Immerhin haben die Sozialdemokraten jetzt in einem Punkt Klarheit geschaffen: In Zukunft könnten sie auch national mit den Kommunisten paktieren.
Die Wahl des neuen Bundestages war von einem in der deutschen Nachkriegsgeschichte einmaligen Stimmungsbild begleitet. Eine überraschend grosse Mehrheit der Bürger von ungefähr 60 Prozent hatte im Vorfeld eine so genannte Grosse Koalition aus CDU/CSU und SPD favorisiert. Also eine Parteienkonstellation, die – wegen des ideologisch traditionell weiten Abstands voneinander – eigentlich nur für absolute Ausnahme-, sprich schwere Krisenzeiten vorstellbar war.
Das Zutrauen nimmt ab
Nun lässt sich ja wirklich kaum behaupten, dass Deutschland vor einer Katastrophe stünde und die Bewohner in einen wirtschaftlichen Abgrund blickten. Aber in ihrer ausgeprägten Versicherungs-Mentalität reichten den Menschen zwischen Rhein und Oder, Nordsee und Allgäu wohl schon Euro- und Bankenkrise, um sich nach einem vermeintlichen, politischen Sicherheitsschirm umzuschauen.
Inzwischen hat freilich das Zutrauen in den zupackenden Gestaltungswillen der Partei-Akteure deutlich abgenommen; nach jüngsten Umfragen sprechen sich nur noch etwa vierzig Prozent für die Große Koalition in Berlin aus. Und dies, obwohl (oder vielleicht sogar weil?) die schwarz-rote Allianz noch gar nicht existiert und folglich auch kein Absichts- und Arbeitsprogramm vorliegt. Was vielmehr bisher aus den mal kleinen, mal Mammut-Verhandlungsrunden durch die verschlossenen Türen nach außen dringt, ist rudimentär und erkennbar jeweils von bestimmten Interessen gesteuert. Seien sie taktischer oder inhaltlicher Art.
Höhere Renten, weniger Beitragszahler?
Eines, freilich, ist auch nach beinahe acht Wochen Gerangel nicht sichtbar geworden – ein roter Faden, mehr noch: der Wille zu wirklich durchgreifenden Reformen, um den Staat, seine Bewohner krisenfest zu machen und dabei vor allem nicht die Zukunft der nachwachsenden Generationen aus Spiel zu setzen.
Denn das würde zum Beispiel gravierende Neuordnungen der Renten, Pensions- und Altersversorgungssysteme bedeuten, mit schmerzlichen Konsequenzen sowohl bei den Beiträgen als auch bei den Leistungen. Schließlich lässt sich ja schon mit einfacher Mathematik errechnen, dass es auf Dauer nicht funktionieren kann, wenn in der Folge von immer weniger Geburten auch immer weniger Beitragszahler eine umgekehrt immer grösser (weil älter) werdende Bevölkerungsgruppe finanzieren müsste. Doch alles, was man zur Zeit hören oder lesen kann, läuft auf zusätzliche Ausgaben hinaus. Das kann, will man ehrlich sein, auch nicht verwundern. Schliesslich stehen die Politiker mit ihren Versprechen und Ankündigungen aus dem Wahlkampf ja auch im Wort. Und es ist immer schwieriger, Positionen wieder zu räumen, als sie zu besetzen.
Das „Fallbeil“ namens Mitgliederbefragung
Ein weiteres kommt hinzu. Hätten CDU und CSU am 22. September nur noch sechs weitere Mandate hinzugewonnen, wäre die absolute Mehrheit erreicht gewesen. Hingegen konnten die Sozialdemokraten ihr desaströses 22-Prozent-Ergebnis von vor vier Jahren jetzt lediglich um knapp 2,5 Prozent verbessern. Das geht an einer Partei mit einer 150 Jahre währenden Vergangenheit, grandiosen Leistungen und herausragenden Persönlichkeiten von Bebel bis Brandt, aber auch grausamen Verfolgungen sowohl unter den Nazis als auch unter den Kommunisten in der einstigen Sowjetzone nicht spurlos vorbei. Die Angst vor allem bei „Fussvolk“ ist beinahe mit Händen zu greifen, wie es denn weiter gehen solle. Die SPD hat, man kann es kaum anders sagen, einen Merkel-Komplex.
Soeben hatte die SPD in Leipzig ihren Parteitag. Ihrem (zwar mit einigen Blessuren, aber immerhin) wieder gewählten Vorsitzenden, Sigmar Gabriel, ist es dort gelungen, die Unterstützung der Delegierten für die Fortsetzung der Koalitionsverhandlungen mit dem Ziel zu erhalten, auch eine Regierung mit der übermächtig erscheinenden Union zu bilden. Das sollte jetzt eigentlich etwas Luft verschaffen.
Aber da hängt im Hintergrund ja immer noch das Fallbeil namens „Mitgliederbefragung“. Rund 470 000 Genossen sollen (und wollen inzwischen natürlich auch) am Ende über das Resultat der Vereinbarungen entscheiden. Man kann das gewiss als demokratischen Fortschritt ansehen. Es lässt sich freilich auch genau umgekehrt bewerten. Wozu braucht die Partei denn noch Führungspersonal, wenn man das dort als richtig und notwendig Erachtete jeweils zur Genehmigung nach unten durchreicht? Und was würde wohl passieren, wenn das Koalitionspapier am Ende durchfiele?
Riss durch die Partei
Der SPD stehen freilich auch auf einem anderen Gebiet vermutlich noch stürmische Zeiten bevor. Ganz offensichtlich trauen sich die Genossen nicht mehr zu, in einer überschaubaren Zeit aus eigener Kraft aus dem Stimmentief wieder herauszukommen und mit den Grünen auf Bundesebene eine Regierungsmehrheit auf die Beine zu stellen. Denn nichts anderes als dieses Eingeständnis ist doch der Beschluss des Leipziger Parteitags, in Zukunft auch mit der kommunistischen Linken auf Bundesebene anzubandeln. Ein Hauptargument dabei ist ebenso logisch klingend wie inhaltlich falsch: Die Partei „Die Linke“ sei schließlich demokratisch gewählt worden. Und zur Demokratie gehöre nun mal, dass alle demokratischen Kräfte im Prinzip miteinander koalitionsfähig sein müssten. Was dabei freilich geflissentlich übergangen wird ist, dass „demokratisch gewählt“ noch lange nicht „demokratisch“ bedeutet. In der deutschen Geschichte gibt es dafür einen nachhaltigen Beleg…
Sicher, auch in der SPD sterben die alten Genossen weg. Jene also, die es nicht selten am eigenen Leib erfahren haben, mit welch brutalen Mitteln die deutschen Kommunisten in der damaligen sowjetischen Besatzungszone gerade gegen sie vorgegangen waren. Wie die SPD dort gewaltsam zum Zusammenschluss mit der KPD zur SED gezwungen wurde. Und diese Kräfte sollen zukünftig Bündnispartner sein? Für viele Junge, hingegen, sind diese Zeiten ganz weit weg – sofern sie überhaupt über das geschichtliche Wissen darüber verfügen. Für diese Gruppe steht allein die Machtfrage im Mittelpunkt. Doch der Riss durch die Partei ist nicht zu übersehen.
Bis Weihnachten geklärt?
Bis Weihnachten, weissagen die schwarz-roten Koalitionsverhandler, will man die Dinge in Sack und Pack haben. Sprich: Soll sowohl personell als auch inhaltlich klar sein, wohin während der kommenden vier Jahre die politische Reise in Deutschland geht. Gegenwärtig versprechen beide Seiten ihrer jeweiligen Anhängerschar, dass „unsere Handschrift“ deutlich erkennbar sein werde. Zu Recht vorsichtig, sagen sie aber auch, ohne Kompromisse werde es nicht gehen. Na klar, so ist das – das entschiedene Sowohl-als auch..