Ein utopischer Gedanke jenseits der «300-Franken-Frage»: Die SRG liesse sich auch «halbieren», indem sie sich auf die verlässliche Unterrichtung durch ihre linearen Dienste konzentrierte: schnörkellose Information, also mit geringstmöglicher Beteiligung von Gesinnungshuberei, Präpotenz, Anbiederung, Koketterie, «Promi»-Hätschelei, Kitsch und Klamauk. «Utopie» deshalb, weil so viel Strenge kaum mehr in die Köpfe will.
Zeitökonomischer Hinweis vorweg: Wer bezweifeln sollte, dass die Wahrheitspflichtigkeit von Politik und Medien absolut vorrangig ist, nämlich konstitutiv für die freie, demokratisch organisierte Gesellschaft, der scrolle weiter. Für die unverdrossen Weiterlesenden wäre es möglicherweise illustrativ und quasi «einstimmend», wenn sie einen Vormittag lang Radio hörten (SRF1). Und danach einen zweiten Vormittag lang Deutschlandfunk (Dlf).
Schon über die Motive der Initianten von Volksabstimmungen lässt sich häufig streiten, zumal sie nicht immer deckungsgleich sind mit den erklärten Absichten. Der Hintersinn hat in der Politik sein Gastrecht.
Gewöhnlich ist die Stimmbürgerschaft erstaunlich gleichmütig, selbst gegenüber der anschwellenden Zahl der Urnengänge. Seit alters äussert sich nur ein Unwille, wenn innert weniger Jahre dieselbe Materie aufs Tapet gebracht wird. In solchen Fällen kommt unvermeidlich ein alter Helvetismus in Umlauf: «Zwängerei».
Vertane Chance
Dass die politische und gesellschaftliche Erheblichkeit der SRG abermals zum Gegenstand der öffentlichen Debatte gemacht wird, will ich meinerseits nun nicht beklagen – schon weil die sogenannte Billag-Initiative als Chance einer Klärung und Übereinkunft vertan wurde.
Ob nun die «Halbierungs-Initiative» das medienpolitische Bewusstsein wecken und weiten wird, ist zweifelhaft. Doch soll der Zweifel uns daran hindern, die Gelegenheit der Mitsprache zu nutzen? Womöglich ist sogar der Versuch tolerabel, zunehmend vernachlässigte, ehedem massgebliche Gesichtspunkte zurückzurufen und in eine – Utopie umzugiessen!
Utopien hatten schon bessere Zeiten
Und dennoch! Stellen wir uns den öffentlich-rechtlichen Medienbetrieb als einen vorbildlichen, nicht mehr so mühelos anfechtbaren vor, als international respektierten – was sich vor Zeiten von der britischen BBC sagen liess. In die kurze Formel gebracht, hiesse das zunächst: Entmischung von Benachrichtigung und Unterhaltung, Verengung der «Moderatoren»-Laufgitter.
Beispiele gefällig? Hört her, hört auf so viel Sprachgewalt: «In der Ukraine sprechen seit gestern die Waffen …, nein, sie b r ü l l e n …» (Zitat!) Peinlich, wenn in der exponiertesten Nachrichtensendung die Eitelkeit den Ton macht. Erschütterungen, die einzig Empörung, Mitleid und Trauer hervorrufen können, bedürften der äussersten sprachlichen Kargheit. Vokabularische Angeberei ist in solchen Momenten vollends unerträglich. Wer das intuitiv Selbstverständliche verfehlt, müsste nachsitzen.
Und wie leicht die Gefallsucht in der Form eingespielter «Lässigkeit» und «Spassigkeit» über ungeschminkte Sachgerechtigkeit triumphieren kann, erlebten wir am letzten «Hohen Sonntag» der Demokratie, wo sich die Innenpolitik- und Charme-Expertin N. C. durch den eidgenössischen Wahltag grimassieren durfte. Eine fast schon drollige Burleske!
Abschied von …
Abschied zu nehmen gälte es konsequenterweise für ein Personal, das sich in Doppelrollen gefällt (wie bei ARD und ZDF üblich geworden): Vom Nachrichten-Desk zum Quiz-Gaudi. In der SRF-Fassung: Heut’ Abend bin ich Euer aller Angélique und morgen (als Tagesschau-Präsentatorin) die Vertrauensperson aller aktuellen Weltbezüge.
A b s c h i e d sodann auch vom allgegenwärtigen, den ernsteren Dingen Hohn sprechenden Grienen, der anscheinend verordneten Frohsinns-Mimik – der Karikatur von Freundlichkeit. Rückkehr somit zum D i e n s t an der nicht durchweg amüsanten «res publica», zu einer Diszipliniertheit des Übermittelns, wie sie früher etwa mit dem Namen Léon Huber verbunden war. «Nachrichtensprecher» halt «nur» – Nicht zum «Moderieren» «berufen»!
In der erträumten, funktionsgerecht operierenden Anstalt SRF hätte das Links-Rechts-Schema eine mindere Bedeutung – zugunsten eines ideologiefreien Erfassens und Bezeugens – mit «ganzem Bewusstsein» (Max Weber).
Dem in der TV-Pionierzeit noch keineswegs übermütigen Nachrichtenredaktor und seinem Sprecher war zweifellos bewusst, dass sie die Wahrnehmung des rapportierten Geschehens (nolens volens) modellierten, doch war ihnen der Gedanke fern, auf die realen Gegebenheiten und Missstände einwirken zu können. In unserem hier postulierten Medienhaus käme zu Ehren, wer ein unterschwelliges oder gar plumpes Vermengen von Sein und Sollen, von Tatsachenbehauptung und Gesinnungsmarkierung zu vermeiden wüsste, wer zuerst und zuletzt der Wahrheitsfindung sich hingäbe.
Der Multiplikationszauber wäre unter solchen Voraussetzungen auch hinreichend de-personalisiert, der Verzwergungsfaktor der Selbstbezüglichkeit und Selbstbespiegelung vernachlässigbar. Die Entertainer und Entertainerinnen könnten nicht mehr fliegend ins «ernste Fach» wechseln; sie müssten sich entscheiden, müssten sich in i h r e r (nicht weniger anspruchsvollen) komischen Rolle bewähren. Es ist ja Raum genug für Scherz und Gaukelei. Die SRG gibt, wie es den Anschein hat, keiner Konzessionsbestimmung so viel Gewicht wie dem Unterhaltungs-«Auftrag». Sie sollen ja auch sein, Ablenkung und Entlastung! Nur müsste dies nicht partout eine Stimulierung der genügsamsten Gemüter sein.
Einem Medium, das den wissensabhängigen Bürgern und Bürgerinnen treuhänderisch zudient oder aber seinen Bediensteten erlaubt, sich zu ihrer Selbsterweiterung … des Mediums zu b e d i e n e n, das ist deutlich zweierlei.
Die Basis: Glaubwürdigkeit
Wo bliebe denn in dieser gestrafften SRG der Beitrag zur «Meinungsbildung»? Dieser Zwischenruf ist unausbleiblich. Der Beitrag läge hauptsächlich in der Glaubwürdigkeit der Basis-Information. Insoweit die Meinungsbildung der Animation bedarf, die heute stereotyp als «Einordnung» angepriesen wird, finden sich in einer journalistisch aufgeklärten Redaktion stets ein paar Leute, die unterscheiden und verknüpfen können – weil sie auch übergeordnete Aspekte ins Auge fassen. In den mir wünschbar erscheinenden, rigoros aufgeräumten SRF-Werkstätten bräuchte es keine designierten Chefkommentatoren und keine «Sonderkorrespondenten» – oft Abkommandierungen von Redaktoren, die mit Kompetenz-Anmassungen bedenkenlos zu leben verstehen. Den ortsvertrauten ordentlichen Korrespondenten sind «Grossaktualitäten» doch nimmer zumutbar ...!
Und ebenso wenig bräuchte es eine «Investigativ-Abteilung“. Man hätte «investigativ» genug damit zu tun, gewisse Ideologismen der Schleusenwärter des Nachrichtenflusses aufzudecken. Heinrich Böll, der sich in den Ruch geschrieben sah, «Sympathisant» einer extremistischen «Linken» zu sein, hatte uns, die Fähnriche der Besserwisser-Garde, wiederholt ermahnt, dass wir uns auf unser Meinen nichts einbilden sollten. «Gesinnung ist immer gratis.»
Expressive Traulichkeit
Das in groben Strichen skizzierte SRG-Ideal schliesst eine Reihe von Stilfragen ein – und vor allen Dingen aus: Die ständige Selbstbelobigung der Institution und ihrer Hervorbringungen, dieser Trailer-Ankündigungsfimmel, Tagesschau-«Anrisse» für Hausgemachtes, diese redaktionelle Intimisierung mit ihrer Ballzuwerferei von Du zu Du … «Danke, Arthur!»
Was zur erhofften Professionalisierung dazugehörte, wäre eine m e d i e n- s p e z i f i s c h e Qualifizierung. Nicht die schrillsten und auch nicht die rapidsten, sondern die ruhig und d e u t l i c h sprechenden Präsentatoren gehörten in die Senderäume – wenn immer möglich auch solche, die mit einem angenehmen Organ ausgestattet sind und die von Rhetorik und deren Gesetzen (Modulation z. B.) schon mal was gehört haben. Man möchte ja auch meinen, dass der Täuschungszauber des «Teleprompters» eine erhöhte Aufmerksamkeit für die Sonorität erlaubte.
Von einer – zum guten Teil – gebührenfinanzierten Einrichtung darf man solche B a s i s k o m p e t e n z e n erwarten. Wie wir, augenzwinkernd oder achselzuckend, auch erwarten dürfen, dass ein zugewandertes Radio-Talent irgendwann realisiert, dass es in der S c h w e i z tätig ist: dass uns nicht all ihre Germanismen entzücken müssen. Gewiss, gewiss, wir haben bald keine Buben und Knaben mehr, doch ihre «Jungs» könnte die muntere Programm-Begleiterin gelegentlich bleiben lassen, wo sie zu Hause sein mögen. Ein paar hiesige Begriffe sollten sich – im Gemäuer einer sich staatstragend dünkenden Einrichtung – wohl noch behaupten dürfen.
Das grosse Publikum wüsste es wohl zu schätzen und wäre froh, wenn das «bi-de-Lüt»-Sii sich nicht auf die Mona- und Röbi-Abende oder auf den Donnschtig-Jass beschränkte, sondern sich auch moderatorensprachlich zu erkennen gäbe. Und «tschüss»!
Wachstums-Umkehr
Zusammengerafft: Eine dominanzwillige, in alle Kanäle vordringende und sämtliche Musikgeschmack-Segmente bedienende SRG kann nicht erstaunt sein, dass der Wunsch, sie auf ein zuträgliches Mass zurückzuschneiden, immer wieder hochkommt. Selbstbeschränkung, Wachstum «nach innen» sozusagen, das würde sie fraglos weniger anfechtbar machen. Eine deontologisch ausgerichtete und den Geistesmoden der jeweiligen Zeit widersagende SRG wüsste sich eine – nicht allzu feierliche, dafür verpflichtende – «Charta» zu geben, die ihren Auftrag unzweideutig klarstellt: Rückzugsmöglichkeit für die spassgewerblich Ermüdeten, um Klarsicht ringenden Leute! Ankerplatz in dauererregter See, Leuchtturm eines nicht so leicht einzuschüchternden Willens zur verbürgbaren Faktenbeschreibung, Medium der Entschleunigung und Entschleierung, des wohlbedachten «parler franc et vrai» – mitsamt einer Debattenpflege, die sich auch als Schule der Nachdenklichkeit und der Toleranz gegenüber abseitigen Standpunkten bewähren könnte. Schutzzone für das selbst-b e w u s s t vorgetragene Argument. Zufluchtsort für all jene, die von den «X»-fachen Verkürzungen und den Hemmungslosigkeiten all der andern Sozialen Netzwerke allmählich genug haben.
Ein Zukunftsmarkt! Wenn auch vorerst nur ein Nischenmarkt.
Und über alle Marktchancen hinausblickend: Von einer solchen Idealvorstellung auszugehen, wäre sicher keine abwegige Ambition. Zumal wir im langen Schatten technischer Errungenschaften stehen, die es den «Fakes» immer leichter und den F a k t e n immer schwerer machen.
Eine so «modernisierte» SRG-Informationspraxis infiltrierte ein Gegengift zu den Borniertheiten hastig denkender und publizitätssüchtiger (gern nordamerikanischer) Philosophen (und insbesondere Philosophinnen!), kurz: ein Gegengift zu den mentalen Drogen, die uns das unabhängige Urteilen ersparen. Was uns von nachläuferischen Medien (den Arrière-Gardes universitärer Institute …) gebieterisch und genderisch vorgesprochen wird, hält sich zumeist in Maximaldistanz zu allem existentiell Wichtigen, zu Relevanz-Begriffen, die verloren zu gehen drohen.
Was wollen die von der Allgemeinheit getragenen Medien anderes wollen! Sprachliche, also gedankliche Volksumerziehung zur untadeligen Wokeness? Sie können à la limite nur e i n e s wollen: Gründliche (auf den Grund gehende), von keiner «Primeur-Manie» gefährdete, g e s i c h e r t e Benachrichtigung als Resultat beharrsamen Nachspürens. Klarer und uneitler Ausdruck (wobei ein bisschen Eleganz durchaus nicht störend wäre).
Was «das Publikum» will
Die Sender einer unirritierbar q u a l i t a t i v orientierten SRG würden nicht alle Menschen zu erreichen suchen, jedenfalls nicht einfangen wollen. In den Redaktionen hinge eine Affiche mit dem Wort eines ehemaligen BBC-Direktors: «Wenn du mich fragst, was das Publikum wolle, so wird es wollen, was du ihm gibst». Immer voraussetzend, dass die Gabe das Prädikat der Vertrauenswürdigkeit verdient. Mit einem Wort: «Mach dir kein Bild des ‘einfachen’ Empfängers, kein Bild vom Mann und von der Frau ‘der Strasse’!»
Die (zugegeben: etwas forciert herbeigeträumte) neue Hausordnung enthielte auch Klarstellungen bezüglich der journalistischen Zutrittsbedingungen. Um in eine den Ansprüchen entsprechend salarierte SRG-Funktion aufsteigen (!) zu können, müsste schon sowas wie eine Eignungsprüfung bestanden werden: Die Kandidaten hätten sich in psychologischen Experimenten darüber auszuweisen, dass sie zum Wahrheitsdienst fähig sind und nicht vor allem ihre Stimme oder/und ihr Bild verbreitet haben möchten.
Sprech- und Sprachkompetenz (insbesondere die s e m a n t i s c h e und die metaphorische) wären leicht und folglich unnachgiebig prüfbar. Gäben die Damen und Herren eine (partei-)politische Tendenz zu erkennen, müssten die Arbeitsproben eine günstige Prognose erlauben, dass die Tendenz nicht ins Tendenziöse abschmiert, dass Distanz als Tugend anerkannt und gesucht wird. Mit anderen Worten: Das Privileg nahezu beamtenhafter Arbeitsplatzgarantie wäre lediglich einem Typus der kritischen Selbstbeobachtung zuzusprechen. Mag es nur noch die Spezialität einiger Philosophen sein, ins forschende und fordernde Gespräch mit ihrem Selbst zu treten: Menschen, die in den öffentlichen Raum hineinwirken (und in und von der Sprache leben), müssten sich ungezwungen dieser endlosen Kur unterziehen lassen.
Der Linken geneigt?
Nach meiner Wahrnehmung verhält es sich tatsächlich so, wie es ein verbreiteter Argwohn will: dass die öffentlich-rechtlich behüteten Journalisten sich einem emanzipatorischen Mandat verpflichtet fühlen, mithin der Linken verbunden sind, was immer diese jeweils anbieten mag – je jünger, desto linker – denn die spärliche Anschauung konnte sie noch nicht zureichend ideologie-kritisch aufladen und zur Überzeugung bringen, dass nichts emanzipatorischer ist als die allseitige und unermüdliche Schürfung von Wahrheitsbezügen. Die allseitige, jawohl!
Weniger Hörer und weniger Zuschauer bei gleichbleibenden oder n o c h höheren Kosten! Das wäre der Preis, den wir hinnehmen müssten, wenn wir uns denn dem skizzierten Ideal nähern und einen Schweizer Medien-«Sonderfall» schaffen wollten.
Alles, was der Rede wert ist, entwächst einem T r o t z d e m, einem Dennoch: Eine Chance nun also für die SRG, die uns zuweilen ja auch hoffnungsvoll macht und nicht bloss Talente, sondern im Geiste Pascals «honnêtes hommes», integre Persönlichkeiten, ins Licht stellt. Gewissenhafte! In deren Linie wäre energisch fortzuschreiten.
Das Führungspersonal …
Es ist vorab das SRG - F ü h r u n g s p e r s o n a l, das der Nachschulung bedürfte. Sein Sammelruf des «Zusammenstehens» entblösst gähnende Führungsschwäche. Wo bleiben, in «postfaktischer» Zeit, die notwendigen Gegenimpulse? Sind die Funktionäre der oberen Etagen durchs Band weg taub für falsche Töne? Oder «nur» feige? Die Leiter aller Stufen müssten die Kraft aufbringen, sich bei ihren Duzfreunden an der «Front» mit Stilvorgaben unbeliebt zu machen. Das war, wie ich’s vor einigen Jahrzehnten erfuhr, durchaus erlebbar: Von Guido Frei bis Ueli Kündig, von Hans O. Staub bis Willy Kaufmann. (TV-Direktor Frei drohte mir seinerzeit brieflich eine Versetzung ins Provisorium an, weil ihm eine kecke hauskritische Rede zu weit ging – Disziplinierungsversuch, Führungswille, immerhin! Oder etwas deutlicher: Er war einer der letzten – zudem durch klassische Bildung gefassten – Direktoren, die nicht aller Liebkind sein wollten. Und er wusste, dass er immerzu Ziel eines bissigen und kostenlosen Spottes war.)
Das Trotzdem der letzten Chance für eine (partei-)politisch so leichthin ins Wanken zu bringende SRG, als Chance für eine unnachgiebig verantwortete Liberalität des Wortes und des Bildes. Verantwortete!
Wenn die SRG so hoch aufzufliegen bereit wär‘, dürften wir ihr die Flügel nicht stutzen. In zehn Jahren vielleicht, wenn das Erstarkungs-Experiment gescheitert sein sollte und die e i n s t i g e BBC-Exzellenz weiterhin ausbliebe.
In diesem betrüblichen Fall: Kurzschnitt!
Wenn sich zeigte, dass Qualität nur die Sache Weniger ist und mithin nicht finanzierbar, bliebe eine ohnedies wünschbare Verschlankung unumgänglich: Keine halbstaatliche Flüchtigkeit, keine gebührenfinanzierte Kurzatmigkeit, kein auftrumpfendes Mittelmass! Raus aus dem Online-Geschäft! «Wahrheit braucht Zeit», war der Refrain eines meiner Lehrmeisters, eines Publizistikprofessors.
Es wird zweifellos auch immer mehr Menschen geben, die mit dem obligatorischen SRG-Obolus nur ungern eine schon weit genug fortgeschrittene Display-Versklavung sponsern.
Also: Herunter von den sogenannten Plattformen und zurück zum – mitternächtlichen «Sendeschluss»! Eine Wohltat der frühen Fernsehjahre! Sendeschluss statt einer Vollstopfung der Kanäle mit teuer zusammengekaufter Billigware (die von den zahllosen kommerziellen Anbietern reichlich zu haben ist). Ein paar Bildschirmleichen weniger, das wär’ doch schon was!
Ferner böte der insgesamt überladene Nachrichten-Anteil des Statistischen und Prognostischen weitere Einsparungsmöglichkeiten: Es ist nicht erfindlich, weshalb die emsigen Befragungsinstitute mit SRG-Mitteln mitfinanziert werden sollten. Demoskopisch «legitimierte» Politik-Mitgestaltung oder suggestive Mit-Lenkung ist bekanntlich nicht ganz unproblematisch, jedenfalls nicht Sache von öffentlich-rechtlichen Medien.
Klammer-Wirkung
Wenn das ohnehin schrumpfende, in die Klick-Sphäre abwandernde und sich bald nur noch „on demand“ ins Bild setzende Massenpublikum nicht mehr auf ein analoges Programm erpicht sein sollte, das aus heimischer Warte gestaltet ist, wenn es nicht mehr «schweizerisch» Radio hören und fernsehen will, bleibt vernünftigerweise einzig die Alternative quantitativer Reduktion – bis hin zur Preisgabe «vollständiger» zweiter Programmlinien. Konzentration auf die «M ü n d i g e n»! Zu Lasten einer Tele-Politik der Pose und einer «Themensetzung» der Sensationalisierung, Moralisierung, Skandalisierung.
Über eine anspruchsvolle Minderheit, die nach dem «zweistufigen Kommunikationsmodell» mit den «Bezugsgruppen-Leadern» identifiziert wurde, wäre die vielbeschworene Klammerwirkung der SRG wahrscheinlich kaum von geringerer Wirkungsmacht.
Und so bewegte sich unser Monopolist im glücklichsten Falle auf die französische Philosophin Corine Pelluchon zu, die mit überzeugenden Argumenten für eine «zweite Aufklärung» und zivilisatorische Erneuerung wirbt. Durch diese sollten wir lernen, von «der Politik» weniger zu erwarten – und eine Demokratie zu favorisieren, in der möglichst pragmatisch und tugendethisch Regierende von verzichtfähigen Regierten regiert würden.
Kritikasterei?
Wer auch den typographisch herausgeputzten Rubriken «In eigener Sache» sein Augenmerk schenkt, wird sich als Leser d i e s e r Epistel die Haare raufen: Wie kommt ein Verwegener zu einer derart spitzen Kritik der journalistischen Praxis! Bei all den vielen Ausgezeichneten!
Ein Beckmesser, wie er im Buche steht!
Der Auszeichnungs-Hochbetrieb suggeriert das pure Gegenteil. Exzellenz, wo man hinschaut! Gibt es denn noch rührige Medienschaffende, die das Preisungsgewerbe hätte übersehen können? Wenn ja, wird eine der vielen PR-trächtigen Stiftungen sie schon noch superlativisch ereilen. Und gelte dieses öffentliche Lobzollen auch nur einer Marginalie. Inzwischen scheinen bereits Nominierungen (spätestens im Nachruf) mitteilenswert. Die amerikanische Glamour-Industrie macht uns vor, was wir nachzumachen haben.
Das K a t e g o r i s c h e liefert jeweils ein medienwissenschaftliches Zürcher Uni-Institut (!) mit seinem, bitte sehr, unanfechtbaren Kriterien-Katalog und dem zugehörigen Ranking. Das neueste hebt SRF in den ersten Rang der «Qualitätsmedien»! Wie hilfreich vor der «Halbierungs-Abstimmung»! Aber nein doch: wissenschaftlich! Was soll da noch zu beanstanden sein?
Das Ganze hier – also nichts weiter als ein elitäres Hirngespinst?
Wohlan! Auch die direkteste der halbdirekten Demokratien kommt nicht ohne handlungsanleitende Elite aus. In allen schwierigen Fragen sämtliche Bürgerinnen und Bürger «abholen» zu sollen (von wo und wohin auch immer), ist die wohlfeile Empfehlung entbehrlicher «Politik-Berater», s i e allesamt ja begnadete Kommunikatoren!
Einschlägige «flankierende Massnahmen» wären im Übrigen auch nicht zu verachten: «Freistellung» von Scharen sogenannter «Informationschefs», der Deodorants und Abwiegelungsexperten der Departemente, unverstellter Zugang zu den v e r a n t w o r t l i c h e n Amtsträgern! (Ein Postulat, das freilich nicht hierher gehört, sondern ins Zimmer der Kommunikations-Delegierer, der Mitglieder unserer Landesregierung. Die unter Anleitung der Bundeskanzlei souverän genug sein müssten, die Sequenzen der Verlautbarung zu bestimmen – was heisst: auf das jeweilige Sachinteresse abzustimmen und dem Drängen der branchengenuin ungeduldigen Medienleute zu widerstehen.)
Gewidmet: den Urteilsfähigen
Und wenn wir so weltfremd weiterträumen dürften, versprächen wir uns von einem Trend zur SRG-K o n z e n t r a t i on und der Substantiierung von Recherche und Témoignage auch den einen und andern V e r z i c h t: auf «O-Töne» der wohlfeilen, allzu naheliegenden Art. Was all die Passanten und «Augenzeugen», die aus dem schieren Bebilderungs- und Vertonungszwang ein Mikrophon unter die Nase geschoben bekommen, was d i e uns jeweils zu sagen wissen, haben wir schon verschwitzt, während sie noch (sprachlos) sprechen – es sei denn, sie beherrschten den hippen Medien-Jargon des Stummelsatzes: «So geht» Schweiz, «so geht» – Infantilismus.
Die privatwirtschaftlich betriebenen und getriebenen Konkurrenten werden in der alsbald anhebenden Kampagne andere Empfehlungen aussprechen, aus durchschaubaren Gründen.
Nicht auszuschliessen, dass ihnen so manch Imponiergerede (Arena statt Agora, Fussball-«Experten»-Palaver und -Aus-r u f e r ei statt unaufgeregter Bild-Ergänzung) ebenfalls auf den Geist geht, von der penetranten SRG-Eigenwerbung n i c h t abzusehen! Nur fänden die «Privaten» ihrerseits auch die eine und andere Ursache, ihre eigene Produktion zu überdenken. Narziss wandelt nicht nur durch die verschlungenen Gärten der Schweizerischen Radio- und Fernsehgesellschaft.
Swiss made
Utopia auf einen Blick: Unser Land rafft sich dazu auf, einen (institutionell unvermeidlich staatsnahen) Radio- und Fernsehbetrieb zu unterhalten, der das Volk mit der Annahme ehrt, dass es ein mündiges Volk sein wolle – mit einem Betrieb, der mit menschenmöglicher Umsicht und Sorgfalt i n f o r m i e r t , der Begriffsarbeit leistet und im Unterhaltungsfach auf ein nicht unterbietbares Niveau hält.
Wenn bisherige «Alleinstellungsmerkmale» verglühen, könnte eine wahrhaft respektable SRG als «USP» der Schweiz erstrahlen. Und das Schönste an dieser irrealen Geschichte: Die stolzen Schweizerinnen und Schweizer sagen mit e i n e r trotzigen Stimme: «Das leisten wir uns einfach!»
*Jürg Tobler (Jahrgang 39) diente von 1970 bis 1974 dem Deutschschweizer Fernsehen, ab 1971 als Inlandchef, danach bis Ende 1989 periodisch als Diskussionsleiter von «Tatsachen und Meinungen» und «Zur Sache». Während rund 25 Jahren stand Tobler in der Hauptverantwortung der Zeitungen «Luzerner Neuste Nachrichten» und «St. Galler Tagblatt». Er ist Autor von Büchern zu Fragen der Medien und Politik.