Der Fall erregt die Gemüter in Indonesien. Die Proteste gegen Aceng Fikri, den Bezirkschef von Garut in Westjava, vereinen sogar fromme Schüler islamischer Madrassas (Religionsschulen) mit säkularen Universitätsstudenten und Frauenrechtlerinnen. Auf Demonstrationen fordern sie den Rücktritt des 40-Jährigen, weil er sich von Fani Oktora nur vier Tage, nachdem er die 17-Jährige zu seiner Zweitfrau genommen hatte, mit einer kurzen SMS-Nachricht wieder getrennt hatte.
Besonders aufgebracht waren sie über Acengs Gründe für die Scheidung. «In der ersten Nacht merkte ich, dass sie keine Jungfrau war, weil kein Blut herauskam.» Der kleine Macho sah sich getäuscht. «Ich wollte eine Frau heiraten, die äusserlich und innerlich schön ist.» Er habe nur einmal mit ihr geschlafen, nachdem er 250 Millionen Rupiah (26’000 $) für die Hochzeit ausgegeben habe, lamentierte er gegenüber Reportern. «Nachdem ich sie gekauft habe, fand ich heraus, dass sie nicht in dem versprochenen Zustand war. Also gab ich sie zurück.» Fani, die behauptet, jungfräulich in die Ehe gegangen zu sein, war einverstanden gewesen, Acengs Zweitfrau zu werden, nachdem er ihr versprochen hatte, ihre Collegeausbildung zu bezahlen und sie auf eine Umroh (die kleine Pilgerfahrt nach Mekka) mitzunehmen.
Zwar sah die Golkar-Partei, die Aceng als Kandidaten für die Position vorgeschlagen hatte, keinen Handlungsbedarf, weil «dies eine persönliche Angelegenheit» sei. Der Innenminister jedoch forderte Aceng auf, sich in der Öffentlichkeit und bei Fanis Familie zu entschuldigen. Er habe bei seiner Amtseinführung geschworen, das Gesetz aufrecht zu halten, mit seinem Handeln aber «gegen das Gesetz verstossen, weil er die Eheschliessung nicht registrieren liess». Deswegen könne er ihn auch feuern.
Töchter als Vermögenswerte
Aceng hatte seine Braut offensichtlich nach altem indonesischem Brauch von den Eltern gekauft. Was andernorts als Menschenhandel verurteilt würde, gilt in weiten Teilen der indonesischen Gesellschaft bis heute nicht unbedingt als anstössig. Arbeitslosigkeit, Armut und nicht zuletzt grenzenlose Gier veranlassen Eltern oftmals, ihre Töchter zu verkaufen. «Für eine Familie ist die Tochter eine Ware, sie stellt einen Vermögenswert dar», sagt Rinno Sutranto von der Koalisi Perempuan Indonesia (Indonesische Frauenkoalition).
«Früher waren das die Söhne, die zur Arbeit auf die Plantagen verkauft wurden. Seit es keine Arbeit mehr auf den Plantagen gibt und alles technisiert ist, sind die Töchter zu Vermögenswerten herangewachsen.» Besonders mit Beginn der Wirtschaftskrise (1998) habe dieser Frauenhandel einen immensen Aufschwung genommen. «Mit der Krise lastete die Gesellschaft die Bürde, den Unterhalt der Familie zu finanzieren, den Frauen auf,» sagt Rinno, «besonders den jungen.»
Die Folgen sind überall zu beobachten. Wonogiri, Grobogan, Blitar, Banyuwanggi, Karawang, Lampung, Pontianak, Manado oder besonders Indramayu sind im ganzen Land berühmt für ihre Töchter, die zum Verkauf stehen. Sie werden in die Bars, Massagesalons, Diskotheken und Bordelle in Jakarta, Bandung, Surabaya, Denpasar, Medan, Batam, Ambon, Manado, Makasar, nach Singapur, Taiwan, Tokio, aber auch nach Korea, Australien oder Europa verschickt.
So wie Epi, die in Indramayu im «Flamboyan», einer Karaoke-Bar, anschafft. Natürlich sei sie «glücklich». Charmi, die Mutter der 14-Jährigen, strahlt über das ganze Gesicht. Früher hätten sie in einer Bambushütte am Fluss gelebt. Aber dann habe Epi das Grundstück gekauft, das Haus gebaut und ihrem Vater, der bis dato als Landarbeiter in den Reisfeldern zweimal im Jahr für die zwei Wochen der Erntezeiten 10’000 Rupiah am Tag verdient hatte, «eine Goldgrube» erworben, ein eigenes Reisfeld. Sie deutet auf die drei Zimmer und erklärt, sie möchte das Haus gerne vergrössern. «Aber das hängt von Epi ab, wie viel sie verdient.» Es reichte bisher immerhin auch zu einem Fernseher, einer Stereoanlage, einer goldenen Armbanduhr am Handgelenk ihres arbeitslosen Bruders, und im Schrank steht auch ein Koran. Natürlich bete sie fünfmal am Tag, wie es der Koran vorschreibt. Charmi betont, dass sie eine fromme Muslimin sei, sie gehe regelmässig in die Moschee. Aber die Arbeit ihrer Tochter sei alleine deren Sache. So bringt sie Scharia und Prostitution in Einklang. «Das geht niemanden etwas an, auch nicht Gott.»
«Alle Mädchen dort werden in die Stadt geschickt, in die Bordelle oder zu den Arbeitsvermittlern,» berichtet Rinno. «Die Vermittler kommen nach Indramayu und bieten dem Vater eine Million Rupiah für die Tochter an.» Und die Eltern sind einverstanden, sie bereiten ihre Töchter auf ihre zukünftige Tätigkeit vor.
Der Weg in die Prostitution
«Kinder werden gewöhnlich von ihren eigenen Eltern für die kommerzielle Sexindustrie sozialisiert,» heisst es in einer ausführlichen Untersuchung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über Indonesiens Kinderprostitution. «Die Eltern betonen stark den kindlichen Gehorsam.» Die Fürsorge der Eltern müsste das Kind später zurückzahlen, wird den Mädchen eingetrichtert, «besonders, wenn das Kind die Möglichkeit hat, viel Geld zu verdienen.»
Folgerichtig überwachen die Eltern die körperliche und soziale Entwicklung sehr genau, bis die Tochter alt genug ist, um verkauft werden zu können. Weil viele Zuhälter keine unerfahrenen Mädchen wollen, verheiraten die Eltern die Tochter gewöhnlich, sobald sie die Grundschule abgeschlossen und die erste Monatsblutung gehabt hat. Danach wird die Ehe schnell wieder geschieden, um die junge Frau in ihr zukünftiges Berufsleben zu schicken. Oder sie entscheiden sich, die Tochter als Jungfrau zu verkaufen.
«Wir raten den Eltern, sehr auf ihre Töchter zu achten,» erzählt ein Makler oder Agent, wie er hier genannt wird. «Heute ist die Nachfrage nach Jungfrauen sehr hoch.» Die Furcht vor AIDS und Geschlechtskrankheiten führt zu einer zunehmenden Nachfrage nach immer jüngeren Prostituierten.
Ehe das Kind das Haus verlässt, wird es spirituell vorbereitet. Die Eltern gehen zu einem «weisen Mann» und bitten um Rat, ihre Tochter hübscher und gefragter zu machen. Gewöhnlich schickt dieser die angehende Prostituierte an einen geweihten Ort, ein Grab, eine Höhle. Dort muss das Mädchen «so lange wie möglich fasten und meditieren.» Es schläft dort auch. Nach Beendigung des Fastens gibt ihm der «weise Mann» heiliges Wasser zu trinken, ehe es nach Hause zurückkehrt, um in Blumenwasser zu baden. In den folgenden sieben Tagen darf es nur «ketan» (trockener, klebriger Reis) essen und erst nach Mitternacht und nur vor der Haustüre schlafen. Sobald es ein «Zeichen», einen Traum, eine Vision, gehabt hat, ist es «bereit», ins Bordell zu gehen.
Prostitution und legalisierte Prostitution
Europäische Beobachter können nur staunen, wie artig die Kinder dem Auftrag der Eltern folgen und unter schlimmsten Bedingungen die einstige elterliche Fürsorge zurückzahlen. Wöchentlich oder monatlich kommt der Vater, die Mutter oder ein anderer naher Verwandter in die Stadt, um ngalap, seinen Anteil am Hurenlohn, abzuholen. Von den Mädchen wird erwartet, dass sie auch für Reparaturen am Haus aufkommen, dem Vater ein zusätzliches Reisfeld kaufen oder mögliche Schulden der Eltern tilgen.
«Die meisten Kinder können kaum etwas sparen», meinte ein Zuhälter in einem Gespräch mit den ILO-Forschern und zeigte sogar mehr Mitgefühl als die Eltern, «weil beinahe jede Woche ein Verwandter vorbeikommt, um das Geld abzuholen. Wenn sie wenig eingenommen haben, meckern die Eltern.» Die Folgen sind sogar für Jakartas hartgesottene Bordellbesitzer unübersehbar. Die Mädchen aus Indramayu seien oft depressiv und neigten zu selbstzerstörerischem Verhalten, bestätigen viele. Sie nähmen Überdosen von Drogen oder fügten sich Verletzungen zu. «Wir bedauern sie,» sagte ein Zuhälter, «aber das ist nun einmal das Recht der Eltern.»
«Wir haben eine hedonistische Kultur, in der Frauen als Vermögen angesehen werden,» erklärt Pandji Putranto von der Internationalen Arbeitsagentur. «Eine Tochter gilt als Investition in die Zukunft.» Es ist ein kulturelles Problem. Javas Muslime «kennen nur die Rituale, nicht aber die Inhalte des Islam,» sagt er. So gelte die populäre Praxis der sogenannten Ehen auf Zeit - etwa unter Ausländern, die von ihrer Firma für eine gewisse Zeit nach Indonesien geschickt werden - als Einrichtung, die den Musliminnen entgegenkomme. Ein Mann schliesst mit einer Frau einen Vertrag über eine Ehe für einen begrenzten Zeitraum ab, für einen Monat, drei Monate, ein halbes Jahr. «Die Frauen glauben auf diese Weise nicht gegen das religiöse Verbot des ausserehelichen Sexualverkehrs zu verstossen,» erklärt Putranto.
Ein Vizepräsident als Lude
Selbst hohe Regierungsmitglieder fördern diese «hedonistische Kultur» gelegentlich. So empfahl der damalige Vizepräsident Jusuf Kalla, der derzeit wieder als Vizepräsidentschaftskandidat gehandelt wird, vor etlichen Jahren zur Förderung des Tourismus, die Möglichkeit von Ehen auf Zeit in Indonesien stärker hervorzuheben. «Wenn da eine Menge Touristen aus dem Nahen Osten kommen und eine ‚janda’ (eine Frau, die einen derartigen Ehevertrag eingeht) suchen, denke ich, dass das okay ist.»
Mit dieser Aussage gab er auf einem Tourismusseminar grünes Licht für diese Form der «legalisierten Prostitution», wie Frauenrechtsgruppen diese Ehen auf Zeit beschreiben. Davon könnten sowohl die Touristen als auch die Frauen, deren Nachwuchs und die indonesische Unterhaltungsindustrie profitieren. «Wenn die janda anständige Häuser bekommen, auch wenn die Touristen wieder abreisen, geht das in Ordnung. Die Kinder, die aus solchen Verbindungen hervorgehen, werden gute Gene haben. Unter diesen hübschen Jungen und Mädchen werden mehr Fernsehschauspielerinnen und –schauspieler sein.» (Dahinter steckt die Vorstellung, dass sie hellhäutiger, also «hübscher», sein könnten.)