334 Menschen, darunter 186 Kinder, starben, als Terroristen am 1. September 2004 eine Schule in Nordossetien überfielen. Der «Horror von Beslan» gehört noch immer zu den emotionalsten Traumata, nicht nur im Kaukasus.
Beslan ist ein Städtchen in der zu Russland gehörenden nordossetischen Republik mit einer Bevölkerung von fast 40’000 Menschen. Die meisten von ihnen gehören dem orthodoxen christlichen Glauben an.
Es war der erste Schultag nach den langen Sommerferien. In der Mittelschule Nummer 1 in der nordossetischen Kleinstadt Beslan hatten sich etwa 1500 Menschen versammelt: Schülerinnen und Schüler im Alter von 7 bis 18 Jahren, Lehrerinnen und Lehrer und viele Eltern. Sie alle waren da, um den Beginn des neuen Schuljahrs zu feiern.
Dann um 09.30 Uhr stürmten schwerbewaffnete, teils vermummte Terroristen die Schule und sperrten die Erwachsenen und Kinder in der Turnhalle ein. Sie verminten die Eingänge und drohten mit der Tötung ihrer Geiseln, falls die Polizei, das Militär oder die russische Nationalgarde OMON sie angreifen sollte.
Russland bezeichnete die Terroristen als Selbstmordattentäter, da einige einen Sprengstoffgürtel trugen. Auch zwei Frauen waren dabei. Nach offiziellen russischen Angaben waren es 32 tschetschenische und inguschetische Terroristen, die die Schule stürmten. Nach anderen Angaben waren es bis zu 80.
Die russische Regierung suchte das Gespräch mit den Geiselnehmern, was aber nicht gelang. Der russische Präsident Wladimir Putin erklärte später, die Terroristen hätten Verhandlungen verweigert. Der frühere Präsident von Inguschetien, Ruslan Auschew, bot sich als Vermittler an. Ihm gelang es, die Freilassung von 26 Müttern und Babys zu erreichen.
Die Geiselnehmer forderten den Rücktritt von Putin, den Rückzug der russischen Truppen aus Tschetschenien und die Freilassung gefangener tschetschenischer Terroristen aus Gefängnissen in Inguschetien.
Zu den ersten Opfern gehörte der Schulleiter, der an Diabetes starb, weil ihm die nötige Versorgung mit Insulin verwehrt wurde.
Bei Schiessereien zwischen den Geiselnehmern und den Sicherheitskräften kamen mehrere Menschen ums Leben. Plötzlich ereignete sich im Innern des Gebäudes eine gewaltige Explosion. Nachdem daraufhin einige der Geiseln versucht hatten zu fliehen, eröffneten die Terroristen das Feuer auf sie.
Immer wieder kam es zu Schiessereien und zu Explosionen im Innern der Schule. Am dritten Tag stürzte das Dach der Turnhalle auf die Geiseln und tötete mehrere.
Ob es die Terroristen waren, die das Dach sprengten, oder ob es durch den Einsatz der russischen Spezialkräfte zum Einsturz kam – diese Frage bleibt umstritten. Für die zweite Version spricht, dass die Schule von T-72-Kampfpanzern mit 125-mm-Kanonen angegriffen und beschossen wurde.
Nach stundenlangem Beschuss stürmten schliesslich russische Einheiten das Gebäude. Erst nach einigen Stunden konnten sie die Lage unter Kontrolle bringen.
Russische Medien bezeichneten später die Erstürmung als «planlos». Putin versuchte, westlichen Geheimdiensten die Schuld für das Drama zu geben, was jedoch keine Wellen schlug.
Bei den Geiselnehmern hatte es sich um tschetschenische und inguschetische Terroristen gehandelt. Möglicherweise hatten sie, als Bauarbeiter getarnt, bei der Schulrenovation ein Waffenlager in der Schule angelegt.
27 Geiselnehmer wurden getötet, darunter die zwei als «schwarze Witwen» bezeichneten Frauen. Der Tschetschene Nurpaschi Kuzlajew überlebte. Er wurde später zu lebenslanger Haft verurteilt. Einigen Geiselnehmern war offenbar die Flucht gelungen, was Putin zunächst dementierte. Der Kreml-Chef benutzte anschliessend das Beslan-Drama, um seine Macht zu straffen und die Sicherheitsdienste unter seine Fittiche zu nehmen.
Gut zwei Wochen nach dem Massaker, am 17. September 2004, hatte sich der radikale Islamist Schamil Bassajew zu der Geiselnahme bekannt. Zugleich übernahm er die Verantwortung für den Bombenanschlag eines Selbstmordattentäters in einer Moskauer Metro-Station im Februar 2004.
Bassajew schob Präsident Putin die Schuld für die vielen Todesopfer in die Schuhe. Der russische Präsident habe sich von Anfang an für einen harten Kurs und für die Erstürmung der Schule entschieden und Verhandlungen abgelehnt.
Bassajew (hier ein Bild aus dem Jahr 1996, Foto: AP/Alexander Zemlianichenko) war ein brutaler tschetschenischer islamistischer Warlord. Nach dem Zerfall der Sowjetunion wollte er Präsident eines unabhängigen, islamistischen Tschetschenien werden, unterlag aber in den Wahlen Dschoschar Dudajew. Als Rebellenführer war er für zahlreiche Anschläge und Überfälle verantwortlich und galt in Russland als Staatsfeind Nummer 1. Eine friedliche Lösung des Tschetschenien-Konflikts schloss er aus. Bassajew war auch Drahtzieher des blutigen Geiseldramas im Moskauer Musical-Theater «Nordost» am 23. Oktober 2002, bei dem 129 Geiseln und 50 Rebellen starben. Auch für den Tod des Moskau-treuen tschetschenischen Präsidenten Achmad Kadyrow soll Bassajew verantwortlich sein. Dann im Sommer 2004 fanden innerhalb einer Woche Selbstmordanschläge in zwei Passagierflugzeugen sowie in der Moskauer U-Bahn statt, die insgesamt 99 Menschen das Leben kosteten.
Nach Angaben des russischen Inlandgeheimdienstes wurde Bassajew am 10. Juli 2006 in Inguschetien «liquidiert».