Bis am 3. Oktober bleibt der Arc de Triomphe in Paris verhüllt. Es ist das letzte Werk von Christo, der die Realisierung nicht mehr erlebt hat. Er starb 85-jährig im Mai 2020, nicht ohne die Erlaubnis gegeben zu haben, die Arbeit auf alle Fälle zu vollenden und zwar durch seinen Neffen Vladimir Yavachev. Damit schliesst sich im Gesamtschaffen von Christo ein Kreis, der exakt vor 60 Jahren begonnen hat. Das wird im Projekttitel «L’Arc de Triomphe WRAPPED Paris, 1961–2021» denn auch klar zum Ausdruck gebracht.
Ein Bulgare in Paris
Der gebürtige Bulgare Christo Wladimirow Jawaschew kam 1958 von Tschechien über Wien mehr oder weniger mittellos nach Paris, wo er sich mit Porträtaufträgen über Wasser zu halten versuchte. Eine Kundin hatte Mitleid mit ihm und unterstützte ihn dadurch, dass sie ihn weiterempfahl. Diese Person war ausgerechnet Précilda de Guillebon, die Gattin von General Jacques de Guillebon, der unter Charles de Gaulle höchste Ämter angeboten bekam. Zur Familie gehörte Jeanne-Claude, die Tochter von Précilda aus einer früheren Beziehung, die Christo zunächst als Kumpel akzeptierte. Christo wurde bald einmal häufig eingeladen und er gewann mit seiner jovialen Art die Sympathien der ganzen Familie.
Im Stillen suchte er seinen Weg und den Anschluss an die französische Avantgarde. Es waren die verpackten Alltagsgegenstände, die von Galeristen als vielversprechende Artefakte entdeckt und ausgestellt wurden. Und es dauerte nicht lange, bis sich Jeanne-Claude nach einer missratenen Ehe mit einem standesgemässen Kandidaten in Christo verliebte und mit ihm zum Entsetzen ihrer Mutter zusammenzog.
Damit begann eine der erstaunlichsten Künstlerbeziehungen, die bis zum Tode von Jeanne-Claude im Jahre 2009 allen Stürmen widerstand. Die vermutlich von Christo vorgeschlagenen Projekte wurden gemeinsam umgesetzt. Jeanne-Claude figuriert auch beim verhüllten Triumphbogen als Ko-Autorin, obwohl die Feinplanung erst einige Jahre nach ihrem Ableben in Angriff genommen wurde.
Sperre aus Ölfässern
Im Herbst 1961 beschrieb Christo auf einem Blatt Papier, mit der Schreibmaschine verfasst, ein Projekt mit Ölfässern, welche die enge Rue Visconti in Paris verbarrikadieren sollten. Vordergründig verband er damit einen Protest gegen die kurz davor errichtete Berliner Mauer. Doch viel entscheidender war der Umstand, dass er damit erstmals die Galerienräume verlassen wollte, um in einem urbanistischen Kontext einen künstlerischen Eingriff vorzunehmen, der nur kurze Zeit bestehen sollte.
Gegen alle Widerstände – ein weiterer Aspekt der Arbeitsweise von Christo – stapelte er in der Nacht vom 27. Juni 1962 gegen neunzig Ölfässer auf. Von dieser Aktion, die nur einige Stunden dauerte, existiert lediglich eine offizielle Aufnahme, und nur ganz wenige waren dabei. Damit wurde die spektakuläre Reihe von Projekten initiiert, die nun in Paris ihren Abschluss findet.
Immer wieder Paris
1964 zogen Christo und Jeanne-Claude nach New York, wo sie von nun an lebten und arbeiteten – abgesehen von den weltweiten Erkundungsreisen. Aber Paris blieb so etwas wie ihre Heimat, und immer wieder entstanden hier Verpackungsprojekte. Der Triumphbogen wurde auf einer Zeichnung schon 1963 verhüllt dargestellt, dann abermals 1968, 1970 und 1989. Aus dem Jahre 1969 ist eine Zeichnung erhalten, auf der die Bäume der Avenue des Champs-Élysées verpackt sind, eine wichtige Quelle für die 1998 verhüllten Bäume im Berower Park neben der Fondation Beyeler in Riehen.
Höhepunkt war zweifelsohne die Einkleidung des Pont Neuf im Jahre 1985, die nicht zuletzt auch dank der Fürsprache des einflussreichen Schwiegervaters zustande kam. Anders als bei den ersten Objekten, die bewusst unsorgfältig verpackt wurden, achtete Christo beim Pont Neuf auf jede Falte. Wie ein Meister der Haute Couture wollte er für sein steinernes Modell die perfekt sitzende zweite Haut.
Ernsthaft an ein Gelingen des Projektes Triumphbogen glaubten Christo und Jeanne-Claude nicht. Erst 2017 wurde dieses Projekt auf die Initiative des Centre Pompidou, wo eine Retrospektive über das Gesamtschaffen von Christo und Jeanne-Claude gezeigt wurde, aus dem Dornröschenschlaf geweckt.
Ein Risiko war dies für die Behörden nach den Erfolgen Christos in der ganzen Welt beileibe nicht mehr. Man benötigte von da an lediglich zwei Jahre, um das komplexe Vorhaben zu realisieren. Schon im Frühjahr 2020 war man bereit, doch wegen nistender Turmfalken verschob Christo den Beginn um ein halbes Jahr – und dann kam Corona dazwischen, was eine weitere Verzögerung verursachte. Nun ist aus dem verhüllten Monument so etwas wie ein Kenotaph für Christo geworden, wenn auch nur für kurze Zeit.
Ein Mahnmal, das Kriege verherrlichte
Der Arc de Triomphe ist nebst dem Eiffelturm das berühmteste Monument von Paris. Vorgeschlagen wurde er von Napoleon höchstpersönlich, der – die Tradition der römischen Triumphbögen aufnehmend – seine siegreichen Schlachten in Stein verewigen wollte. Als Architekt gilt Jean-François-Therèse Chalgrin; doch waren zwischen der Grundsteinlegung im Jahre 1806 und der Einweihung dreissig Jahre später weitere Baumeister involviert.
Das Bildprogramm des Baus wurde den Zeitumständen entsprechend mehrmals angepasst, aber bis zum Schluss hielt man an der Verherrlichung der militärischen Erfolge Frankreichs fest. Dass dies heute kaum mehr wahrgenommen wird, hängt mit der radikalen Umgestaltung der Stadt Paris unter Baron Haussmann zusammen. Sie machte den Triumphbogen zum Fluchtpunkt von zwölf Prachtstrassen. 1921 fand hier der Unbekannte Soldat seine letzte Ruhestätte. Ihm und allen Kriegsopfern zu Ehren wird alltäglich mit einer speziellen Zeremonie die ewige Flamme entzündet.
Ins kollektive Gedächtnis eingeprägt hat sich jedoch eher der chaotische Tanz der Fahrzeuge um das Monument, und an diesem Zustand hat sich bis heute nichts geändert. Schliesslich wurde das Thema des Bogens 1989 durch die Grande Arche von Johan Otto von Sprekelsen paraphrasiert. Das neue Monument bildet nun den Abschluss der gigantischen Achse vom Louvre über den Arc de Triomphe im Stadtviertel La Défense.
Die ultimative Veredelung
Wie schon bei den bisherigen Projekten wirkte auch diesmal ein Heer von Spezialistinnen und Spezialisten mit. Ingenieure planten die Stahlgerippe, welche die Skulpturen und Friese schützen. Eine deutsche Firma wob insgesamt 25’000 Quadratmeter eines grobmaschigen blauen Textils, dessen sichtbare Seite mit einem Kilogramm Aluminium silbern beschichtet wurde. Es mussten die dicken roten Seile gedreht und ihre exakten Positionen festgelegt werden. Die Aufbauarbeiten dauerten schliesslich zwei Monate.
Aus dem imperialen Denkmal ist für 13 Tage ein edles Juwel geworden. Unbeschreiblich ist die Wirkung bei unterschiedlicher Sonnenbestrahlung. Am Morgen leuchtet die östliche Fassade zur Avenue des Champs-Elysées, am Abend die westliche zur Grande Arche.
Dank den Stahlgerippen wird der tektonische Aufbau hervorgehoben. Die Falten verleihen den Oberflächen eine vertikale Struktur, und das Netz der leuchtend roten Seile kontrastiert mit der grell silbernen Haut. Überwältigend wird der Eindruck bei Sonnenuntergang und kurz danach, wenn die Scheinwerfer das Tor beleuchten.
Man ist geneigt zu wünschen, es würde immer so bleiben, aber Christo und Jeanne-Claude wurden nie müde, den ephemeren Aspekt all ihrer Arbeiten zu betonen. Beim verhüllten Triumphbogen werden nicht nur die Bilder, die wohl auch diesmal in einer opulenten Monografie ausgelegt werden dürften, einen wehmütig an das Vergängliche gemahnen.
Alle Fotos: Fabrizio Brentini