Kalaghoda-Festival nennt sich das alljährliche Strassenfest in Bombay, das eine Februarwoche lang Kindertheater bietet, Trapezartisten, Tanz, Kunsthandwerk, Lesungen, und Alstadtführungen. Es hat seinen Namen vom Platz im historischen Stadtzentrum. Das Signet ist ein schwarzes Pferd mit Reiter. Es gibt die genaue Übersetzung von Kalaghoda - Schwarzes Pferd – wieder. Name und Festivalsignet sind die einzigen Überreste der Reiterstatue. Wo früher König Edward VII hoch zu Ross auf seine Untertanen hinunterblickte, steht heute ein banaler Parkplatz.
Vor ein paar Jahren noch führte einer der Heritage Walks in einen Innenhof des nahen Elphinstone College. Dort stand ein Blechschuppen, in dem Ross und Reiter eingesperrt worden waren. Später landete der schwarze Hengst mit Reiter im städtischen Zoo, wo sie seitdem Königin Victoria und anderen Steinernen Gästen Gesellschaft leisten – und auch den Paar Tieren, die derselben Indifferenz ausgesetzt sind wie die früheren Beschützer des kolonialen Kronjuwels.
Zwei Tode
Auch in Delhi waren Vizekönige und der Prince of Wales aus ihren Sockeln gehoben und am nördlichen Stadtrand abgeladen worden. Der Name - Coronation Memorial – ist wohl sarkastisch gemeint, denn das überwachsene Grundstück liegt zwischen Abwasserkanälen und dient den nahen Slumbewohnern als Bedürfnisanstalt.
Bei den Römern hatte ein Mensch zwei Leben, seine physische Existenz, sowie das Nachleben im kollektiven Gedächtnis. Damit konnte er aber auch zwei Tode haben, sein körperliches Ende, sowie sein Vergessen. Damnatio Memoriae nannten die Römer deshalb den Staatsakt, in dem Statuen unliebsamer Vorgänger zerstört oder in abgelegene Provinzneste verbannt wurden.
Visuelle Kultur
Die britischen Kolonialherren, die sich gerne mit der Aura des römischen Imperiums umgaben – die berühmte Reiterstatue von Mark Aurel war das häufigste ikonografische Vorbild – kamen nicht mehr dazu, ihren Vorgängern im Amt einen zweiten Tod zu verpassen. Die Inder nahmen ihnen diese Arbeit ab, ähnlich wie es die Bewohner des ehemaligen Sowjetischen Imperiums mit Lenin-Statuen und Marx-Büsten taten.
Indien besitzt eine ausdrucksvolle visuelle Kultur. Die bildhauerische Darstellung von Herrschaftsfiguren beschränkte sie aber auf religiöse Gestalten. Vor der Ankunft der Engländer gab es kaum Statuen säkularer Herrscher. Erst der handfeste Auftritt der Schwarzen Ritter machte die Inder auf die politische Potenz dieser Symbolik aufmerksam.
Leeres Podest
Die Verbannung in einen Zoologischen Garten war die symbolisch ebenso kräftige Antwort darauf. Sie war zudem nur eine Form der antikolonialen Damnatio Memoriae. Eine andere war dessen Umdeutung, sichtbar etwa am Reiterstandbild des Prince of Wales beim Gateway of India, nur wenige Schritte von Kalaghoda entfernt. Statt ihn zu stürzen wurde der Kronprinz lediglich aus dem Sattel gehoben und durch Shivaji ersetzt, den Lokalhelden der Mahratten.
Die Hindu-Nationalisten, die sich im Freiheitskampf kaum hervorgetan hatten, waren immer schon empfänglich für die Autoritätssymbole des Kolonialstaats. Anders der Kongress. Es gibt kaum Nehru-Statuen, und Mahatma Gandhi hatte ausdrücklich untersagt, seine Statue an die Stelle jener König Edwards beim India Gate in Delhi zu setzen. Das Podest steht bis heute leer.
Ins Gras beissen
Vielleicht nicht mehr lange. Inzwischen sind Anhänger eines starken Staats in die Machtkorridore der Hauptstadt eingezogen. Man stellt sich darauf ein, dass sich die Regierung Modi vermehrt mit visuellen Symbolen in die Brust werfen wird. Überall wachsen schon Fahnenmasten in die Höhe, die meisten mit der Trikolore, viele in den Parteifarben der Hindu-Parteien. Strassennamen werden geändert, nicht nur jene von Briten, sondern auch von Mogulkaisern. Die Akbar Road gibt es noch, aber sein Urenkel Aurangzeb musste schon ins Gras beissen.
Anstelle der Aurangzeb Road heisst diese nun Abdul Kalam Marg. Der kürzlich verstorbene frühere Staatspräsident war ein Muslim, aber er war eben, in den Worten von Kulturminister Sharma, „ein guter Muslim“ gewesen. Handkehrum zögert Narendra Modi nicht, populäre Persönlichkeiten anderer religiöser oder politischer Couleurs zu nationalen Ikonen zu machen, wenn er sie damit vereinnahmen kann.
182 Meter hohe Statue
Ein Beispiel ist das Projekt einer Statue, die man schon eher ein Monument nennen muss. Sie heisst Statue of Unity und wird Sardar Vallabhai Patel darstellen, den nach Gandhi und Nehru wichtigsten Kongresspolitiker aus der Zeit des Freiheitskampfs. Wenn Gandhi dessen Herz und Nehru der Kopf der Bewegung gewesen war, dann war Patel die Faust des neuen Staats. Der Iron Man macht ihn für Modi annehmbar, umso mehr als die Kongresspartei mit ihrem dynastischen Gandhi/Nehru-Kult Patel vergessen hatte.
Patel war (wie Modi) ein Gujerate, und das Standbild soll in Gujerat zu stehen kommen, auf einer Insel des Narmada, nicht weit vom Staudamm entfernt, der ebenfalls seinen Namen trägt. Das Bauwerk soll die Dammkrone um einiges überragen, denn mit 182 Metern wird es die weltweit grösste Statue sein (Statue of Liberty: 46 m.). Inzwischen ist der Projektauftrag vergeben. Mit dabei ist auch die Firma, die bereits den mittelöstlichen Turm von Babel, Burj Khalifa, hochgezogen hat.
190 Meter statt 182
Die Statue of Unity scheint aber nicht nur die nationale Einheit zu stärken, sie schürt auch den Regionalneid. Denn wie kann es sein, dass ein Gujerate den Mahratten-Helden Shivaji im benachbarten Maharashtra überragt? Im Schatten Patels wirken die zahlreichen Namenspatenschaften Shivajis (allein in Bombay das Reiterstandbild am Gateway, sowie die Namengebung für Museum, Hauptbahnhof, Flughafen, für Quartiere und ein Dutzend Strassen) plötzlich dürftig.
Also musste der alte Plan einer repräsentativen Shivaji-Statue hervorgeholt werden. Und aufgemöbelt gehörte er auch, denn die ursprünglich geplante Höhe von 98 Metern genügte selbstverständlich nicht mehr. 190 Meter müssen es sein, ein Kopf höher als der Patel. Und auch sie muss auf einer Insel zu stehen kommen, aber auf einer, die dem Meer abgerungen wird, fünf Kilometer von der Bucht des Marine Drive entfernt. Dass sie mit 20 Milliarden Rupien – umgerechnet 350 Millionen Dollar – auch noch teurer werden darf als jene von Patel ist Ehrensache.
Imagologie
Der Schriftsteller Milan Kundera nannte die Vorliebe des Kommunismus für Fahnen, Strassennamen und Statuen ironisch Imagologie. Es ist das, was noch übrigbleibt, wenn die Ideologie des Marxismus durch Propaganda und Säbelrasseln entleert worden ist. Die Statuen von Shivaji und Patel sind Ausdrucksformen dieser indischen Imagologie: Sie projizieren in ihrer äusseren Gestalt Grösse, aber diese ist ebenso hohl wie das Innere der Statuen.
Nach aussen stärken sie auf den ersten Blick das ‚zweite Leben’ dieser historischen Gestalten. Aber im Grunde verraten sie deren historische Wahrheit und Wirkung. Es ist Modi egal, dass Patel ein überzeugter Hindu war – und ein ebenso überzeugter Säkularist.
Auch für die rabiate Hindupartei Shiv Sena zählt Shivajis historische Leistung nicht. Als vor Jahren ein amerikanischer Historiker die offizielle biologische Herkunft des Monarchen anzweifelte, war dies Gotteslästerung. Da sie des Historikers nicht habhaft werden konnten, brannten SS-Anhänger Teile des Forschungsinstituts in Pune nieder, in denen der Forscher gearbeitet hatte. Auch die Errichtung von Statuen, nicht nur deren Schleifung, ist manchmal eine Damnatio Memoriae.