Wer in der Schweiz lebt und im Ausland einkauft, ruiniert als raffgieriger Bösewicht das einheimische Gewerbe und muss an die Kandare genommen werden. So sehen es die Ostschweizer Regierungen und setzen alle Hebel in Bewegung, um das geradezu landesverräterische Treiben wenn nicht zu verbieten, dann doch enorm zu erschweren.
Zwei Seiten der gleichen Medaille
Das ist die eine Seite der Medaille. Die andere Seite sind die ausländischen Gäste, die als umso geschätzter gelten, je mehr sie in der Schweiz shoppen und mithin das Gewerbe in ihren Herkunftsländern schädigen.
Beide Male handelt es sich ums gleiche Verhalten, auf das die Politik jedoch unterschiedlich reagiert. Mit abstrafendem Tadel für die eigenen Landsleute und mit ermunterndem Lob für die fremde Käuferschaft. Es braucht die Blindheit auf einem Auge, um den Widerspruch nicht zu erkennen.
Mit dieser Unschärfe sind die Schweizerinnen und Schweizer rasch als Täterinnen und Täter ausgemacht und die Ausländerinnen und Ausländer als Wohltäterinnen und Wohltäter, die Bankkundschaft eingeschlossen. Vereinfacht gesagt und doch nicht völlig falsch: Mit dem ausländischen Pass geht es über den roten Teppich in die Schweiz, mit dem roten Pass über Hürden.
Schnäppchen und Schnippchen
Ja, es gibt sie, die Sparfüchslein, die stundenlang mit dem Auto in die Konsumparadiese jenseits der Landesgrenze reisen, um mit Mineralwasser, Waschmitteln und Fertigsuppen zu Aktionsrabatten den Kofferraum zu füllen. Belohnt mit dem herrlichen Gefühl, dank der Schnäppchen der Hochpreisinsel Schweiz ein Schnippchen geschlagen zu haben. Vor allem bei Nichtbeachtung der Fahrtkosen und der Umweltbelastung. So oder so: Die Bösewichte geniessen ihr Glück.
Ist der Wunsch nach dem Günstig-Einkauf ein wahrhaftiger Grund, die Preisbewussten mit schwerem Geschütz unter patriotisches Feuer zu nehmen? Gewiss nicht. Zumal die schiessenden Regierungsmitglieder über ein Einkommen verfügen, von dem die Mehrheit der gemassregelten Untertanen nur träumen kann.
Notwendigkeit und Vergnügen
Viele Familien sind nicht aus Geiz, sondern aus Notwendigkeit auf tiefe Preise angewiesen. Beim Discounter um die Ecke oder – wenn es noch besser ins Budget passt – im Ausland. Die Anwaltschaft des einheimischen Detailhandels blendet weitere Motive fürs angebliche Delinquieren aus: das ennet der Grenze oft breitere Angebot, den oft kompetenteren Kundendienst und das in schmucken autofreien Innenstädten oft vergnüglichere Flanieren. Auch die Emotionen zählen und verhelfen zum Glück.
Rechnung ohne das Ausland
Die Ostschweizer Regierungen haben samt Bundesrat nach der Herabsetzung der Zollfreigrenze vor lauter Freude über ihr Heimatschutzprogramm nicht mit Retorsionsmassnahmen gerechnet. Deutschland beabsichtigt, die Rückerstattung der Mehrwertsteuer auch bei Kleinbeträgen zu gewähren und die administrative Abwicklung zu entbürokratisieren.
Die schweizerische Erschwerung der Auslandeinkäufe und die deutschen Erleichterungen werden sich die Waage halten und unsere Detailhändler hoffentlich dazu bringen, ihre Hochpreispolitik als Kern des Problems zu überdenken.
Aus Rücksicht auf die Kundschaft und als Abkehr vom Hochmut, wer verkaufe, der befehle. Die Reisefreiheit ist grenzenlos. Auch für den Fall, mit Taschen und Körben unterwegs zu sein. Sonst können wir einpacken.