«Ich musste mich erst mal erkundigen, wo das ‘Haus für Mozart’ überhaupt ist …» sagt Enrique Mazzola. «Niemand hatte mir gesagt, dass es sich im gleichen Gebäudekomplex befindet wie das Festspielhaus und die Felsenreitschule …» Jetzt muss er selbst darüber lachen, dass er sich in Sachen Salzburger Festspiele als so unwissend geoutet hat. Denn die Wissenslücke ist unterdessen selbstverständlich geschlossen. Das «Haus für Mozart» ist inzwischen Mazzolas Arbeitsort. Hier dirigiert er die Neuinszenierung von «Orphée aux Enfers» von Jacques Offenbach. Momentan steht die Produktion unter der Regie von Barrie Kosky kurz vor der Premiere.
Pendeln zwischen den Festspielen
14.30 Uhr, es ist Probenschluss und endlich gibt’s auch was zu essen. Eierschwammerln mit Knödel im «Triangel» gleich gegenüber. Nur schon der Duft der frischen Pilze in Rahmsauce bringt die Kräfte wieder in Schwung. Und die kann Enrique Mazzola brauchen. Es ist sein Debut bei den Salzburger Festspielen und gleichzeitig gibt er auch in Bregenz beim «Rigoletto» auf der Seebühne den Takt an. Damit pendelt er nicht nur zwischen zwei Festspielen, sondern auch noch zwischen den beiden grossen Wiener Orchestern: in Bregenz sitzen die Wiener Symphoniker im Orchestergraben, in Salzburg sind es die Wiener Philharmoniker. Es ist schon eine spezielle Situation, in der Mazzola da steckt und die er gleichzeitig auch schätzt. War es Zufall, dass es sich so ergeben hat? «Zufall?», sagt er und denkt nach. «Nun, alles im Leben geschieht aus einem bestimmten Grund.
Die beiden Angebote kamen fast gleichzeitig, Bregenz eine Spur früher, aber ich habe noch nie ein Projekt für ein anderes aufgegeben und so habe ich alles darangesetzt, beides machen zu können.» Das bedeutete auch, sich nach einer «Rigoletto»-Aufführung ins Auto zu setzen, drei Stunden nach Salzburg zu fahren und am nächsten Morgen pünktlich zur Probe anzutreten. Dabei hat er festgestellt, dass der Adrenalinpegel, der sich beim «Rigoletto» aufgebaut hat, ihn bei der nächtlichen Fahrt nach Salzburg hellwach hielt, ganz ohne andere Substanzen. «Und Verkehr ist auch fast keiner um diese Zeit», meint er noch.
«Rigoletto» und «Orphée aux Enfers», zwei ganz verschiedene Opern fast gleichzeitig nebeneinander. Wie geht das? Sehr gut, findet Mazzola und er vergleicht sich mit einem Gärtner, der einen grossen, schönen Garten pflegt. «Links habe ich zum Beispiel Rosen, rechts Tulpen. Es sind verschiedene Blumen und sie blühen zu verschiedenen Zeiten, aber ich kümmere mich um beide und die Pflege der einen gibt mir auch Anregungen für die andere.»
Ein grosser Bogen europäischer Musik
Der «Rigoletto» in Bregenz bedeutet für ihn aber auch den Einstieg in Giuseppe Verdis Welt. «Trotzdem werde ich natürlich dem Belcanto weiterhin verbunden bleiben, aber all meine belcanto-Erfahrungen werden nun in meine Arbeit mit Verdi einfliessen. Im Oktober mache ich ‘Luisa Miller’ in Chicago, nächstes Jahr auch ‘Attila’. Gleichzeitig dirigiere ich nun hier in Salzburg Jacques Offenbach …
Offenbach versucht immer, etwas Spass in die ernste Oper zu bringen. Er ist ironisch, sarkastisch und gleichzeitig ein Romantiker, der die Regeln der Romantik bricht. Seine Musik ist wie ein grosser Salat mit Häppchen von Verdi, Wagner oder Berlioz, gut durchmischt und von Offenbach mit Salz und Pfeffer gewürzt.» Mazzola spricht voller Begeisterung über «Orphée» und sieht durchaus Affinitäten zwischen Offenbach und Verdi. «Diese ‘banda’ am Anfang von ‘Rigoletto’, dieses ‘tatadididi’ …., das könnte glatt von Offenbach sein! Wenn ich dirigiere, denke ich nicht: ‘Das ist Offenbach und jenes ist Verdi.’ Für mich ist das ein grosser Bogen europäischer Musik. Der ‘fliegende Holländer’ zum Beispiel ist zutiefst europäisch – und man findet Verdi und Meyerbeer darin. Ich weiss, Wagnerianer würden mich für meine Worte umbringenn …, aber man kann romantische Musik nicht in verschiedene Schubladen stecken. Offenbach kannte Verdi sehr gut und Verdi war in Paris einer der wichtigsten Komponisten. Dessen war sich Offenbach sehr bewusst.»
In Salzburg arbeitet Mazzola mit den Wiener Philharmonikern. Ernst und seriös seien sie bei der ersten Probe gewesen, oder besser gesagt: „seriösissimi“. So beschreibt Mazzola den Probenbeginn mit dem hochkarätigen Wiener Orchester. Aber schon am zweiten Tag war bei den Philharmonikern Schmunzeln angesagt. Denn auch Regisseur Barry Kosky sagt zu Offenbachs Musik: „Man kann sie nicht hören, ohne zu lächeln“, und das spiegelt sich auch in seiner Inszenierung. Mazzola und Kosky arbeiten das erste Mal zusammen, „aber ich denke, es ist nicht das letzte Mal“, sagt Mazzola.
Hightech bei Rigoletto
Rein von den Bühnengegebenheiten her, war die Arbeit am „Rigoletto“ in Bregenz neu und völlig anders für Enrique Mazzola. „Dabei hatte ich in den Jahren vorher schon ein Sinfoniekonzert in Bregenz geleitet und die Neuproduktion von Rossinis ’Mose in Egitto‘, aber das war im Festspielhaus“. Und nun also die Seebühne. Darsteller und Musiker sind völlig voneinander getrennt. Die Bühne ist im Freien, das Orchester unter Dach im Festspielhaus. „Dort komme ich mir vor wie der commander im ’Startreck‘ … mein Dirigentenpult ist hightech mit mehreren Telefonen, zwei kleinen Bildschirmen links und rechts und einem riesigen vor mir, dazu die Kamera auf mich gerichtet, rote Lichter, stop and go, die Sänger höre ich aus Lautsprechern hinter mir und sehe sie auf dem Bildschirm vor mir.
Kommunizieren kann ich über meine Augen mit ihnen, wenn ich ganz direkt in die Kamera schaue, als wären es die Augen der Sänger … Vertrauen ist alles. Oder anders gesagt: Ich weiss, dass du weisst, dass ich es weiss … Das heisst: Ich weiss, was du dort auf der Bühne tust, weil du weisst, was ich dirigiere …“ Ganz schön kompliziert …, aber es funktioniert. Auch bei Wind und Wetter, denn bei leichtem Regen wird gespielt. Das Publikum mit Regencape, die Darsteller im normalen Kostüm. „Für mich sind sie Helden“, sagt Mazzola voller Bewunderung. „Unglaublich, was zum Beispiel diese phantastische Gilda da leistet: 50 Meter über dem See hängt sie da mit dem halben Körper aus dem Ballon und singt mit einer Coolness, als stünde sie nur unter der Dusche.“
„Rigoletto“ ist für Mazzola inzwischen abgeschlossen, jetzt dreht sich alles um Salzburg und „Orphée aux Enfers“. Die Eierschwammerln sind gegessen, draussen auf dem Platz vor dem „Haus für Mozart“ brennt die Sonne sengend heiss an diesem Nachmittag. Und Enrique Mazzola hat nach der nächtlichen Fahrt von Bregenz nach Salzburg und nach der Probe am Vormittag nur noch einen Wunsch: eine Dusche. Und – husch – weg ist er …
Salzburger Festspiele
„Orphée aux Enfers“
Premiere: 14. August 2019
Oder auf „Arte“
Übertragung aus Salzburg
„Orphée aux Enfers“
Samstag, 17. August, 2015 Uhr
Siehe auch: Tempo - schnell? oder langsam? am liebsten extrem