Führt Trumps Sieg dazu, dass Europa endlich eine eigenständige Kraft wird? Nicht abgekoppelt von den USA, aber „autonomisiert“.
„Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch“ – antwortete Slavoj Žižek am Mittwoch nach der Wahl all jenen, die von ihm nun wohl eine antifaschistische Tirade gegen Donald Trump erwartet hatten. Wer ist schlimmer: Clinton oder Trump? Donald Trump, so Žižek, sei offensichtlich „schlimm“, da er einen Rechtsruck verspricht und einen Verfall der öffentlichen Moral verkörpert, aber wenigstens stelle er einen Wandel in Aussicht, derweil Hillary Clinton „schlimmer“ sei, da sie es als wünschenswert erscheinen lasse, alles so zu lassen wie es ist. Nun gelte es die Nerven zu behalten und sich für das „Schlimmere“ zu entscheiden, das für einen Wandel steht.
Die Katastrophe stärkt die Linke, so seine These. Die Einwände sind bekannt: Die Machtübernahme Hitlers wurde nicht nur von der kommunistischen Linken unterschätzt. Ein halbes Jahr nach der Machtübernahme war die Linke ausgeräuchert. Die Katastrophentheorie überzeugt auch bei Trump nicht, auch wenn wir gar nicht genau ersehen können, was aus dem ewig Halbwüchsigen als Präsident werden wird. Žižek ruft nun nach der authentischen Linken. In der SP Schweiz ist eine Diskussion ausgebrochen, als sei mit Clinton einen der ihren nicht gewählt worden. Darin geht es um ein Zurück zur Arbeiterklasse.
Verlorenes Minderheiten-Patchwork
Auch ich war überzeugt, Clinton werde gewinnen. Hat nun Trump gewonnen oder Clinton verloren? Trump gelang es wider Erwarten, das klassische rechte republikanische Wählermilieu vollauf auszuschöpfen. All die Distanzierungen vor den Wahlen haben kaum etwas bewirkt. Trump wurde aber auch zum Hoffnungsträger der weissen Arbeiter und generell der weissen unteren Mittelschicht im „Rust Belt“. Diese konnte Clinton offensichtlich nicht ansprechen – im Gegensatz zu Bernie Sanders, der mit seiner Kampagne auf solche Wählerinnen und Wähler zuging und die Frage der zunehmenden Deindustrialisierung thematisiert hatte. Trump hat mithin auf Grund seiner eigenen Stärke gewonnen, profitierte aber gleichzeitig von einer schwachen Gegenkandidatin.
Ich schrieb hier vor zwei Wochen, Clinton sei auf Grund ihrer Positionen zum Syrienkrieg als „Kriegsgurgel“ nicht wählbar. Das war aber nicht der Grund, warum sie in den USA nicht ankam. Waren es die Schwarzen, die ihr gegenüber Sanders den Sieg brachten, liessen diese sie nun teilweise im Stich. Generell konnte Clinton das ganze Patchwork der Minderheiten, das Obama vor vier Jahren einen glänzenden Sieg sicherte, nicht im gleichen Ausmass mobilisieren, was letztlich ausschlaggebend war. Zudem galt Clinton als arrogant.
Plötzlich galt sie als heilig
Nun ist es eines, Clinton als Frau machohaft niederzumachen, wie dies die Trumpkampagne täglich reproduzierte. Ein anderes ist es, den arroganten Machtanspruch des Clinton-Clans in Frage zu stellen. Wer seine Reden an der Wallstreet als Präsidentschaftskandidat geheim halten will und muss, hat ein Problem. Warum beides zu kritisieren typisch populistisch sein soll, wie dies die Pro-Clinton-Journalistinnen und -Journalisten auch bei uns unterstellten, ist mir schleierhaft.
Als Clinton noch gegen Obama um die Kandidatur kämpfte, durfte man sie kritisieren, weil sie dem Leuchtturm Obama nichts entgegenzusetzen hatte. Kaum wurde sie letztlich erzwungene Kandidatin der Demokraten, galt sie als heilig.
Die falsche Kandidatin
Ich gehe von der Vermutung aus, ohne das im Einzelnen belegen zu können, Obama hätte diese Wahl gegen Trump klar gewonnen. Vieles spricht dafür, dass auch Sanders obsiegt hätte. Für Vizepräsident Biden gilt das gleiche. Andere mögliche Kandidatinnen vor allem gab es nicht, weil Clinton von Anfang gesetzt war. Dass am Schluss niemand an einen Sieg Trumps glaubte, hatte mit seiner rassistischen und machohaften Kampagne zu tun, die offensichtlich zu Unrecht als so unterirdisch eingestuft wurde, dass ihm die Wähler davonlaufen würden. Von Anfang an war klar, dass Clinton gegen Trump Mühe haben werde. Vor diesem Hintergrund muss sich das demokratische Machtzentrum aber die Frage sehr wohl gefallen lassen, ob es mit der falschen Kandidatin nicht den Sieg von Donald Trump leichtsinnig mitverschuldet hat?
Es bleibt aber auch obskur, warum ein Grossteil der sozialdemokratisch grünen Szene in Europa so sehr für Hillary eintrat. Sie ist weit vom Verdacht entfernt, eine Linke zu sein, das legte Bernie Sanders im Vorwahlkampf auf bemerkenswerte Weise offen. Aber auch als Kandidatin der vielen Minderheiten fehlte ihr, anders als Obama, der Stallgeruch, und genau dies rächte sich am Schluss. Sie war eben mit Leib und Leben die Kandidatin der Wallstreet. Wie hätte Trump verhindert werden können? Mit einer anderen Kandidatur.
Russland, zurück auf der Weltbühne
Was kommt nun? Wird die Wahl von Trump zur grossen Zäsur? Die grosse Zeit der westlichen Globalisierung begann 1992 mit Bill Clinton. Die Neunzigerjahre des letzten Jahrhunderts waren das Jahrzehnt der USA und standen im Zeichen der US-Monopolherrschaft. Natürlich bedeutete der 11.9.2001 eine Zäsur, der aber dieses Monopol keineswegs tangierte. Das zerbrach erst gegen das Ende des letzten Jahrzehntes mit der Etablierung der neuen globalen Macht und Wirtschaftsstellung Chinas.
Weder der Krieg in Afghanistan noch der Irakfeldzug von Bush haben die globale militärische Position der USA gestärkt. Im Gegenteil konstatieren wir heute, dass den USA in den letzten Jahren die globale Steuerungsfähigkeit abhandengekommen ist. Nach Jahren des Abstiegs in den Neunzigerjahren hat Russland zurück auf die Weltbühne gefunden. Ohne und gegen Russland sind heute keine politischen und militärischen Schritte im Nahen Osten möglich. Clinton wollte dies ändern, obgleich jede Vernunft dagegenspricht und an der Machbarkeit zu zweifeln ist – so die Position Obamas, der es sich allerdings mit Putin verscherzt hatte und sich zu sehr von den Osteuropäern und Balten gegen Russland einspannen liess.
Das Ende des Westens?
Was macht Trump? Er kündigt eine Normalisierung der Beziehungen zu Russland an und stellt gleichzeitig das heutige Funktionieren und vor allem die Finanzierung der Nato in Frage. Und empfängt als ersten europäischen Politiker nach der Wahl Nigel Farage, was in den europäischen Hauptstädten zu Recht als gehörige Ohrfeige aufgefasst wird.
Dies löst vor allem in Europa bereits einiges an Hektik aus. Bereits wird vom Ende des Westens gesprochen. Das evoziert bei mir die Frage, was eigentlich so schlecht daran wäre, wenn Europa sich selber führt und eine eigenständige Kraft wird, die von den USA nicht gerade abgekoppelt, aber doch „autonomisiert“ wäre? Will das Trump? Will das das amerikanische Politestablishment, das ja weiterhin besteht? Trump will das, was den USA am meisten nützt.
Nötige Regeneration der EU
Bislang baute die globale Stärke der USA auch darauf auf, dass die USA seit 1990 Europa mehr oder weniger unkritisch in ihrem Sog wussten. Der Irakkrieg von Bush II bildete die eine grosse Ausnahme, das Abseitsstehen Deutschlands in Libyen die zweite um einiges kleinere. Sonst war der Westen eins, wenn es um die grossen Auseinandersetzungen ging, selbst im Klimaabkommen kam es unter Obama dazu. Wenn sich nun die USA aussenpolitisch zurückziehen, was ich allerdings bezweifle, dass sie das tun werden, weil sie sich damit selbst in ihrem Einfluss schwächen, könnte das den Europäern insgesamt gleich sein. Es waren nebst osteuropäischen vor allem amerikanische Interessen, die im Ukrainekonflikt zur Konfrontation mit Russland trieben, welche nicht im Interesse der EU liegt. Je kleiner der Einfluss der USA, desto mehr wird sich Kerneuropa durchsetzen können, was für die nötige Regeneration der EU zentral sein wird.
Chance und Aufgabe Europas
Wir leben in einer kapitalistischen Welt. Aber die Welt wird nicht von einem Kapitalismus beherrscht. Die USA, China, Europa und Russland verfügen über je eigene kapitalistische Strukturen, was zu unterschiedlichen Interessen führt. Den Westen zeichnete bislang aus, dass er gemeinsam Demokratie und Rechtsstaat als Voraussetzung einer freien kapitalistischen Gesellschaft betrachtete. Nimmt man alle Äusserungen Trumps im Wahlkampf zum Nennwert, muss man den Rechtsstaat in den USA als abgeschafft betrachten. Das wird zur Chance und Aufgabe Europas, hier gegenzusteuern. Allerdings ist die heutige EU weit davon entfernt, blicken wir auf den Türkei-Flüchtlingsdeal, generell auf die Migrationspolitik, das Rechtsstaatsversprechen selbst einzulösen.
Und wir stehen vor Wahlrunden im nächsten Jahr in Europa, in Frankreich und Deutschland, wo es vorrangig um Fragen des Rechtsstaats gehen wird, den die Rechtsextremen immer deutlicher in Frage stellen.
Bleibt die Frage der Nato. Seit wann machen sich Linke Sorgen um die Zukunft der Nato? Die Nato ist das Verteidigungssystem der Sicherung der Privilegien des Westens gegenüber dem Rest der Welt. Auch nach 1990 ist keine progressive Funktion der Nato zu erkennen. Sicher wird Trump bezüglich der Finanzierung der Nato die Europäer zur Kasse bitten. Aber der grosse Hilfeschrei bezüglich eines Endes der Nato scheint mir etwas vorschnell erfolgt zu sein. Ein ähnliches Kapitel betrifft die Freihandelsabkommen.
... da müssen wir Trump dankbar sein
Freihandelsabkommen werden zu Recht in Frage gestellt, weil sie zwangsläufig zur ökologischen und sozialen Deregulierung führen. Wenn dank Trump TTIP endgültig Schiffbruch erleiden wird, müssen wir ihm danken, auch wenn er aus völlig umgekehrten Gründen handelt.
Der Trump-Diskurs wird nun weitergehen. Genauere Analysen werden folgen müssen. Die Einteilung der Welt in populistische Nationalisten und (aufgeklärte) Globalisten wird dabei auch weiterhin nicht hilfreich sein. Trump hat es genützt.