In Indien weiss man nie, wann ein Fest anfängt, und wann es endet. Schon drei Tage ‚vor‘ Diwali erschien unser Gaertner Alpesh mit Süssigkeiten, und wünschte ‚Happy Diwali‘. Ob er denn nicht freinehmen wolle, fragte ich ihn? Nein, das tue er erst am Sonntag – fünf Tage spaeter – wenn ‚Bara Diwali‘, ‚Gross-Diwali‘, gefeiert wird. Heute sei ‚Klein-Diwali‘.
Es gibt immer Anlässe für ein Fest
Aber auch die Tage dazwischen waren natuerlich Diwali, und ich sollte denn auch bald erfahren, dass Alpesh einmal an einem Morgen freinahm, dann am Freitagnachmittag, jedesmal weil irgendeine ‚Puja‘-Zeremonie gefeiert wurde oder ein ritueller Verwandtenbesuch anstand. Die Knallkoerper, war ich ueberzeugt, wuerden sicher noch eine Woche spaeter explodieren, so wie sie es bereits seit zehn Tagen taten.
Ich erinnere mich, damals ueberlegt zu haben, ob dies nun der Beginn von Diwali oder das Ende des Dassehra-Fests war, das da lautstark ertoente. Bei diesem Fest sagt schon der Name, dass es zehn Tage dauert, denn so lange braucht es, bis der boese Ravana in einem Boegg-aehnlichen Autodafe in Flammen aufgeht und mit lautem Knall zerbirst. Und kurz zuvor wurde Ganpathi gefeiert, auch dies eine Langzeit-Zeremonie. Sie geht vom Errichten der Altaere fuer den beliebten Elefantengott – von kleinen Hausschreinen bis zu Monumentalausgaben in elefantöser Grösse –, den Prozessionen von einem Altar zum andern, den täglichen Gebeten (und Bollywood-Tanznummern) davor, bis zum letzten Tag, an dem diese Gipsfiguren im Meer, in Seen, Fluessen und Dorfteichen versenkt werden.
In Mumbai sind es Zehntausende, und schleimige Gipsmassen verdrecken waehrend Monaten die Straende. So hat man denn beinahe den Anschluss zu den vielen lokalen Monsunfesten zwei Monate zuvor hergestellt, wenn der Regengott und Erntepatrone gefeiert werden, oder so eigenartige wie das ‚Lampenfest‘ hier in Alibagh: Hausfrauen sammeln ihre Lampen, Glühbirnen, Taschenpfunzeln, Kerzenleuchter, Solarpaneele, Kerosenlanternen ein, putzen sie und stellen sie vor dem Hausaltar dem Schutz der entsprechend vorgesehenen Gottheit anheim, mit viel Gebetsgemurmel, herumfliegenden Reisörnern und der roten ‚Kumkum‘-Paste, die auf jedes Objekt gestrichen wird.
Hindus feiern auch den Ramadan
Falls sich von diesem Fest bis zu Ganpathi eine Festlücke zu öffnen droht, kommt den Hindus das Ende des Ramadan gerade recht. Und zum Glück spielt auch hier die terminliche Unbestimmtheit eine wichtige Rolle und ermöglicht einen oder zwei Extra-Festtage. Der Neumond lässt sich ja nicht überall zur gleichen Zeit blicken – es ist ein grosses Land. Und manchmal ist das Neumondentdeckungskomitee etwas kurzsichtig und wartet lieber noch einen Tag, bis die dünne Sichel gesichtet ist und die spätabendliche Völlerei der Fastenzeit endlich ein Ende nimmt.
Diese unendliche Anreihung von Festen – bald kommt Weihnachten, dann Shivratri, dann bald wieder ein weiterer Ramadan, dann Holi – hat dem Vorurteil Vorschub geleistet, dass die Inder sehr religiös sind, und dass sie lieber Feste feiern als arbeiten. Beides ist falsch. Ersteres ist eine unendliche Geschichte und soll daher hier gar nicht erst begonnen werden.
Ferien und Überstunden sind Fremdwörter
Aber faul? Natuerlich nimmt mein Gärtner öfter mal frei, und es ist nicht immer eine Hochzeit oder ein Begräbnis (und zugegeben, in Alibagh wird erstaunlich häufig geheiratet und gestorben). Aber dafuer arbeitet er im Prinzip sieben Tage in der Woche. Das Wort ‚Ferien‘ kommt in seinem Vokabular nicht vor,und gäbe es einen Arbeitsvertrag, stuende darin das Wort ‚casual leave‘, die unzähligen, ungezählten Tage, an denen er frei nehmen kann. Und muss, denn Infektionskrankheiten, Schlangenbisse, Fehlgeburten, Kleinunfälle kommen unter diesen meist armen Leuten tatsächlich erschreckend häufig vor.
Die Suppe, sei es Arbeit oder Freizeit, wird in Indien nicht so heiss gegessen wie bei uns, wo der Energieaufwand bei der Freizeitgestaltung jenem des Arbeitens oft erstaunlich nahe kommt. Hier ist das ständige Ineinandergreifen von Werk- und Feiertag fast so etwas wie ein ruhiges Ein- und Ausatmen.
Und genauso wie der Begriff der Arbeit damit relativiert wird, so muss man fairerweise zugestehen, dass auch die Feste selten arbeitsfrei sind. Selbst an Bara-Diwali sind die meisten Laeden im Dorf offen, und der Sonntag ist ohnehin der beliebteste Markttag. Und steht Besuch an, dann ist es selbstverständlich, dass das Personal dann arbeitet. Auch ‚Überstunden‘ ist ein Fremdwort hier, nicht weil sie nicht geleistet werden, sondern weil sie nicht ‚verrechnet‘ werden.
In Mumbai ist es anders
Dies gilt natürrlich und wie immer fuer das dörfliche Indien, denn in den Bürotürmen in Mumbai gibt es ‚Nine-to-five jobs‘ wie bei uns, dort wird, fuer teures Geld, Samstagsarbeit geleistet und rackern gestresste Manager ihre Sechzehnstundentage ab, um dann am Sonntag mit der Familie ins Kino oder die Shopping Mall zu gehen oder vor dem Fernseher einzuschlafen. Aber selbst hier verschwimmen die klaren Unterschiede. In der ganzen Diwali-Zeit sind die Börsen geoeffnet, und es ist nicht selten, dass der ‚Bombay Stock Exchange‘, Indiens Wallstreet, an einem dieser Tage den Umsatzrekord einstellt – in diesem Jahr war es sogar ein Allzeit-Rekord.
Dies hat damit zu tun, dass das Lichtfest von Diwali ganz Indien nicht nur in den Pulverdampf von Knallfröschen einhüllt, sondern gleichzeitig in ein Meer von ‚Diyas‘, Öllaempchen und Kerzen, auf Fenstersimsen, Mauerkronen, Türeingängen, Terrassengelaendern. Die Göttin, die damit ins Haus eingeladen wird, ist Lakshmi, die Göttin des – durchaus materiellen – Reichtums. So werden denn bei den Händlerfamilien von Mumbai vor dem Puja-Altar Banknoten und Börsenzertifikate gesegnet, bevor dem Börsenmakler per Handy ein Kaufauftrag durchgegeben wird.
Die stolze Göttin Lakshmi als Beispiel
Auch der Gärtner Alpesh erschien zu unserer Überraschung am Tag von ‚Bara-Diwali‘ und wässerte Bäume und Blumen. Ich fragte ihn warum. ‚Chahiye‘, sagte er kurz und bündig, was soviel bedeutet wie: es muss sein; die Pflanzen brauchen Wasser. Was er nicht sagte: Was immer man tut, Arbeiten und ein Fest feiern, man muss es mit Mass und der Einsicht tun, dass beides zusammengehört und nicht fein säuberlich auseinandergehalten werden kann. Wie Ein- und Ausatmen.
Es genügt, dass das Leben einen hin- und herschüttelt, dass oft alles drüber und drunter geht. Ist nicht die stolze, reiche Lakshmi das beste Beispiel dafür? Sie thront zwar, edelsteinuebersät, auf einer blütenweissen Lotosblume. Aber gehalten wird diese von einem dünnen Stengel. Ein Windstoss, und schon liegt die schöne Blume im dreckigen Tümpel.