Den Medien in der Schweiz geht es nicht gut. Die SRG wie auch die privaten Radios und Regional-TVs sind von „No Billag“ in ihrer Existenz bedroht. Und falls diese Initiative abgewehrt werden kann, will die SVP mit einem Volksbegehren zur Halbierung der Empfangsgebühren gleich die nächste Attacke starten. Gleichzeitig dezimieren die abonnierten Zeitungen – und nun auch noch die SDA, die einzig verbliebene Nachrichtenagentur der Schweiz – ihre Redaktionen. Für eine wirtschaftlich hochentwickelte Gesellschaft, in der Wissen die entscheidende Ressource ist, und für ein direktdemokratisches System, das von informierter Partizipation lebt, sind dies Alarmzeichen.
Stiefmütterliche Behandlung
Fragt man, wie wir in diese Kalamität hineingeraten sind, so kann ein Blick zurück Antworten liefern. Vor vier Jahrzehnten setzte im Medienbereich eine stürmische Entwicklung ein. Den Schweizer Behörden wuchs damals eine neue Aufgabe zu, die man seither Medienpolitik nennt. Der Begriff sagt es schon: Das Gesamtsystem der Medien soll gestaltet werden im Versuch, auf die rasanten Veränderungen in diesem Feld mit den Mitteln der Politik ein begrenztes Mass von Einfluss auszuüben.
Seit diese politische Aufgabe auf dem Tapet ist, wird sie stiefmütterlich behandelt. Es sind wenige, die sich fundiert und kontinuierlich mit ihr befassen. Nur selten findet sie grössere öffentliche Aufmerksamkeit. Hauptverantwortlich als politische Akteure sind die Landesregierung, das zuständige Departement – anfänglich Justiz und Polizei (EJPD), später Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (UVEK) – und dessen Bundesamt für Kommunikation (Bakom), ferner selbstverständlich das Parlament und die Parteien. Sie alle haben es nicht geschafft, in entscheidenden Phasen der Entwicklung klare Impulse für eine zukunftstaugliche Medienordnung zu setzen.
Dabei war der Einstieg in die neue politische Gestaltungsaufgabe durchaus ambitioniert. „Medien-Gesamtkonzeption“ hiess der Titel eines 700 Seiten starken Berichts, der 1982 vom EJPD herausgegeben wurde. Die von Hans W. Kopp präsidierte bundesrätliche Expertenkommission hatte im Verlauf von vier Jahren die Medien in der Schweiz in rechtlicher, wirtschaftlicher, gesellschaftspolitischer und kultureller Hinsicht unter die Lupe genommen, um „eine Medienpolitik für die Schweiz“ vorschlagen zu können. Der Bericht der Kommission Kopp war nicht nur ein Meilenstein in der schweizerischen Medienpolitik, sondern im Grunde deren Auslöser.
Satelliten-TV und Lokalradio als Initialzündung
Ein Jahrzehnt später war die Medienszene der Schweiz umgekrempelt. Nach der internationalen Konferenz über die Zuteilung von Frequenzen (WARC, Genf 1977) hatte in den frühen achtziger Jahren die Diskussion um Projekte des Satellitenfernsehens eingesetzt. Erstmals tauchte die Vision eines grenzenlosen Rundfunkmarkts auf. 1984/85 fing das Satellitenzeitalter an mit SAT1, RTLplus, 3Sat, TV5, Teleclub, Sky-Channel und weiteren Programmen.
1979 startete Roger Schawinski sein zunächst illegales Radio 24. Drei Jahre danach erliess der Bundesrat die Verordnung über lokale Rundfunk-Versuche (RVO) und konzessionierte 36 Lokalradios sowie sieben Fernsehveranstalter. Die SRG erhielt die Konzession für je ein drittes Radioprogramm pro Sprachregion, stellte auf 24-Stunden-Betrieb um und baute Regionalprogramme auf.
Nach den Übergangsregelungen (RVO 1982 und Bundesbeschluss über Satellitenrundfunk 1988) entstand das erste Radio- und Fernsehgesetz (RTVG 1991), und als neue Verwaltungsinstanz nahm 1992 das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) die Tätigkeit auf. – Doch bevor wir das Wirken dieses politischen Apparats und die gesetzgeberischen Entscheide inhaltlich nachzeichnen, seien kurz die substantiellen Veränderungen der Medienszene rekapituliert, mit denen die Politik konfrontiert war und ist.
Etwas völlig Neuartiges: ein Rundfunkmarkt
In den zehn Jahren von der Einsetzung der Kommission Kopp 1978 bis zum Bundesbeschluss über Satellitenrundfunk war auf dem Feld der elektronischen Medien etwas für die Schweiz völlig Neuartiges entstanden: ein Rundfunkmarkt. Bloss stand er unter keinem guten Stern. Die ambitionierten nationalen Privatfernseh-Projekte scheiterten nach jeweils kurzer Zeit. Lokale Radio- und TV-Stationen waren – mit Ausnahme derjenigen des Grossraums Zürich – chronisch unterfinanziert und zehrten in der Regel von der Quersubventionierung durch die sie besitzenden Zeitungsverlage.
Beflügelt war einzig die SRG. Doch es war eine panische Vorwärtsstrategie, die sie antrieb. Sie wuchs im Bestreben, der privaten Konkurrenz zuvorzukommen, und so überdehnte sie ihren Service-public-Auftrag. Dadurch machte sich die öffentlich-rechtliche Anstalt zum Feindbild der Privatsender und der vielfach im Lokalrundfunk engagierten Zeitungsverleger. Die SRG züchtete sich in jener Phase nicht nur eine potente Gegnerschaft heran, sondern handelte sich in weiten Kreisen das Image des arroganten Molochs ein. Sie ist es bis heute nicht losgeworden.
Die Wucht des Internets
Nach den turbulenten achtziger Jahren, in denen die Rundfunkszene durcheinander gewirbelt wurde, folgte ein vom Aufkommen des Internets geprägtes Jahrzehnt. Das Web war in seinen Anfängen ein Textmedium, und so traf die Wucht seiner Innovation im Medienbereich zunächst vor allem die Presse. Praktisch sämtliche Zeitungen gingen ins Netz, ohne sich im Klaren zu sein, was sie dort wollten. Nachhaltig war einzig ein seltsamer Besitzanspruch: Die Textmacher sehen im Web bis heute ein Wortmedium und betrachten es als ihre ureigene Domäne. Internetpräsenz ist zumindest fürs Prestige unverzichtbar. Sie verursacht hohe Kosten, bringt jedoch ungenügende Erlöse.
Schlimmer noch: Durch die Web-Auftritte der Pressehäuser gewöhnten sich die Nutzer daran, dass sie die Informationen der Zeitungen kostenlos nutzen konnten. Diese stille Destruktion des Mediengeschäfts wollten Digital-Gurus und Online-Promotoren lange nicht wahrhaben. Wer auf das drohende Problem hinwies, wurde als rückwärtsgewandter Kulturpessimist verspottet.
Richtig bedrohlich wurde das Internet für die gedruckte Presse dann aber durch die Abwanderung der Werbung ins Netz. Waren früher Rubrikeninserate für die Presse das sprichwörtliche Kleinvieh, das ganz schön Mist macht, so sind diese „Classifieds“ heute ein eigener Geschäftszweig des Internets, in dem fast nur Grosskonzerne reüssieren. Von den Schweizer Medien sind die Grossverlage Tamedia und Ringier mit von der Partie. Der Rest geht leer aus.
Die klassische Produkt-, Image- und Politwerbung war für Presse und Rundfunk (bei letzterem von Gesetzes wegen ohne politische und religiöse Werbespots) über viele Jahrzehnte ein weiterer Pfeiler der Finanzierung. Er ist akut vom Einsturz bedroht. Heute spielt die Musik bei den Giganten Google und Facebook. Sie verschaffen der Werbewirtschaft mit personalisierter Adressierung und individualisierten Inhalten eine nie gekannte Zielgenauigkeit. Die grossen Player setzen hiefür ihren gigantischen aus Social Media gespeisten Datenfundus und anspruchsvollste Hightech-Software ein. Der darauf basierenden ökonomischen Schlagkraft haben die alten Medien nichts entgegenzusetzen.
Gut eidgenössische Pflästerlipolitik
Wie haben die verantwortlichen Instanzen angesichts dieser sich beschleunigenden Entwicklungen medienpolitisch agiert? Mit dem RTVG von 1991 und der zugehörigen Verordnung von 1992 wurden erstmals Ausführungsbestimmungen zum 1984 vom Volk angenommenen Verfassungsartikel über Radio und Fernsehen (ursprünglich Art. 55bis, aktuell Art. 93 BV) erlassen. Das erste Gesetz zu dem Gegenstand schrieb der SRG eine Sonderstellung auf nationaler und sprachregionaler Ebene zu, ermöglichte die definitive Konzessionierung von Privatsendern sowie das Gebührensplitting zu deren Gunsten und führte die Unabhängige Beschwerdeinstanz (UBI) ein.
Wesentlich daran ist im Rückblick das Bemühen, die im Versuchsbetrieb unter dem Regime der RVO entstandene Situation zu festigen. Dies geschah jedoch nicht mit einem weitblickenden Entscheid, sondern gut eidgenössisch mit einer Pflästerlipolitik: Da die Privatsender mit wenigen Ausnahmen serbelten, wies man ihnen mittels Splittings einen Anteil der Empfangsgebühren zu. Dies wiederum führte zu einem administrativen Kraftakt, der dem in der Folge massiv aufgestockten Bakom aufgebürdet wurde: Die Sender müssen Service-public-Leistungen nachweisen und vom Bakom entsprechend kontrolliert werden; dafür bekommen sie ihren Anteil aus dem Gebührentopf, was wiederum eine finanzielle Kontrolle durch das Bakom nach sich zieht.
Vielleicht folgenreicher noch als diese für die meisten Sender überlebenswichtige Alimentierung war die Einführung des Begriffs „Versorgungsgebiet“. Das Land wurde flächendeckend in solche je von einem oder mehreren Privatsendern zu bespielende Regionen aufgeteilt. Dahinter steckt unausgesprochen die Voraussetzung, alle Bewohner des Landes hätten Anspruch auf Versorgung mit Privatprogrammen. Die Konsequenz daraus ist zu Recht als eine „Medien-Landwirtschaftspolitik“ bezeichnet worden.
Neuer Anlauf zur politischen Gestaltung
Das UVEK war sich offenbar im Klaren darüber, dass man so zu keiner zukunftstauglichen Medienordnung kommen würde. Im Januar 2000 liess es sich vom Bundesrat den Auftrag zur Revision des RTVG erteilen. Das Bakom erarbeitete in der Folge einen für Schweizer Verhältnisse kühnen Revisionsentwurf: Die SRG sollte das exklusive Gebührenprivileg zurückerhalten; dafür aber würden die Privaten von Auflagen weitgehend befreit.
Das war kein schlechter Ansatz, da er die Verhältnisse ein gutes Stück weit klärte. Die Privaten sollten ohne Programmvorschriften und Werbebeschränkungen auf dem Markt ihr Auskommen suchen können. Der SRG wollte das UVEK im Gegenzug eine strengere Aufsicht im Form eines Programmbeirats geben, der die Einhaltung des Leistungsauftrags überwachen würde.
Zu kurz gesprungen
Der Ansatz war, wie gesagt, nicht schlecht – aber noch immer zu kurz gesprungen. Eine konsistente Medienordnung wäre den entscheidenden Schritt weiter gegangen, indem sie den Privaten eine echte Entwicklungschance für Radio und Fernsehen auf lokal-regionaler und auf sprachregionaler Ebene gegeben hätte. Das hätte geklappt mit der Aufhebung des Verbots regionenübergreifender Zusammenschlüsse von Privaten einerseits und mit einem totalen Werbeverzicht der SRG andererseits. Damit hätte man eine echt duale Ordnung geschaffen: hier die werbefreie SRG mit leicht reduziertem Umfang und klarem, überprüftem Leistungsauftrag; dort die werbefinanzierten Privaten ohne Vorgaben für Programm und Distribution. Das Vorbild hierzu gab es längst: das britische Modell mit BBC und Privaten.
Wie bekannt, kam es anders. Nicht nur wurde das duale Modell politisch nie ernsthaft erwogen; auch das vorsichtige UVEK-Modell ging alsbald unter. Es genügten bereits die Vernehmlassungsantworten, um es endgültig abzuschiessen. Auf der einen Seite hatten die Privaten sich an die Bequemlichkeit der Gebührenfinanzierung gewöhnt und wollten daran festhalten. Zudem hatte das 2001 erfolgte Scheitern der „grossen“ Privat-TV-Sender RTL-ProSieben Schweiz, Tele 24 und TV3 den unternehmerischen Mut nicht eben angestachelt. Auf der anderen Seite lobbyierte die SRG heftig gegen das Ansinnen eines Beirats, der ihr etwas genauer auf die Finger, beziehungsweise die Programme hätte schauen sollen.
Gesetzgebung im Geist des Kuhhandels
Was folgte, war die helvetisch-hausbackene Art des Politikmachens: Rückzug des halbwegs kühnen Vorschlags, Umschwenken auf das ohne grosse Diskussionen zu bewerkstelligende Weiter-so. Der Bundesrat hegte ausdrücklich die Hoffnung, mit dieser Mini-Reform des RTVG schlank durchzukommen. Damit hatte er sich bös verrechnet. Die Revisionsarbeit geriet zu einem gesetzgeberischen Monsterprozess von sieben Jahren Dauer. Herausgekommen ist ein kompliziertes Gesetz mit 114 Artikeln, das den Privaten nicht viel weniger Vorschriften macht als der SRG und ihnen vor allem keine grossen Entwicklungschancen bietet. Als Betriebsunfall zeitigte die Tendenz zur Gleichbehandlung von Privaten und SRG zudem eine Aufweichung des Begriffs des Service public. Statt von klaren Konturen ist das Gesetz vom Geist des Kuhhandels geprägt.
Hinterher kann man vermuten, der politische Effort einer Auseinandersetzung mit einer fürs Erste in ihrer Konsequenz ungewohnten Ordnung wäre belohnt worden mit einer starken Vereinfachung des Gesetzes und damit auch geringerem Zeitaufwand im Parlament. Mehr noch: Eine klare politische Ordnung hätte den Vorteil gehabt, weniger Verwaltungsaufwand auszulösen, weniger zu Umgehungen Anreiz zu bieten und weniger Unsicherheit zu verursachen bei der Einordnung und Bewältigung künftiger Entwicklungen. Stattdessen wurde der Medienmarkt mit inkonsistenten Regelungen in einer Weise konzeptlos politisiert, dass jedes zukünftig auftauchende Phänomen von Neuem nach politischen Entscheidungen und ausuferndem Verwaltungshandeln verlangen würde.
Vertane Chance eines Befreiungsschlags
Hätte sich die Regierung damals, als der UVEK-Entwurf von den Interessengruppen zerzaust wurde, statt zum Rückzug für einen Schritt nach vorn entschieden und den Versuch der Diskussion eines BBC-Modells gewagt, so hätte es mindestens die Chance für einen medienpolitischen Befreiungsschlag gegeben. Ob das aussichtslos gewesen wäre? – Man hat es leider nicht ausprobiert.
Ein Gelingen des Versuchs hätte Politik und Verwaltung dauerhaft entlastet. Dafür hätten sie sich der damals bereits erkennbaren Probleme annehmen können, vor denen wir heute stehen, nämlich: Es braucht eine politische Antwort auf den eingangs geschilderten allseitigen Druck, unter den das Mediensystem insgesamt geraten ist. Statt sich mit dieser Aufgabe zu konfrontieren, hat die Politik in dem Karrengleis weiterkutschiert, das sie mit der verunglückten Revision des RTVG gelegt hatte.
Tiefpunkt bei 50,08 Prozent
Ein Tiefpunkt medienpolitischer Kompetenz war erreicht mit der Umstellung der Empfangsgebühr auf die „geräteunabhängige Abgabe“. Das Referendum, das gegen das hiefür geänderte RTVG ergriffen wurde, unterlag in der Volksabstimmung hauchdünn. Nur 50,08 Prozent stimmten am 14. Juni 2015 für das Gesetz und damit für die von allen, ob Radio- und TV-Nutzer oder nicht, zu entrichtende Abgabe. Das der Umstellung zugrundeliegende Problem – die Programme werden zunehmend anders als mit Radio- und TV-Geräten genutzt – wurde mit der phantasielosesten, angreifbarsten und ungerechtesten der denkbaren Massnahmen gelöst.
Logischer und akzeptabler wäre die Überführung in eine direkte Staatsfinanzierung aus Steuermitteln gewesen. Den dogmatischen Steuererhöhungs-Gegnern hätte man argumentativ Paroli bieten können. Vor allem aber hätte man diese Umstellung verbinden müssen mit einer Reform der Presseförderung (das Thema harrt in Bundesbern seit Jahrzehnten einer Lösung). Das wäre politisch anspruchsvoller gewesen und hätte etwas mehr Zeit gebraucht als der unüberlegte Schnellschuss aus dem Departement Leuthard. Statt der SRG dieses kapitale Ei zu legen (um sie allein ging es im Abstimmungskampf, und das Referendum war vorhersehbar), hätten Verwaltung, Regierung und Parlament besser die medienpolitischen Hausaufgaben gemacht und für das ganze Paket der Medienfinanzierung und –förderung ein kohärentes System ausgearbeitet.
Seit der Schaffung des Verfassungsartikels für Radio und Fernsehen und der Aufnahme der Medienpolitik ins Portfolio der Bundesaufgaben hat es immer wieder empfindlich an Gestaltungswillen und Entscheidungskraft gemangelt. Eine Folge davon sind die unsinnigen Vorlagen, die vors Volk gekommen sind und kommen: erst der Murks mit der „geräteunabhängigen Abgabe“, demnächst „No-Billag“ und eventuell gar eine in die Verfassung geschriebene Abgabenhöhe von 200 Franken für Radio und Fernsehen. – Die Medien sind wahrhaftig zu wichtig, um politisch auf diesem Niveau traktiert zu werden.