 auf eine Million Dollar erhöht. Das hat 17 Teams aus dem Ausland und fünf chinesische Mannschaften angezogen. Einen Tag nach Beginn der Tour de France wird am 6. Juli in Xining, der Hauptstadt der Provinz Qinghai, gestartet. Am 19. Juli endet die Rundfahrt nach 14 Etappen in Lanzhou, der Hauptstadt der Nachbarprovinz Gansu.
Die Tour de Qinghai bietet spektakulären Radsport in einer spektakulären Umgebung. Ein Rennen auf höchster Ebene sozusagen. Im fernen Europa wird man davon wenig bis nichts erfahren. Im digitalen Zeitalter jedoch ist das längst kein Problem mehr. Bilder der gegen Höhe und steifen Wind kämpfenden „Bergflöhe“ kommt auf dem Internet frei Haus. Vermutlich wird auch der weltweit empfangbare, staatliche chinesische 24-Stunden-Sender CCTVNews, wenn auch nicht live, über das Grossereignis berichten. Viel Vergnügen!