Wichtiger als die Luftverschmutzung ist für Claudia Masüger das Adrenalin in Beijings Ambiente. Die dynamische schweizerische Enterpreuneurin hat mit ihrem start-up ‘CHEERS Wines’ in China sehr viel Erfolg; ihre Kette von Ladengeschäften mit günstigen Einsteigweinen für jüngere und rasch kaufkräftiger werdende Chinesen soll im Reich der Mitte bald expandieren wie Starbucks anderswo.
Claudia war eine der über 600 Teilnehmerinnen und Teilnehmern am diesjährigen Aussenwirtschaftsforum, welches der halbstaatliche Exportförderer ‘Switzerland Global Enterprise’ (SGE, früher Osec), als unumgängliche Heerschau der schweizerischen KMUs seit Jahren in Zürich organisiert.
Verlagerung der Produktion
SGO-Direktor Daniel Küng präsentierte gleich zu Beginn eindrückliche Zahlen zum Tagungsthema ‘The Rising Middle Class: Massgeschneiderter Wachstumstrend für Schweizer Firmen.’ Zwischen 2015 und 2030 wird sich die Mittelklasse weltweit von 2.5 auf 5 Mia. Personen verdoppeln. Dieser gewaltige neue Markt bedeutet nicht nur einzelne Konsumenten, sondern natürlich auch neue Infrastruktur, Produktionsstätten, Unterrichtssysteme und vieles andere mehr. Mittelklasse indes nicht im schweizerischen und auch europäischen Sinn; laut Weltbank handelt es sich dabei um eine Einkommensschicht von 1’000 bis 12’000 Dollar Jahreseinkommen in Schwellenländern und speziell in Asien.
Entsprechend waren sich die Firmenchefs und Unternehmer Schweizerischer Unternehmen an den zahlreichen Podiumsgespächen und in den Arbeitsgruppen weitgehend einig, dass dies sowohl für die Produkte als auch ihre Fertigung grosse Konsequenzen haben wird: preisgünstige Produkte und weitere Verlagerung der Produktion hin zu den Kunden, sowohl aus Kostengründen als auch um marktnah zu bleiben.
Volatile, unvorhersehbare Innenpolitik
Aber auch dieser Trend ist keine Einbahnstrasse. Da sind einmal die in den Schwellenländern, gerade auch in China, ungleich grösseren Risiken.
Diese reichen von geopolitischen Verwerfungen auf internationaler Ebene über eine volatile und unvorhersehbare Innenpolitik - die Antikorruptionskampagne von Präsident Xi hat bekanntlich Teile des chinesischen Marktes schwer in Mitleidenschaft gezogen - bis hin zu oft schwer durchsetzbarem Gläubigerrisiko. Und dem Währungsriskiko. Dieses war im Euroraum, zu dem bis zur problematischen Mindestkursaufhebung durch die SNB auch der Schweizerfranken gehörte, nicht existent.
Nach Chine aufbrechen, in Europa besser werden
Zweitens ist und bleibt die europäische Nachbarschaft der weitaus grösste Absatzmarkt auch - und gerade für schweizerische KMUs. Das Handelsvolumen zwischen der Schweiz und Baden-Württenberg allein beläuft sich nach wie vor auf fast das Doppelte des gesamten schweizerischen Warenverkehrs mit China. Wenn man dazu die in simplen Zollstatistiken nur sehr schwer zu verfolgenden Wertschöpfungsketten der schweizerischen Wirtschaft über den gesamten europäischen Freihandelsraum hinweg rechnet, bleibt das Bild der soliden Verankerung in Europa grundsätzlich unverändert.
Die zwei schweizerischen Export-Awards 2015 - wie jedes Jahr mit Oscar-verdächtiger Präsentation und Spannung am Aussenwirtschaftsforum von einer unabhängigen Expertenjury vergeben - wiederspiegelten die zwei beschriebenen Megatrends, sowohl nach China aufbrechen, als auch in Europa noch besser werden. In der Kategorie der etablierten Firmen gewann die Amberg Technologies aus Regensdorf-Watt, dank deren supergenauen Vermessungsgeräten die chinesischen TGVs über erschütterungsfreie Bahntrasses gleiten. Bei den Nachwuchsunternehmen schwang das von zwei Secondos in Dulliken mit grossem Erfolg, speziell in Deutschland, betriebene PPURA-Unternehmen für hochpreisige italienische Pastaspezialitäten obenaus.
Von West nach Ost
Unwidersprochen blieb die Schlussfolgerung, dass eine gewisse Marktverlagerung Richtung Asien nur einen Teil der epochalen, gewärtig ablaufenden Schwergewichtsverschiebung von Westen nach Osten darstellt. Diesen weiten, gar philosophischen Kontext stellte am Forum der Vordenker Peter Sloterdijk dar. Trotz nuschelndem Vortrag hingen die Zuhörer dank seinen bekannten Bonmots und überraschenden Vergleichen buchstäblich an seinen Lippen.
Er skizzierte denn auch ein Szenario für 2050 mit täglichen Flugzeugladungen von indischen Mittelklassetouristen, welche einmal im Leben Schnee, die Jungfrau und die Ureinwohner im europaweiten Ballenbergambiente sehen wollen.