Hand aufs Herz: Haben Sie heute schon eine Burka-Trägerin gesehen? Oder gestern? Weshalb dieses Gezeter um ein Problem, das es fast nicht gibt?
Alle mischen sich jetzt in die Debatte ein, jeder Hinterbänkler-Politiker will sich profilieren, jede Partei springt auf den Zug, jeder Verband, sogar Schlagersternchen und Fotomodels, auch die Kirchen. Alle machen den Mund auf.
Und alle kippen plötzlich um: Die Burka gehört verboten, gehört nicht in unsere aufgeklärte Welt. Basta.
Rechtspopulisten, die sonst die Frau eher am Herd sehen, haben plötzlich den Feminismus entdeckt. Sie kämpfen für die Ehre und die Freiheit der Frau. Deshalb, weg mit der Burka.
Andere sehen ein Sicherheitsrisiko. Unter dem schwarzen Tuch lässt sich Sprengstoff verstecken. Als ob eine Bombe nicht auch in einer Louis Vuitton-Tasche oder einem Rucksack Platz hätte.
Bringt ein Burka-Verbot wirklich etwas? Die Burka ist zu einem Symbol geworden. Zu einem Symbol für den gewalttätigen Islam. Eine unheimliche, obskure Furcht umschleicht uns, zum Teil zu Recht. Attentate hier und dort nähren diese Ängste. Gegen diesen gewalttätigen Islam wollen wir ein Zeichen setzen, wir wehren uns gegen ihn. Und da wir machtlos scheinen, kämpfen wir eben gegen das Symbol.
Geschürt werden die Ängste von populistischen Parteien und Politikern. Da lässt sich Stimmung machen. Dass sich offenbar 71 Prozent der Bürgerinnen und Bürger für ein Verbot aussprechen, erstaunt nicht. Da die etablierten Parteien sich fürchten, die Populisten könnten ihnen das Wasser abgraben und Profit aus dem Burka-Disput ziehen, fallen auch sie reihenweise um.
Viele Politiker sind von Panik ergriffen, dass sie ihre Sitze an populistische Parteien verlieren könnten. Sie wollen der AfD, den Lepenisten und andern nicht das Feld überlassen – und kämpfen jetzt gegen die Burka.
Selbst die Multikulti-Linke, einst bekannt für den Respekt fremder Kulturen und Lebensweisen, knickt ein und schwimmt im Strom.
Niemand ist wohl so naiv zu glauben, dass wir die Jihadisten schwächen, wenn wir die Burka verbieten. Und niemand ist wohl so naiv anzunehmen, dass wir die Frauen befreien, wenn wir ihnen den Schleier wegreissen.
Das Gegenteil könnte gar eintreten. Die Männer, die im Hintergrund lauern, würden die Frauen nicht mehr auf die Strasse lassen und sich erst recht an der westlichen Welt rächen.
Verordnete Befreiung ist keine Befreiung. Befreit sind diese Frauen erst, wenn sie die Burka freiwillig ablegen. Richtige Befreiung – das klingt zwar naiv, aber stimmt dennoch – muss von innen kommen. Das ist ein Prozess von Generationen.
Man verstehe mich richtig: Auch ich mag den Anblick dieser Burka-Frauen nicht und wünsche, dass sie den Schleier lieber heute als morgen ablegen. Auch ich bin mit Christian Levrat einverstanden, wenn er die Burka als „ein mobiles Gefängnis“ bezeichnet. Und auch ich finde: Jeder und jede sollten ihr Gesicht zeigen. Das gilt vor allem für jene, die sich bei uns niederlassen.
Doch anerkennen wir endlich, dass es andere, jahrhundertealte Kulturen mit Sitten und Kleidervorschriften gibt, die uns nicht nur fremd sind, sondern auch abstossen. Dieses patriarchalische, in unseren aufgeklärten Augen rückständige und frauenverachtende Gesellschaftssystem können wir nicht auf die Schnelle ändern.
Hüten wird uns davor zu glauben, dass all diese Frauen nur nach einem lechzen: dem westlichen, sogenannt aufgeklärten, kapitalistischen Gesellschaftsmodell.
Sollten wir die Diskussion um ein Burka-Verbot nicht etwas entspannter führen? Braucht es täglich zwanzig, dreissig, vierzig Artikel im Schweizer Blätterwald? Die Zahl der Burka tragenden Frauen liegt in der Schweiz im Promillebereich. Haben wir nicht wichtigere Themen?
Das Abendland wird wegen einiger Burka-Trägerinnen nicht untergehen. Und wenn es deswegen untergeht, ist es Zeit, dass es untergeht.