«Mon Crime» von François Ozon verhandelt einen bizarren Kriminalfall im Paris der 1930er-Jahre als Screwball-Comedy mit Verweisen auf die aktuelle «Me Too»-Debatte, besetzt mit Stars wie Isabelle Huppert oder Fabrice Luchini.
François Ozon fokussiert in der kriminalistisch unterfütterten Gesellschaftskomödie «Mon Crime» auf drei couragierte Frauencharaktere, gespielt von den jungen Darstellerinnen Rebecca Marder und Nadia Tereszkiewcz sowie einer Grande Dame des französischen Weltkinos: Isabelle Huppert als einstiger Stummfilmstar mit Comeback-Plänen in der Tonfilmära.
Paris Mitte der 1930er-Jahre. Die Weltwirtschaftskrise hat Frankreich erreicht, das politische Klima ist aufgeladen. Mehrere linke Regierungsbündnisse sind in kurzer Abfolge gescheitert, faschistische Gruppierungen drängen zur Macht. In «Mon Crime» geht es zwar nicht primär um die politisch-ökonomische Wetterlage, aber wo es menschelt, spielt diese im Subtext mit. Und in diesem Filmbijou menschelt es allerorten.
Der Fall des Filmproduzenten
Der Plot beginnt mit einem Castingtermin der noch unerfahrenen, aber ambitionierten Actrice Madeleine bei einem so einflussreichen wie berüchtigten Filmproduzenten. Das Treffen endet bald, weil der Gastgeber zudringlich und übergriffig wird. Madeleine ist verschreckt und verlässt fluchtartig das Anwesen.
Wenig später erhält sie in ihrem schäbigen Appartement ungebetenen Besuch von einem Kriminalbeamten. Grund dafür ist der Umstand, dass der Produzent kurz nach Madeleines Abgang leblos mit einer Pistolenkugel im Kopf vorgefunden wurde. Die Ausgangslage verweist auf das jahrzehntelange Tabuthema der sexuellen Belästigung mit Machtmissbrauch auch im Kulturbereich, das seit 2017 im Kontext mit der «Me Too»-Debatte zunehmend für Aufsehen sorgt.
Die der bösen Tat unschuldige Madeleine vertraut sich ihrer Wohnpartnerin Pauline an. Diese, eine ehrgeizige Anwältin, die endlich in einem spektakulären Gerichtsfall brillieren möchte, schlägt Madeleine einen bizarren, ja riskanten Plan vor: Sie soll sich bei der Polizei als Täterin aus Notwehr bezichtigen und mit ihr, Pauline, als Advokatin in den zu erwartenden Prozess gehen. Warum das? Die Frauen erhoffen sich, mit einer gut inszenierten, argumentativ-gefühligen Strategie ein mildes Urteil, ja sogar einen Freispruch zu erzielen. Und als Folge ein Medienecho, das ihre Berufskarrieren positiv beeinflussen wird.
Screwball-Comedy auf Französisch
Ozon wollte sich schon länger mit einem Stoff zu einer juristischen Falschbeschuldigung befassen. Als er auf das Bühnenstück «Mon Crime» (1934) von Georges Berr und Louis Verneuil stiess, schien ihm die Zeit dafür reif zu sein. Die scharfsinnigen, witzigen Dialoge erinnerten ihn an die bissigen Komödien von Filmregisseur, Drehbuchautor und Dramatiker Sacha Guitry (1885–1957) und an das Genre der US-Screwball-Comedy, die in den 1930er-Jahren auch in Frankreich beliebt wurde. Der Begriff «Screwball» ist dem Baseball-Sport entliehen und bezeichnet einen mit Effet geschlagenen, unberechenbaren Flugball; im Theater und im Film sind extravagante Handlungspirouetten von Charakteren gemeint, denen alles zuzutrauen ist.
Für Ozon ist die Screwball-Comedy das ideale Genre, um im Ton einer zärtlichen, ironischen Farce mit dem Absurden zu spielen und die Theatralik in den Mittelpunkt zu stellen: «Ich habe in ‹Mon Crime› den historischen und politischen Kontext der 1930er-Jahre beibehalten, die Handlung aber frei adaptiert, um aktuelle Fragen rund um Machtverhältnisse und Einflussnahme in den Beziehungen zwischen Männern und Frauen zum Ausdruck zu bringen. Und um mit den Parallelen zwischen Theater und Justiz zu spielen.»
Dazu gehört natürlich, dass der Prozess in den Kulissen der 1930er-Jahre inszeniert wird, mit spannungsvoll in die Jetztzeit geschlagenen Erzählbögen. Ozon fängt die Ernsthaftigkeit der Live-Atmosphäre bei Gerichtsverhandlungen ein, verleiht ihr aber mit zugespitzten Voten – etwa in den Rededuellen zwischen dem selbstgefälligen Staatsanwalt und dem Engagement der weiblichen Verteidigung – ein zeitgenössisches Cachet.
Solidarisch-feministisches Gespann
In «Mon Crime» muss sich Madeleine einer rein maskulinen, erzkonservativen Geschworenenjury stellen. Die sieht sich aber sichtlich irritiert einem gemischten Saalpublikum gegenüber, das mit Sympathiebekundungen bis hin zum Szenenapplaus nicht geizt. Wie im Boulevardtheater sorgt der gewiefte Autor Ozon dafür, dass Madeleine und Pauline rhetorisch, gestisch und emotional zur Hochform auflaufen, wenn sie verknorzte Macho-Eitelkeiten, patriarchalische Verstocktheit und festgefahrene Rollenbilder zu entlarven suchen.
Fein, dass die talentierte, immer selbstbewusster agierende Anwältin nie den Verdacht aufkommen lässt, sich auf Kosten ihrer Mandantin profilieren zu wollen. Vielmehr manifestiert sich plausibel, dass sie mit Madeleine ein solidarisch-feministisches Komplizinnen-Gespann bildet, dem es über das ritualisierte Gerichtsszenario hinaus um ein Plädoyer für das gesellschaftspolitisch überfällige Frauenthema der Gleichstellung geht.
Brillantes Entrée für Isabelle Huppert
Bei Film-Halbzeit scheint alles wie am Schnürchen zu laufen, obwohl die Frage nach der wahren Täterschaft nicht geklärt ist. Und man fragt sich: Was kommt da noch? Einiges, weil bei François Ozon jederzeit mit Surprisen zu rechnen ist. «Mon Crime» bedient ja nicht das Ablaufmuster des klassischen «Whodunit»- (Wer hat es getan)-Kriminalfilms, bei dem die Suche nach der Täterschaft und die Bemessung von Schuld und Sühne das Mass der Dinge sind. Ozon interessiert sich dafür, wer wie und aus welchen Beweggründen in ein Kaitalverbrechen hineingerät und damit umgeht. In diesem Sinn spielt Ozon nun sein Trumpf-Ass aus: Isabelle Huppert.
Sie gibt den einstigen Stummfilmstar Odette Chaumette, die anfangs des 20. Jahrhunderts gefeiert wurde und mit dem Aufkommen des Tonfilms frustriert und desillusioniert in der Versenkung verschwand. Jetzt, nach dem aufsehenerregenden Prozess, wittert sie ihre Chance für ein Comeback. Zumal Madame mit dem Verbrechen weit mehr zu tun hat, als irgendwer zu denken gewagt hätte. Sie macht sich das Momentum der erhöhten Aufmerksamkeit zunutze, um zurückzuholen, was ihr etliche Jahre an Ruhm, Ehre und Vermögen versagt blieb.
Zu diesem Zweck sucht sie fadengerade die persönliche Nähe zu Madeleine, Pauline und einigen Herrschaften, die irgendwie vom jähen Fall des Produzenten profitiert haben, wobei es auch um ziemlich viel Geld geht. Odette zeigt sich bei ihrem Wiedergutmachungs-Feldzug keinesfalls als Bittstellerin, sondern wild entschlossen, ihre Ziele auch ohne moralisch-ethische oder gesetzliche Skrupel zu verfolgen. Exakt so, wie es das Screwball-Comedy-Storytelling-Einmaleins erlaubt; honi soit, qui mal y pense!
Status der Frau erkunden
François Ozon arbeitet seit den Anfängen seiner illustren Karriere mit Isabelle Huppert zusammen und feierte 2002 mit ihr und Kolleginnen wie Catherine Deneuve in «8 femmes» einen Grosserfolg. Mit dem Werk «Potiche» und aktuell «Mon Crime» ist eine kleine Reihe entstanden, in der Ozon den Status der Frau unter dem Aspekt von Humor und Glamour erkundet: «Meine langjährigen Mitarbeiter und ich hatten sehr viel Spass daran, den Stil der 1930er-Jahre nachzubilden und mit auf den ersten Blick veraltetem Material so zu arbeiten, dass die ihm innewohnende Modernität hervorgehoben wird.»
Passt punktgenau zu «Mon Crime». Auch weil Ozon der charismatischen Isabelle Huppert (70) wieder Gelegenheit gibt, ihr stupendes Können auszuspielen, in exklusiv geschneiderten Pracht-Kostümen im Sarah-Bernhardt-Stil, mit atemberaubenden Make-ups, Frisuren und einer für sie komponierten Schlüsselrolle.
Kernige Herren als Sidekicks
«Mon Crime» ist ein treffliches, stimmungsvolles «Damen-Schach mit Königin» und einigen kernigen Herren als Sidekicks auf sehr gehobenem Niveau. Wie die Altstars Fabrice Luchini und André Dussollier. Ersterer mausert sich vom schrulligen Bürobeamten – von der forschen Anmut Madeleines und Paulines betört – zum Juristen mit Format, der sich über routinierte Paragrafenkenntnis hinaus Respekt verschafft. Gut im Bild ist auch André Dussollier. Als Fabrikant mit krisenbedingten Existenzängsten muss er umdenken, weil sein verträumter Sohn ausgerechnet in die mittellose Madeleine verliebt ist, die in die Schlagzeilen gerät.
François Ozon gilt als umsichtiger, perfektionistischer Künstler. Seine Filme werden gelobt für sorgfältige Ausstattungen, gepflegte Kamera- und Lichtarbeit, die Exzellenz der Schauspiel-Choreografie. Nicht selten besetzt er tragende Rollen mit talentiertem Nachwuchs und umgibt sie mit routinierten Grössen in reizvollen Nebenrollen. Zudem bekennt der fantasievolle und originäre Skriptautor, dass er öfters bei Filmikonen recherchiert und sie variierend zitiert. Etwa Douglas Sirk, Luchino Visconti, Joseph L. Mankiewicz, Billy Wilder, Ernst Lubitsch, Pedro Almodóvar oder Rainer Werner Fassbinder.
Als Cineast debütierte François Ozon 1998 und seither legt er fast im Jahresrhythmus ein neues Werk vor, wobei er sich in allen Genres wohlfühlt. Wie jetzt in der Screwball-Comedy «Mon Crime», einem leichthändig inszenierten, aber natürlich blitzgescheit durchdachten «Plaisir du Cinéma». Mit Nachhall.
Ab 6. Juli 2023 im Kino. Wann und wo: Movies