Mit Blick auf den Rücktritt von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und die anstehende Bundesratswahl am 9.Dezember 2015 wird zur Rechtfertigung eines zweiten SVP-Sitzes im Bundesrat „eidgenössische Konkordanz“ beschworen. Was aber heisst, was bedeutet Konkordanz wirklich? *
Konkordanz gehört zum historisch gewachsenen, republikanischen Selbstverständnis der Schweiz. Konkordanz ist eine Kompetenz, die das Schweizer Volk sich nach und nach erworben hat: eine Errungenschaft, die den Zusammenhalt und die Entwicklung der Eidgenossenschaft gefördert hat und weiterhin fördern wird. Das ist unbestritten. Nur scheint weitherum vergessen gegangen zu sein, was unter Konkordanz wirklich zu verstehen ist - und gerade auch verstanden wurde, als im Jahr 2007 ein Bundesrat abgewählt wurde.
In der Kultur der Konkordanz werden Konflikte auf «Biegen» statt auf «Brechen» ausgetragen, weil der politische Gegner als legitimer Vertreter von andern Argumenten und Interessen verstanden wird. Konkordanz setzt daher auf Verhandlungsprozesse, die eine gute Kenntnis aller Positionen erfordert und auch fördert. In der Konkordanzdemokratie wird um die besseren Argumente, um Vernunft gerungen, während eine Wettbewerbsdemokratie zu emotionsgeladener Symbol- und reiner Machtpolitik führt. In den Regierungen des Bundes, der Kantone und der Gemeinden wird das Kollegialitätsprinzip hochgehalten, in den Parlamenten die Zusammenarbeit der verschiedenen Kräfte.
Die SVP, die sich stets auf die Schweizer Tradition beruft, wendet sich immer wieder von der Tradition der Konkordanz ab - unter Behauptung des Gegenteils – und zieht ideologisch „reine“ Lösungen vor. Dagegen setzte die Bundesversammlung vor acht Jahren ein klares Zeichen. Will die SVP nach ihrem Erfolg bei den jüngsten Nationalratswahlen Verantwortung übernehmen und fordert sie nun Konkordanz im Bundesrat ein, muss sie sich darauf besinnen, was echte Konkordanz ist. Nämlich nicht nur eine Frage der Arithmetik. Und die anderen Parteien und die Bundesversammlung müssen sie und ihre Bundesratskandidaten darauf behaften, dass zur echten Konkordanz die Kompromissfähigkeit der politischen Entscheidungsträger gehört.
Das bedeutet auch, dass die SVP auch als grösste Partei, aber keine solche mit einer absoluten Mehrheit, ihre Vertreter in der Regierung nicht selbst bestimmen kann, sondern die Wahl, wie es die Regeln vorsehen, der Bundesversammlung überlassen muss. Aus Respekt vor der Demokratie, die sie sonst beschwört, muss sie auf ihren verfassungswidrigen „Widmer-Schlumpf-Artikel“, wonach ein gewählter SVP-Bundesrat aus der Partei ausgeschlossen wird, wenn er oder sie nicht von ihrer Fraktion vorgeschlagen wurde, verzichten.
Ganz besonders zu bedenken ist, dass Konkordanz nicht nur im Bundesrat das Erfolgsmodell ist. Konkordanz fördert die Berechenbarkeit und die Verbindlichkeit der politischen Entscheide, und sie sichert den sozialen Frieden. Sie sind auch die Voraussetzungen für unseren wirtschaftlichen Erfolg. Die Konkordanz ist einer der wesentlichen Standortvorteile der Schweiz, der gerade in schwieriger Zeit nicht aufs Spiel gesetzt werden darf.
* Der Club Helvétique hat 2006 „Zehn Thesen zu einer zukunftsfähigen Konkordanz“ veröffentlicht. Sie finden sich auf www.clubhelvetique.ch in der Rubrik „Thesen“.