DADA war da, bevor DADA da war.
Wer hätte das gedacht: Die 100-Jahrfeier der Gründung der Kunstbewegung DADA, welche in Zürich ihren Anfang genommen hatte, scheint zu einem Hype zu werden. Die ganze Kunstwelt bebt, so scheint es, derzeit im DADA-Fieber. Und das für eine künstlerische Bewegung, welche am 5. Februar 1916, also mitten im Ersten Weltkrieg, bewusst als Antipode zur bürgerlich etablierten Kunst gegründet worden und fast durchwegs auch als Antikunst, ja Unkunst aufgenommen worden war.
Hohn und Spott
Als sich die Gründungsmitglieder Hugo Ball, Tristan Tzara, Emmy Hennings, Jean Arp, Sophie Taeuber, Richard Huelsenbeck und Marcel Janko am 5. Februar 1916 in Zürich erstmals in einer Mitternachts-Soirée des neu eröffneten „Cabaret Voltaire“ an der Zürcher Spiegelgasse dem Publikum vorstellten, ernteten sie grossteils Spott und Hohn, ja, die NZZ beschrieb das Ganze als Mittelding zwischen Irren-, Freuden- und Primatenhaus. Diese Besprechung muss die Dadaisten gefreut haben, hatten sie es doch darauf abgesehen, die überkommenen Kunst- und Literaturbegriffe und –werte aufzusprengen, sowohl Künstler als auch Publikum aufzurütteln und mit ernstgemeintem Nonsens einer kriegsverseuchten, grausamen Zeit die Stirn zu bieten. Ein bitteres Gelächter scheint die meisten ihrer Arbeiten zu erfüllen, daneben aber auch unbändige Lust am Erfinden und Kreiren, Lust an mehr oder weniger geistreicher, aber immer subversiver Provokation.
Ausser der Halbschweizerin Sophie Taeuber, welche 1922 Hans Arp heiratete, waren alle Beteiligten Migranten, welche in die kriegsfreie Insel Schweiz geflüchtet waren. Der KoKon dehnte sich bald weiter aus, und viele neue Künstler stiessen dazu. Das Cabaret Voltaire wurde zur Urzelle, in der DADA gelebt, geliebt und kreirt wurde. Es bewirkte ein Erdbeben des Kunstbegriffs mit internationalen Auswirkungen auf die Literatur-, Tanz- und Kunstszene, das jedoch von der zeitgenössischen bürgerlichen Gesellschaft kaum wahrgenommen wurde. „DADA ruht nie – DADA vermehrt sich!“ wurde auf dem Plakat „DADA siegt“ beschworen. Und tatsächlich: Betrachtet man die immensen heutigen Jubiläums-Aktivitäten, muss man den Dadaisten von damals recht geben.
DADA hat gesiegt
DADA hat gesiegt, jedenfalls innerhalb der heutigen Kunstszene mit einem geradezu ungeheuren Ausmass an Veranstaltungen, Ausstellungen und Publikationen. Die herausragendste Publikation ist dabei zweifellos „DADAGLOBE reconstracted“ des Zürcher Kunsthauses. Dem 1920 Von Tristan Tzara in Paris ins Leben gerufenen Projekt der Herausgabe eines Quasi-Kataloges aller DADA-Künstlerinnen und –künstler ist eine ganze Ausstellung im Kunsthaus gewidmet. Diese dürfte innerhalb der Szene bald Kultcharakter erhalten, handelt es sich nach jahrelanger Forschungsarbeit doch um die allererste Präsentation der damals, in den Zwanziger Jahren also, aus aller Welt eingereichten Beiträge der beteiligten Künstler. Unter den von Tzara Eingeladenen befanden sich auch einige nicht zur eigentlichen DADA-Szene gehörenden Künstler wie Marcel Duchamp oder Constantin Brancusi, welche wie viele andere eher im fliessenden Übergang zum Surrealismus angesiedelt waren, sich jedoch DADA verbunden fühlten.
Projekt DADAGLOBE
DADAGLOBE war kein leichtes Unterfangen und sollte schliesslich an der Finanzierung scheitern. Denn DADA hatte sich nach Kriegsende vor allem nach Paris und Berlin, später in alle Winde und sogar bis New York abgesetzt und dort zum Teil neue Zentren gebildet. Die Schwierigkeiten von Tzaras Editionsprojekt werden am Schluss eines Gedichtes von Richard Huelsenbeck – der 1918 das berühmte dadaistische Manifest verfasst hatte - umschrieben:
„... Zwischen meinen Schulterblättern wandert Tzara der Dichter / Tzara der Dichter wandert mit Zylinder und Parapluie / mit Parapluie wandert Tzara der Dichter / er wischt sich den Schweiss von seiner Stirn / er reisst sich den Lorbeerkranz von seinem Bein / o Tzara o o Embryo o Haupt voll Blut und Wunden.“
Who is Who der Kunstszene
Die bis 1. Mai im Zürcher Kunsthaus ausgestellten, aus aller Welt zusammengetragenen 200 Originale der Beiträge lesen sich heute wie ein Who is Who der Kunstszene und können Liebhabern dieser Epoche fromme Schauer über den Rücken jagen. Es sind naturgemäss keine grossen Formate, aber sie vermitteln in ihrer Gedrängtheit des nicht zu grossen Ausstellungssaales auch eine Art von Verlagsatmosphäre. Apropos: Das eigentliche Ergebnis dieser Anstrengungen, die Edition DADAGLOBE, liegt jetzt vor in Form des Doppelbuches „dadaglobe – reconstructed“: vorne Einleitungen der beteiligten Wissenschaftler mit Katalogteil, hinten die eigentliche, 160 Seiten umfassende Edition, abgesetzt in Format und Typographie – eine überzeugende, aesthetisch gelungene Anstrengung, Vergangenes real fassbar zu machen.
Züri brännt nicht mehr – es feiert
Wie eingangs erwähnt, wird DADA in Zürich von Februar bis Juni in rund 165 Veranstaltungen gefeiert, darunter die grosse, mit spektakulären Werken bestückte und didaktisch überzeugend aufgebaute Ausstellung „DADA universal“ im Landesmuseum. Irgendwie scheint es, dass Zürich sich selber feiert – sind doch nicht gerade viele Kunstrichtungen von hier ausgegangen. Doch scheint es symptomatisch zu sein, dass das Kunst-Pendel später hier am Platz in Richtung der streng gesetzmässig geordneten Konkreten Kunst ausgeschwungen hatte.
Aber heute und immer ist DADA-Zeit, und es wird ausgiebig gefeiert, unter anderem natürlich im Cabaret Voltaire mit „Obsession DADA“, aber auch ein DADA-Kostümball steht auf dem Programm (13.2.) Sogar die in den Achtzigerjahren von der progressiven Jugend („Züri brännt“) so geschmähte Hochkultur, im Zentrum die kommenden Festspiele, nehmen sich unter dem Titel „Zwischen Wahnsinn und Unsinn“ des Themas an. Im Kunstbereich darf man sich jetzt schon auf die grosse Ausstellung des Mit-Dadaisten Francis Picabia im Kunsthaus Zürich freuen (3.6.-25.9.2016). - Wünschenswert wäre auch eine Aufarbeitung des grossen Einflusses der Dadaisten auf die Fluxus-Bewegung der Fünfziger und Sechzigerjahre.
Internationale Jubiläumsprojekte
Natürlich treten auch andere Städte auf das DADA-Jubiläum ein, so New York, wo ab Juni das MOMA beide Zürcher Ausstellungen DADAGLOBE und Picabia übernehmen wird. In einer Woche eröffnet das Arp-Museum Bahnhof Rolandseck in Deutschland seine grosse DADA-Ausstellung, für die wichtige Exponate aus der Zürcher Sammlung ausgeliehen wurden. Denn die Zürcher DADA-Sammlung wurde im Vorfeld bewusst an alle anfragenden Institute ausgeliehen, um das Netz des Jubiläums weltweit spannen zu können.
Sehr im Sinne von DADA, wie mir scheint. DADA LEBT!