Als General Yahya Khan 1969 über Pakistan das Kriegsrecht verhängte, kam es im ganzen Land zu Demonstrationen. Eine Mädchenklasse des Jesus and Mary Convent in Lahore begab sich vor die Residenz des Gouverneurs und skandierte Protestrufe. Eines der Mädchen stieg auf die Brüstung der Vorhalle und pflanzte dort eine schwarze Fahne auf.
Aufsehen erregendes Urteil
Das Mädchen hiess Asma Jilani. Die Siebzehnjährige hatte einen besonders triftigen Grund zum Protest. Ihr Vater war in Haft genommen worden, weil er den (damals ostpakistanischen) bangalischen Oppositionsführer Sheikh Mujibur Rahman vor Gericht verteidigt hatte.
Ein Jahr später sass Vater Jilani wiederum im Kittchen. Asma, inzwischen volljährig, unterzeichnete eigenhändig eine Petition an das Obergericht von Lahore. Darin wurde das Kriegsrecht als Verfassungsbruch erklärt und die Beugehaft als gesetzeswidrig. Das Gericht wies die Argumentation zurück, die junge Frau – vertreten durch den Familienanwalt – appellierte an das Oberste Gericht. Dort bekam sie recht. In einem Aufsehen erregenden Urteil erklärte der Richter das Kriegsrecht als verfassungswidrig. „Asma Jilani vs. Government of Punjab“ schrieb Rechtsgeschichte.
Ungleicher Kampf
Es war eine doppelte Feuertaufe und eine gute Vorbereitung für die kleingewachsene Frau, die nach dem Jus-Studium heiratete und fortan Jahangir hiess. Denn zwei weitere Militärdiktatoren warteten in den Kulissen, um sie herauszufordern. Sie nahm den – ungleichen – Kampf auf, mit besonderem Gusto gegen General Zia al-Haq, der seine Diktatur um islamistische Vorgaben verschärft hatte.
Sie spezialisierte sich auf die Verteidigung von Frauen, die unter den berüchtigten Hadood Ordinances in Haft gekommen waren. Diese Sammlung (nicht-koranischer) Gesetzes-Überlieferungen hebelte grundlegende Menschenrechte aus. So mussten etwa Frauen, die vergewaltigt worden waren, eine lange Gefängnisstrafe wegen Ehebruchs gewärtigen, es sei denn, sie konnten dem Gericht (vier! männliche!) Augenzeugen der Schandtat präsentieren.
Der Mord im Anwaltsbüro
Noch schwerwiegender waren die Blasphemie-Gesetze: Falls ein Muslim schwor, einen „Ungläubigen“ – meistens waren es arme Christen – beobachtet zu haben, wie dieser zum Beispiel ein Exemplar des Korans in die Gosse geworfen hatte, genügte diese Behauptung, um in ein Todesurteil zu münden. Oft stand hinter solchen Beschuldigungen lediglich das Kalkül, an das Land oder Haus des Kafirs zu kommen.
Zusammen mit ihrer Schwester Hina Jilani betrieb Asma in Lahore eine Anwaltskanzlei. Die beiden hatten auch ein „Safe House“ eingerichtet, in dem Frauen sich verbergen konnten, die einer gewalttätigen Ehe entflohen waren. Ich erinnere mich, im Jahr 1997 einmal in Hinas Büro auf meinen Termin mit Jahangir gewartet zu haben, die noch nicht aus dem Gericht zurückgekommen war.
Hina erzählte mir von einem Zwischenfall, der sich kurz zuvor in eben diesem Büro ereignet hatte. Eine junge Frau namens Samia Sarwar aus Peshawar hatte ihren Mann verlassen, mit dem sie eine Zwangsehe hatte schliessen müssen. Sie fand im Frauenhaus der Schwestern Zuflucht. Ihre Eltern – beide Ärzte – beargwöhnten dies und versuchten, Zugang zu dem – geheimen – Standort zu bekommen. Schliesslich willigten die beiden Schwestern ein, in ihrem Büro ein Gespräch zwischen Mutter und Tochter zuzulassen. Die Mutter erschien zum Termin – aber nicht allein. Sie brachte einen gedingten Killer mit, der Samia vor den Augen der Anwältinnen – und ihrer Mutter – erschoss.
Die Fatwas auf Handzetteln
Asma wusste also, wofür sie kämpfte. Sie wusste es auch, weil ihre eigene Familie der islamischen Sekte der Qadiani (auch ‚Ahmediya’) angehörte. Sie werden als Glaubensverächter von der sunnitischen Sharia besonders hart bestraft, etwa wenn sie dabei erwischt werden, den Koran zu lesen oder beim Gebet Suren in den – ungläubigen – Mund zu nehmen. Sie selbst wurde einmal bezichtigt, den Propheten einen Analphabeten genannt zu haben – ein Tatbestand für Blasphemie. Erst eine Tonbandaufnahme des Gesprächs bewies, dass sie ihn nicht als „illiterate“, sondern „unlettered“ („ohne Schulbildung“) bezeichnet hatte.
Ich erinnere mich, sie einige Monate nach dem Mord an Samia zum Obergericht von Lahore begleitet zu haben. Sie sass, wie immer im schwarzen Anwaltstalar und sorgfältig geschminkt, selber am Steuer. Als wir in die Strasse einbogen, die zum Gerichtsgebäude führte, wies sie mit dem Zeigefinger auf die Bäume entlang der Allee. Handzettel klebten an den Stämmen. Es waren Fatwas, die Asma und ihre Schwester mit Fotos zum Freiwild erklärten. Asma zuckte die Achseln. Samias Mutter habe die Jugendriege der Jamaat Islami-Partei auf sie gehetzt, sagte sie gleichmütig. Sie wolle aus Rache das „islamfeindliche“ Frauenhaus zur Schliessung zwingen.
Das Gewissen Pakistans
1983 wurde Asma vorübergehend verhaftet, weil sie mit Frauen des Women’s Action Forum gegen die Blasphemie-Gesetze protestiert habe. Ein Jahr später war es wiederum soweit, weil sie das Movement for the Restoration of Democracy (MRD) mitbegründet hatte, einen Zusammenschluss demokratischer Oppositionsparteien und Organisationen der Zivilgesellschaft. Kaum freigekommen, gründete sie 1987 mit zwei Freunden – dem Journalisten I. A. Rehman und dem ehemaligen Richter Dorab Patel (einem Parsen) – die Human Rights Commission of Pakistan und wurde deren erste Generalsekretärin.
Die HRCP ist das Gewissen Pakistans. Mit ihren genau recherchierten und sachlich formulierten Berichten über systematische Verletzungen der Menschenrechte – an Kindern, Frauen, religiösen und ethnischen Minderheiten, Arbeitssklaven, Häftlingen ohne Rechtsbeistand – hält die Kommission dem Land einen gnadenlosen Spiegel vor. Falls es in Südasien eine Organisation gibt, die den Friedensnobelpreis verdient hat, dann ist es die HRCP.
Der Einschüchterung widerstehen
Die Wiederherstellung der Demokratie in den neunziger Jahren machte Jahangir nicht arbeitslos. Obwohl mit vielen Politikern aus der MRD-Zeit befreundet, nahm sie diese aufs Korn, wenn es um Machtmissbrauch, Korruption und die feudale Arroganz sogenannter liberaler Politiker wie den Bhutto-Clan ging. Und schon bald meldete sich erneut ein Militärherrscher – Pervez Musharraf – als Sparringpartner.
Asma Jahangir gehörte zu seinen frühesten Kritikern, als viele ihrer Freunde noch glaubten, der General sei ein aufgeklärter Monarch. Nur weil er seine zierlichen Hündchen auf den Arm nimmt und ihm sein abendlicher Single Malt mundet, ist er noch lange kein Demokrat, meinte sie einmal. Sie gehörte zum Anwaltskollektiv, dessen Proteste Musharraf zwangen, die Entlassung des Obersten Richters Iftiqhar Chaudhry rückgängig zu machen. Er steckte sie dafür ins Gefängnis – einmal mehr. Aber es war der Anfang vom Ende seiner Diktatur.
Genauso wie sie demokratische Politiker aufs Korn nahm, liess sie sich auch nicht von den Richtern einschüchtern. Die grosse Bedeutung, die gerade die Obersten Richter in Islamabad (dank der Schwäche der anderen demokratischen Institutionen) geniessen, machte sie in den Augen Jahangirs anfällig für Hybris und Machtmissbrauch.
Judicial Overreach
Sie geisselte den „Judicial Overreach“, den gerade Iftiqhar Chaudhry nach seiner Wiedereinsetzung an den Tag legte. Und erst im letzten Jahr kritisierte sie die Richter, weil sie bei den Korruptionsvorwürfen gegen Premierminister Sharif einen Eifer und eine Eile an den Tag legten, die jeder Rechtsgleichheit Hohn sprachen. Sie tat dies mit dem Gewicht des Anwaltverbands, den sie, als erste Frau, seit 2010 präsidierte.
Auch Asma Jahangir hätte den Osloer Preis verdient, denn sie war international ebenso unermüdlich aktiv – und sichtbar – wie in ihrer Heimat. Sie engagierte sich mit indischen Aktivisten gegen die systematische Verletzung der Menschenrechte in Kaschmir. Sie diente der Uno als Rapporteurin über Menschenrechte in Iran, in Osttimor und im Kongo.
Ihr Mut, ihre Sachkenntnis, ihre unermüdliche Energie und ihr Ruf bewahrten sie vielleicht davor, in einem Gefängnis – oder, schlimmer noch, einem Hinterhalt – zu verschwinden. Am Ende waren es eben diese Qualitäten, die ihren Tribut forderten. Asma Jahangir starb am 11. Februar, kurz nach ihrem 66.Geburtstag, an Herzversagen.