Die beiden Partner hatten nur unter Druck durch die Amerikaner und den Rest der Weltmeinung zugestimmt, das diplomatische Friedensballet einmal mehr aufzuführen. Wenn man die beiden "Friedenspartner" befragen würde, wären sie gewiss bereit, die negative Grundhaltung bei der Gegenseite anzuerkennen. Die israelische Sprachregelung ist: "die Palästinenser sind kein Friedenspartner". Die palästinensische: "die Israeli wollen keinen Frieden, wie ihre Siedlungspolitik beweist."
Jeder will "seinen" Frieden
Beide können von sich behaupten, sie selbst wollten "Frieden", natürlich! Doch die Bedingungen, unter denen sie Frieden wollen, liegen so weit voneinander entfernt, dass eben die andere Seite ihre Friedenswilligkeit prinzipiell in Abrede stellt.
Die Vorstellung der Palästinenser über "ihren" Frieden stützen sich auf Uno-Beschlüsse. Ihre Grundvorstellung ist, sie seien bereit, mit Israel in einem vollen Frieden zu leben, falls sie die 1967 von Israel besetzten Gebiete zurückerhielten und dort ihren eigenen souveränen Staat gründen könnten.
Teile und herrsche
Die Grundvorstellungen der Israeli werden etwas mehr verschleiert gehalten. Sie stimmen theoretisch dem Existenzrecht einer "palästinensischen Entität" zu, nicht notwendigerweise eines Staates. Sie sagen, wo die Grenzen dieser Entität lägen, und mit ihnen natürlich auch die Grenzen Israels, seien auszuhandeln. In der Praxis reduzieren sie die territorialen Grundlagen dieser Entität kontinuierlich, indem sie in dem umstrittenen Gebiet Siedlungen gründen, aufbauen und diese über Sonderstrassen, auf denen nur Israeli verkehren dürfen, mit dem eigentlichen Israel verbinden.
In der Praxis führen sie auch eine Politik des "divide et impera" durch, indem sie die Siedlungen und Verbindungsstrassen in den "palästinensischen" Landesteilen dermassen anlegen, dass sie die Hauptbevölkerungszentren der Palästinenser voneinander isolieren und trennen. Sie sind in der Lage, diese Politik durchzuführen, weil ihre Armee die gesamten Gebiete beherrscht und dort schaltet und waltet, wie sie es für gut befindet.
Zwei palästinensische „Regierungen“
Es gibt eine palästinensische "Regierungs"-Behörde, bisher gab es sogar deren zwei, jene in Ramallah und die in Gaza. Doch jene in Ramallah ist der israelischen Militärverwaltung in Tat und Wirklichkeit untergeordnet; die von Gaza wird von der israelischen Armee und Kriegsflotte umzingelt und isoliert.
Wer ist der Schuldige ?
Nach dem Zusammenbruch der Friedensbemühungen setzte das zu erwartende Schwarz-Peter-Spiel ein. Die Diskussion darüber: "Wer ist schuld an dem Zusammenbruch?" hat begonnen. Sie dient einerseits dem Prestige beider Seiten in der Aussenpolitik.
Andrerseits - und noch grundlegender - ist sie auch von Bedeutung, weil sie dazu dient, die eigene Bevölkerung beider Völker soweit wie möglich davon zu überzeugen, dass die eigene Führung oder Regierung recht habe und friedensliebend sei, die andere aber ein böser und gefährlicher Feind, der den Frieden nicht wolle, sondern vielmehr auf die Vernichtung der Gegengesellschaft ausgehe.
Zwei Propaganda-Muster
Da beide Seiten seit nicht weniger als 96 Jahren (nämlich seit der Zeit, als die Engländer Palästina eroberten) einander viel Leid angetan haben, wirkt die Propaganda, welche die Gegenseite als "böse", "friedensfeindlich" und "hinterhältig" darstellt, bei der eigenen Bevölkerung stark. Sie wirkt sogar im Ausland, weil dieses zwar nur lateral und indirekt aber doch unbestreitbar an der Gesamtentwicklung beteiligt bleibt.
Dies macht die Auseinandersetzung zur "Nahostkrise" par excellence, obwohl es heute im Nahen Osten viel grausamere und viel grössere Menschenmassen betreffende "Krisen" gibt.
Was geschieht "ohne Frieden"?
Die erneute Erfolglosigkeit der Friedensgespräche hat Folgen. Langfristig, so hat der Hauptvermittler Kerry angedeutet, als er hinter verschlossenen Türen seine Meinung kundgab, stehe Israel vor der Wahl, entweder einer Zweistaatenlösung zuzustimmen oder ein "Apartheit-Staat" zu werden. Diese Meinung sickerte durch und wurde im "Daily Beast" veröffentlicht.
Was bewirkte, dass der Aussenminister eine diplomatische Korrekturerklärung veröffentlichen musste. Die - bei genauem Lesen - seine Meinung nicht dementiert. Er sagte nämlich . "Ich glaube nicht, und habe auch nie behauptet, weder öffentlich noch privat, dass Israel ein Apartheit-Staat sei oder die Absicht habe einer zu werden".
Kerrys „Korrektur“
Um die Gemüter zu beschwichtigen fügte er hinzu, wenn er das gesagte ungesagt machen könnte ("rewind the tape") würde er andere Worte wählen, um seine tiefe Überzeugung auszudrücken, dass es langfristig nur einen Weg gebe, "einen jüdischen Staat zu haben und zwei Nationen und zwei Völker, die in Frieden und Sicherheit nebeneinander leben, nämlich durch eine Zwei Staaten Lösung".
Was diese Sätze nicht dementierten, war die Meinung, wenn keine zwei Staatenlösung verwirklicht werde, werde Israel notgedrungen ein Apartheit-Staat werden. Dies scheint in der Tat unvermeidlich, solange Israel ein Staat der Juden bleiben will und gleichzeitig weiterhin ein Territorium zu beherrschen oder zu dominieren beansprucht, in dem rund viereinhalb Millionen Palästinenser leben.
Wiedervereinigung der Palästinenser ?
Das Ende dieser Phase des "Friedensprozesses", wie man ihn etwas schönfärberisch nennt, fällt zusammen mit einer neuen Erklärung der beabsichtigten Versöhnung und künftigen Zusammenarbeit zwischen Hamas in Gaza und Fatah in den Westjordan-Gebieten. Die palästinensische Bevölkerung fordert einen derartigen Schritt schon lange von ihren höchstens scheindemokratisch eingerichteten Machthabern.
Diese haben ihn bisher nicht verwirklicht, aus zwei Hauptgründen. Zum ersten weil ein jeder der beiden Machtblöcke fürchten muss, seine Herrschaft über jene Gebiete und Bevölkerungen zu verlieren, die er heute innehat, wenn er die Konkurrenz seines Gegners im eigenen Gebiet duldete. Wobei man anmerken muss, dass die Macht der Hamas Leute über "ihre" Bevölkerung sehr viel vollständiger ist als jene der Fatah Führung (Mahmud Abbas) über die ihre. Hamas ist im Inneren souverän, nach aussen hin allerdings durch Israel isoliert und blockiert. Fatah wird sowohl im Inneren wie auch im Äusseren durch die israelische Besetzungsarmee dominiert.
Das Veto von aussen
Der zweite Hauptfaktor, der die beiden Gebiete getrennt hält, ist durch die Einwirkung Israels und der Freunde Israels, besonders der USA aber auch der europäischen Staaten, gegeben. Sie tun, was sie vermögen, um Abbas und seine Regierung daran zu verhindern, sich mit Hamas auszusöhnen. Als Grund für ihr Einschreiten geben sie an, Abbas habe die Existenzberechtigung von Israel anerkannt, doch Hamas lehne es ab, Israel anzuerkennen.
In der Tat hat es Hamas bisher immer vermieden, eine stichfeste Anerkennung Israels auszusprechen, wie Arafat sie für Fatah unter amerikanischem Druck am 14. Dezember 1988 abgab. Doch hat sich Hamas unter dem Druck israelischer Kriegshandlungen immer wieder bereit gefunden, Waffenstillstände mit Israel abzuschliessen.
Hamas geschwächt – auch durch Ägypten
Wie die bisher entgegengesetzten politischen Grundhaltungen von Fatah und Hamas zusammenfliessen, falls die beiden Organisationen diesmal ihre Vereinigung wirklich durchführen sollten, ist ungewiss. Denkbar ist, dass Fatah angesichts des Umstandes, dass die Palästinenser das Ziel eines unabhängigen Staates in den Westjordangebieten und Gaza offenbar nicht erreichen können, den "Kampf gegen die Besetzungsmacht" in dieser oder jener Form wieder aufnimmt und sich damit der Hamas-Linie anschliesst.
Denkbar ist auch das Gegenteil, nämlich dass Hamas sich angesichts seiner heutigen Schwäche in Gaza (bedingt primär durch das Verhalten der ägyptischen Offiziere, welche die Tunnelwirtschaft zerstört haben) dazu bequemt, seine Linie zu nuancieren und einem "langfristigen Waffenstillstand" mit Israel zuzustimmen, wie er von den gemässigteren Hamas-Ideologen schon seit geraumer Zeit in Betracht gezogen wird.
Gewaltloser Widerstand?
Beide Linien könnten zusammenlaufen zu einem Projekt des "gewaltlosen Widerstandes", von dem auch schon seit langem die Rede ist. Allerdings bleibt dabei unklar, wie Gaza gewaltlosen Widerstand leisten soll, gegen eine israelische Macht, die Gaza nicht besetzt hält, sondern von aussen her isoliert.
All dies ist vorläufig Spekulation. Noch ist ungewiss, ob und auf welchen Wegen, die Versöhnung wirklich durchgeführt wird. Doch die Möglichkeit, dass es zu einer Versöhnung kommen könnte, beunruhigt sowohl die Israeli wie die Amerikaner. Eine Versöhnung würde in der Tat die Gesamtlage der Palästinenser verändern, wenn auch nur im Sinne einer geringen Reduktion ihrer grossen Schwäche gegenüber der riesigen israelisch-amerikanischen Übermacht.
Sterile Perspektiven
Was für die nächste Zeit zu gewärtigen ist, dürfte darauf hinauslaufen, dass die Palästinenser, sei es Fatah alleine, sei es eine neue Fatah-Hamas Regierung, den Weg in die internationalen Institutionen fortsetzen, den Abbas bereits eingeschlagen hat. Dass aber im Gegenzug die israelische Regierung die Siedlungsaktivitäten im Westjordangebiet ausbauen und weiter verstärken wird. Das bedeutet erhöhte Gefahr, dass die Spannungen sich verschärfen.
Für die palästinensische Seite wird es schwierig werden, die angestrebte Gewaltlosigkeit ihres Widerstands beizubehalten. Denn angesichts der ihnen zur Verfügung stehenden militärischen Übermacht, werden die Israeli versuchen, der geplanten Gewaltlosigkeit ihrer Gegner ein Ende zu bereiten. Um ihre gegenwärtige Politik der Machterhaltung über ganz Palästina fortzuführen, werden sich Kriegshandlungen oder Gewaltmassnahmen mehr oder weniger radikaler Natur, schon heute aber noch mehr in der Zukunft, nicht vermeiden lassen.