Schweizer, Professor an der Universität Hamburg und Direktor des Weltwirtschaftsinstituts (WWI), das zu seinen Gesellschaftern die Handelskammer Hamburg zählt – das ist nicht gerade die wissenschaftliche Ecke, aus der man Sätze erwarten würde wie: «Der Kapitalismus ist am Ende. Was seine Gegner nicht vermochten, schafft nun die Europäische Zentralbank (EZB).» Straubhaar greift in «Die Welt» zum ganz grossen Hammer. Wäre Karl Marx auf Facebook, würde er den «gefällt mir»-Knopf drücken. Alle Daumen hoch.
Im Prinzip richtig
Straumann regt sich fürchterlich über die Einführung von Negativzinsen für bei der EZB geparktes Geld auf. Denn «ein positiver Zins ist – neben dem Geld an sich – das Herz des Kapitalismus, das Wachstum und Fortschritt antreibt». Wer Zinsen bekommt, verzichtet heute, um morgen mehr zu haben. Zinsen kaufen Zeit. Sie ermöglichen es, Konsum und Produktion zwischen Gegenwart und Zukunft zu tauschen. Soweit alles richtig.
Nochmals der Professor im O-Ton: «Negative Zinsen sind das Ende einer Wirtschaft, in der Gläubiger sparen, um Schuldnern zur Vorfinanzierung von Konsum und Investitionen Geld gegen eine Entschädigung vorübergehend zur Verfügung zu stellen.» Genau, aber dürfen die Völker wirklich die Signale aus Hamburg so verstehen, dass es auf zum letzten Gefecht geht?
Fehlalarm
Was Straubhaar hier beschreibt, manche mögen das bedauern, ist aber nicht das Ende des Kapitalismus, sondern höchstens ein weiterer Sargnagel für den Euro. Denn was die EZB versucht, ist, die Banken anzuhalten, billige Kredite an die Wirtschaft zu vergeben. Dabei gibt es aber zwei Probleme.
Zunächst einmal haben die USA, im Vergleich, ihren Bankensektor nach der Fastkernschmelze von 2008 kräftig aufgeräumt, Hunderte von maroden Instituten sind verschwunden. Demgegenüber wanken in Europa noch jede Menge Zombie-Banken herum, die ganz andere Probleme als die Vergabe von neuen Krediten haben.
Wichtiger noch: Wer als Privathaushalt oder als Unternehmen keine Ertragschancen sieht, verschuldet sich nicht neu, sondern baut Schulden ab. Wenn man mit einer Aktie mehr verdienen kann als mit einer Wertsteigerung der dahinterstehenden Firma, weil sich die Börsenkurse durch Gratisgeld völlig von der Realität abgekoppelt haben, dann haut man sein Geld doch wenn schon lieber da rein.
Oder nochmal anders: Wenn ein Wettbewerb zwischen Staat, Unternehmen und Haushalten entsteht, wer wie schnell Schulden abbauen kann, dann kann es keine Konjunktur geben. Wenn ein Haushalt heute ertragreich sparen kann, um sich morgen mehr zu leisten, dann tut er das – dies die Auswirkung des zurzeit fehlenden Zinsertrags. Wenn die Angst besteht, dass morgen alles viel teurer werden könnte, dann wird heute konsumiert – so die Auswirkung von Inflation. Wenn die Hoffnung besteht, dass morgen alles viel billiger werden kann, dann wird zugewartet – das wiederum ist die Auswirkung von Deflation.
Nicht der Kapitalismus ist am Ende
Dass sich Chinesen, Mitglieder der grössten kapitalistischen Wirtschaftsmacht der Welt, vor Lachen am Boden wälzen würden, wenn sie diese Untergangsprophezeiung des Professors aus Hamburg zur Kenntnis nähmen, mag noch kein endgültiges Argument gegen sie sein.
Aber einen gewissen Eurozentrismus muss man ihm schon vorwerfen. Er beschreibt einfach, dass man in der Eurozone eigentlich alles falsch macht, was man falsch machen kann. Das ist nicht mal die alleinige Schuld der EZB. Denn sie versucht ja nur, mit allen Mitteln eine Fehlgeburt am Leben zu halten. Sie erreicht es mit allen Wunderwerken des modernen High Tech Financial Engineering.
Der Versuch, eine Leiche künstlich am Leben zu erhalten, ihr Geld in die Adern zu pumpen, bis die Blutgefässe platzen, in der Hoffnung, endlich einen Herzschlag, also Konjunktur, Wachstum, zu hören, hätte etwas Rührendes. Wahrscheinlich liest man in Bankerkreisen eher selten Adorno: «Es gibt kein richtiges Leben im falschen.» Aber das ist nicht mal das Schlimmste.
Alle zahlen die Zeche
Die Verkündung des Endes des Kapitalismus aus fachlichem Mund ist auch nur der Ausdruck einer immer mehr um sich greifenden Verzweiflung. Denn selbst eine Professorenrente ist nicht mehr sicher, genauso wenig wie alle Spar- und Geldanlagen in Euro.
Aber bevor die Eidgenossen zu früh jubeln: Der Schweizerfranken ist durch die Anbindung an den Euro mittels Untergrenze mit dessen Schicksal verklammert. Die Schweizerische Nationalbank kann man ohne weiteres als den grössten Hedgefonds der Welt bezüglich des Euros bezeichnen. Wie der Euro, wie die EU, wie die Schweiz aus dieser Nummer wieder rauskommen wollen, da ist guter Rat wahrlich teuer. Aber immerhin: Es wird ohne Ende des Kapitalismus abgehen.