Zehn Jahre lang ruinierte er das Land. Dann kam Mario Monti und verhinderte im letzten Moment einen „Absturz à la Griechenland“. Und ausgerechnet Silvio Berlusconi spielt sich jetzt als Retter der italienischen Wirtschaft auf.
Schon jetzt ist klar, mit welchen Themen Berlusconi im Wahlkampf die Stimmung anheizen wird: Angela Merkel will er als Hassfigur aufbauen, die EU und „ihre unsinnige Sparpolitik“ will er an den Pranger stellen. An der Wirtschaftspolitik von Mario Monti lässt er kein gutes Haar. Und die neue Immobiliensteuer, unter der die Italiener gerade jetzt vor Weihnachten leiden, will er wieder abschaffen.
Euphorie bei seinen Freunden: Fiat lux
Mit der Ankündigung seiner Kandidatur hat er seine Freunde in helle Aufregung versetzt. Vor dem Palazzo Grazioli, seinem Römer Hauptsitz, jubelten Hunderte bis spät in die Nacht. In Sprechchören beschworen sie die Wiederauferstehung der zerschlissenen Partei. Die alten Seilschaften sind ausser sich vor Freude.
Die sehr rechtsstehende Daniela Santanché weiss: „Presidente, wir brauchen dich, um die Freiheit zu verteidigen“. Michaela Binacofiore ruft: „Fiat lux“. Daniele Cappezone weiss: „Berlusconi ist der einzige, der verhindern kann, dass die alte Linke mit ihren Steuern und Abgaben an die Macht gelangt.“ Und Mara Carfagna, die einstige Ministerin, die er heiraten wollte („wenn ich nicht schon verheiratet wäre“) fiel ihm vor laufenden Kameras um den Hals.
Berlusconi zögerte lange mit seinem Entscheid. Mehrmals hat er in diesem Jahr die Meinung gewechselt. Schon hatte er Angelino Alfano zu seinem Kronprinzen aufgebaut. Noch vor sechs Wochen kündigte Berlusconi an, er wolle definitiv nicht kandidieren – „aus Liebe zu Italien“.
Dass er jetzt – aus Liebe zu Italien – doch kandidiert, begründet er mit der alten populistischen Floskel: „Ich selbst wollte ja nicht, aber man hat mich gedrängt, angefleht, gebeten, das Land zu retten. Dieser Verantwortung kann ich mich nicht entziehen.“
Die Partei hatte am 16. Dezember – analog zur Linken – Primärwahlen angesetzt. Diese entfallen jetzt. Denn der Spitzenkandidat steht fest.
Dramatische Stunden
Dem Entscheid Berlusconis zu kandidieren, sind dramatische Stunden vorausgegangen. Im Palazzo Grazioli hatte er Angelino Alfano und sieben weitere PdL-Grössen um sich versammelt.
„Ich bin müde“, sagte Berlusconi, „ihr habt mich alle enttäuscht, ihr habt mich verlassen“. Dreieinhalb Stunden dauerte dieses Gipfeltreffen. „Kaum habe ich mich umgedreht, habt ihr mir das Messer in den Rücken gesteckt. Jetzt beschimpft ihr mich, und vor allem: ihr lasst mich allein mit den Richtern“.
Angelino Alfano hob dann die Stimme: „Presidente, du musst dich endlich entscheiden. Wir können nicht zuwarten und der Linken zuschauen – sie, die jetzt einen Leader erkoren hat und schon im Wahlkampf steht. Wirst du die Partei anführen oder nicht?“
Höhenflug der Linken
Er wird. Er will verlorenes Terrain zurückgewinnen. Das wäre dringend nötig. Laut einer am Freitag veröffentlichten Meinungsumfrage kommt Berlusconis PdL-Partei (Popolo della Libertà) auf noch 18 Prozent der Stimmen – nicht einmal halb so viel wie die Linke, die seit Wochen davonschwebt.
Laut der Umfrage des Instituts „Demos“ kommt der linke Partito Democratico (PD) im Moment auf 38 Prozent der Stimmen. Noch nie hatte die Partei einen derart guten Wert erzielt. Die jüngsten Primärwahlen der Linken haben zu diesem Auftrieb beigetragen.
Baldiges Urteil im Ruby-Prozess
Dass es Berlusconi um das Land geht, glauben ihm längst nicht mehr alle. Ginge es um Italien, hätte er das Land nicht zehn Jahre lang kaputt regiert. Nein, es geht um ihn selbst, um sein Ego – und um seine Prozesse. Vor allem um Ruby, den Prozess um die damals minderjährige marokkanische Prostituierte.
Das Verfahren steht kurz vor dem Abschluss, das Urteil könnte in den nächsten Wochen verkündet werden. Manche rechnen mit einer Verurteilung Berlusconis. Laut ungeschriebenem Usus verkünden Richter keine Strafen gegen Spitzenpolitiker während eines Wahlkampfs. Berlusconi hofft also, dass der Wahlkampf schnell beginnt und dass er so eine Verurteilung hinauszögern kann. Denn: ein verurteilter Berlusconi würde seine Wahlchancen drastisch reduzieren.
Ein Warnschuss
Kurz nach Bekanntgabe seiner Kandidatur sorgte er bereits – medienwirksam – für einen riesigen Wirbel. Mario Monti, der eine Regierung aus Fachleuten anführt, ist auf die Unterstützung des Parlaments angewiesen. Doch jetzt entzog ihm die Berlusconi-Partei diese Unterstützung. Bei Vertrauensabstimmungen im Senat und im Abgeordnetenhaus stimmten die Berlusconi-Parlamentarier nicht für Monti – allerdings auch nicht gegen ihn, sie enthielten sich der Stimme. Ein Warnschuss.
“Wir betrachten das Experiment dieser Regierung als beendet”, sagte am Freitag Angelino Alfano. “Das hat nichts mit der Person von Monti zu tun, nichts mit seinem Dienst an den Institutionen und seiner Loyalität gegenüber den politischen Parteien – und nichts mit uns im Speziellen”. Eine seltsame Aussage.
”Keine Krise”
Berlusconi sagt, er habe sich entschlossen, die Regierung nicht mehr zu unterstützen, weil Montis Innenminister Corrado Passera sich abschätzig über ihn geäussert habe. Doch das ist ein Vorwand. Passera sagte, Berlusconis Kandidatur sei „nicht gut für das Land“.
Stichhaltiger war, dass Monti ein Regierungsdekret durchbringen wollte, das allen Politikern, die zu mehr als zwei Jahren Haft verurteilt wurden, verbietet zu kandidieren. Davon wäre vielleicht auch Berlusconi betroffen. Inzwischen hat Monti dieses Dekret zurückgezogen.
Staatspräsident Napolitano empfing am Freitag Spitzenpolitiker der grossen Parteien. Er versucht zu beruhigen. Monti habe keine Vertrauensabstimmung verloren, sagt Napolitano, also bestehe keine Krise. Man verfolge den eingeschlagenen Weg: Auflösung des Parlaments am 10. Januar und Neuwahlen am 10. März.
Berlusconi ist nicht zu unterschätzen
Berlusconi pokert hoch. Verliert er die Wahlen, beendet er seine lange politische Karriere mit einer schallenden Ohrfeige. Dann geht er als Verlierer in die Geschichte ein – etwas, das sich das Alpha-Tier mit seinem Super-Ego nicht vorstellen kann. Schon zwei Mal hat er in aussichtslos scheinender Lage gewonnen.
Berlusconi glaubt an sich. Er will der Partei einen neuen Namen geben: Vielleicht soll sie wieder, wie früher, „Forza Italia“ heissen, oder „Piazza Italia“ oder „Grande Italia“.
Der 76-Jährige ist nicht zu unterschätzen. Er verfügt über eine geballte Medienmacht und viel, viel Geld. Das Leben unter Mario Monti ist teurer geworden. Die Steuern, die Preise für Lebensmittel, Autobahnen, Verkehrsmittel sind stark gestiegen. Vor allem die neue Immobiliensteuer (Imu) belastet die untere und die mittlere Schicht schwer. All das wird Berlusconi im Wahlkampf schamlos ausnützen. Das wird ihm Stimmen bringen.
Diesmal wird er es schwer haben“
Die Frage wird sein, wie gut das Gedächtnis der Italiener ist. Erinnern sie sich noch daran, dass Berlusconi das ganze Schlamassel angerichtet hat, das er jetzt Monti anhängt? Und wenn er die Steuern wieder senkt, wer kommt dann für das horrende Haushaltsdefizit auf, das er selbst angerichtet hat?
Doch diesmal wird es der Cavaliere schwer haben. Zwar hat ihm bereits die fremdenfeindliche Lega Nord ihre Unterstützung zugesagt. Doch Berlusconi hat nicht nur Freunde – auch in seiner eigenen Partei nicht. Selbst „Kronprinz“ Alfano, der von Berlusconi wie ein Schuljunge behandelt wird, ist auf Distanz gegangen. Die meisten seiner Gegner halten sich noch zurück. Nicht alle. Giuliano Cazzola, ein Pdl- Abgeordneter, sagt: „Berlusoni tötet das Land“ (Berlusconi ucccide il paese“). Kommt es zu einer Parteispaltung?
Nicht nur der PdL liegt in den Meinungsumfragen weit zurück. Auch die Popularität von Berlusconi selbst ist in den letzten Jahren stark eingebrochen. Auch seine alte Leier vom „drohenden Kommunismus“, gegen den er ankämpft, glauben ihm nur noch einige Zu-spät-Gekommene.
“… dann zahlt auch höhere Zinsen“
Seine Partei ist tief gespalten. Viele haben gehofft, sie würden die „Ära Berlusconi“ nun endlich hinter sich bringen. Sie fürchten, dass das Land wieder in eine tiefe Krise gestürzt wird. Im Ausland gilt Berlusconi als Witzfigur. Das Vertrauen ausländischer Investoren in Berlusconi ist längst verflogen.
Wird Mario Monti jetzt gestürzt oder nicht? Monti selbst nimmt es gelassen. „Wenn ihr die Krise wollt, so sprecht uns das Misstrauen aus. Aber dann müsst ihr auch die Verantwortung für den Sturz der Regierung übernehmen – und für die steigenden Zinsen, die wir für Anleihen zahlen müssen“.