Nach der Zerstörung von mehreren Heiligengräbern haben Islamisten auch die "heilige Tür" der Sidi-Yahia-Moschee in Timbuktu eingerissen. Und nun herrscht große Empörung in der westlichen Welt und in den westlichen Medien.
Als Kriegsverbrechen sollen die Täter verfolgt werden, heißt es bereits. Auffallend ist dabei das große Schweigen in den so aufgeregten Medien, wenn Vertretern der zivilisierten, westlichen Welt ähnlich frevlerisches Verhalten vorzuwerfen wäre.
Schließlich sind es keine Muslime, sondern Plünderer aus den zivilisierten, westlichen Staaten, die in Kambodscha ganze Tempel zersägen und dann in Teilen über Bangkok nach New York, London oder Frankfurt bringen. Die ausgedehnten Tempelanlagen von Angkor Wat stehen zwar unter besonderem Schutz und werden von 400 Polizisten bewacht. Doch Kambodscha ist übersät mit über tausend kleineren Tempeln, die kaum erforscht sind und gnadenlos geplündert werden, seit Minenräumkommandos den Zugang zu den hinduistischen Sakralanlagen sicherer machten.
Mit Hämmern und Meisseln
Von dem kostbaren Mauerwerk des entlegen an der Thaigrenze liegenden Banteay-Chmar-Tempels sind bereits vierzig Prozent verschwunden. Aus den Friesen, die von den Siegen einstiger Angkor-Könige berichten, sind die Gesichter grob herausgeschlagen. Die Räuber haben ganze Teile der Tempelmauern mit ihren unersetzbaren Basreliefs, die historische Epen erzählten, mit Hämmern, Meisseln, Sägen und Bohrern in kleinere, transportierbare Teile geschnitten.
Die kostbare Ware wird in Lastwagen der kambodschanischen Armee an die Grenze zu Thailand transportiert, wo die Händler schon warten, um die Stücke weiter nach London, Paris, New York oder auch nur in die Antiquitätengeschäfte von Bangkoks River City zu verfrachten. Bangkoks Touristenzentrum ist bekannt als Umschlagplatz für Schmuggelware jeder Art, Heroin oder Jade aus Burma, Rubine aus der einstigen Rote-Khmer-Hochburg Pailin und Antiquitäten aus Kambodscha.
Die einschlägigen Boutiquen in Bangkoks Fünf-Sterne-Hotels schließen regelmäßig, wenn Staatsbesuch aus Phnom Penh im Lande weilt, um mögliche Entdeckungen zu vermeiden. Nur gelegentlich finden die Behörden wenigstens eine Spur. Vor einigen Jahren verschwand eine Khmer-Statue aus Angkor Wats Baphuon-Periode. Ermittlungen in Bangkoks Antiquitätengalerie „Panya Antiques“ erbrachten, dass das wertvolle Stück kurz zuvor für 350 000 Baht (damals rund 9000 Dollar) an einen deutschen Sammler gegangen war, der es problemlos aus Thailand aus- und in Frankfurt einführen konnte.
Der Raub von Pretiosen hat im Westen eine lange Tradition
Beteiligt an diesen Raubzügen durch Indien, Lateinamerika und Afrika sind alle: Museen wie das British Museum, das Cleveland Museum, das Metropolitan Museum, das J. Paul Getty Museum oder Harvards Arthur M. Sackler Museum, Auktionshäuser wie Sotheby’s oder Christie’s und reiche Privatsammler. Deutschland hat sich jahrelang geweigert, die 1970 von der UNESCO erarbeitete Konvention, die den Handel mit Gegenständen untersagt, die von den Ursprungsländern als kulturelles Eigentum angesehen werden, zu ratifizieren, weshalb es lange Zeit als Dreh- und Angelpunkt des illegalen Handels mit antiken Kunstschätzen galt.
Der Raub solcher Pretiosen hat eine lange Tradition in den westlichen Ländern. Sobald sich Europäer weiter auf See hinaus wagten, um ihre Kolonialreiche aufzubauen, zogen sie plündernd und sengend durch ihre neuen exotischen Besitzungen. Als britische und französische Verbände 1860 während des Zweiten Opiumkrieges Peking besetzten, plünderten und brannten sie den kaiserlichen Sommerpalast schliesslich ab.
Als die französischen Truppen wieder abzogen, führten sie 300 Waggons in ihrem Tross, bis zum Rand gefüllt mit Bronzestatuen, Jadefiguren, lackierten Möbeln, Kaligraphien, Tuschemalereien, glasiertem Porzellan. General Charles George Gordon, bekannter unter seinem Spitznamen „Chinese Gordon“, schrieb seiner Mutter nach England, „alle sind ganz wild aufs Plündern“ gewesen. Der Oberbefehlshaber der Operation, Lord Elgin, dessen Vater bereits die Metopenfriese des Parthenon (die Elgin Marbles) nach London hatte verfrachten lassen, wurde nach seiner Rückkehr in London als Held gefeiert und zum Earl befördert. Victor Hugo war der einzige, der das Vorgehen kritisierte und die Helden als „Banditen“ beschimpfte. Heute wird kultureller Vandalismus als Elginismus bezeichnet.
Der Ober-Pfadfinder als Räuber
Nachdem britische Truppen „Tippu Sultan, den anti-britischen Herrscher von Mysore“, wie ihn die Encyclopaedia Britannica heute noch beschreibt, 1799 geschlagen hatten, übernahmen sie das indische Wort „loot“ für plündern nicht nur in den englischen Wortschatz, sondern wandten es auch sogleich ausgiebig an. Die Soldaten stopften sich die Taschen voll mit Diamanten, Perlencolliers, Ringen – so berichteten Augenzeugen – und hinterließen eine Spur der Zerstörung. Die schönsten Stücke, ein großer goldener Tigerkopf mit einer beweglichen Zunge und Kristallzähnen sowie ein goldener Paradiesvogel, stehen seither in Windsor Castle. Der legendäre Koh-i-noor-Diamant, den die Mogulkaiser am Ärmel getragen hatten, schmückt heute die Krone der englischen Queen.
Bevor er als Gründer der Pfadfinderbewegung jeden Tag eine gute Tat vollbringen musste, raubte Baden-Powell nach dem erfolgreichen Abschluss der zweiten Expedition ins Reich der Ashanti im heutigen Ghana König Prempehs Gold und Juwelen. Der Deutsche Ludwig Borchardt, der die Pyramiden von Abu Sir ausgrub und die Büste der Nofretete fand, brüstete sich, 15 000 antike Stücke aus Ägypten nach Berlin gebracht zu haben, wo sie heute auf der Museumsinsel als Weltkulturerbe gefeiert werden.
In allen Kriegen und auf jedem Feldzug wird seit alters her geplündert. Die deutschen sowie die japanischen Armeen im Zweiten Weltkrieg erwiesen sich als besonders gierig und schafften ganze Schiffs- und Zugladungen voller Kunstwerke aus den besetzten Gebieten nach Japan und ins Deutsche Reich, wo sie die Paläste Kaiser Hirohitos, Hitlers Berghof, Görings Carinhall oder zahlreiche Museen schmückten.
"Europäisch aussehende Männer" plündern Bagdad
Nach dem Krieg zwischen Georgien und Abchasien 1992 verlor die abtrünnige Provinz gleich ihre ganze Geschichte. Zuerst plünderten georgische Soldaten das Nationalmuseum in Suchum und stahlen sogar die vergoldeten und versilberten Kopien antiker Gefäße, deren Originale ohnehin schon im Museum in Tibilissi stehen. Danach öffneten vier Mitglieder der georgischen Nationalgarde gewaltsam die Türen der Staatsarchive und warfen Brandbomben in die Räume. Die Bücher und Dokumente, die Abchasiens Vergangenheit belegten, wurden zu Asche.
Nachdem 2003 die „Koalition der Willigen“ Bagdad eingenommen hatte, leerten einheimische Plünderer, schatzsuchende Soldaten und Altertumsexperten, die zum Tross der Invasionsarmeen gehörten, unbehindert die Museen der Stadt. Im Nationalmuseum tummelten sich gut gekleidete „europäisch aussehende“ Männer, die mit Walkie-talkies oder mobilen Handtelefonen Anweisungen gaben, welche Stücke sie wünschten.
Auf diese Weise verschwanden die unersetzbare über 4000 Jahre alte Bassekti-Statue, ein sumerischer marmorner Frauenkopf aus Warka, eine lebensgroße Statue König Entemenas von Ur, ein Elfenbeinrelief des assyrischen Gottes Aschur sowie Büsten Apollos, Poseidons, Nikes und Eros‘. Drei Tage lang wurde Bagdad geplündert; die Nationalbibliothek, das Nationalarchiv sowie die Koranbibliothek gingen in Flammen auf, in denen beinahe die gesamten Bestände, zwölf Millionen Bände, verbrannten.
Die UNO lehnt eine Untersuchung ab
Seit Beginn der Kriege in Afghanistan und Irak wird die Türkei zunehmend von Schmugglern auch als Transitland benutzt. Nach Angaben des türkischen Büros zur Bekämpfung von Schmuggel und organisiertem Verbrechen beschlagnahmten die Sicherheitsbehörden 2003 noch 3255 historische Kunstgegenstände sowohl aus der Türkei als auch aus Irak, Iran und Afghanistan, die ins westliche Ausland verschifft werden sollten. 2007 war diese Zahl auf 17 936 angestiegen. 2008 nahmen die Fahnder 4077 Verdächtige in 1576 Operationen fest und beschlagnahmten 42 073 antike Kunstobjekte. „Hunderttausende Schrifttafeln, Münzen, Zylindersiegel, Statuen, Terrakotta-, Bronze- und andere Objekte“, so berichtete Elizabeth Stone von der New Yorker Universität in Stony Brook in „The New York Review of Books“, verschwanden in Lagerhallen in Damaskus und Dubai oder in japanischen und amerikanischen Wohnzimmern.
Schon während der Kriegshandlungen hatten Bomben erhebliche Schäden im Ausgrabungsgelände von Ur angerichtet, auf der Ausgrabungsstätte von Tell al-Lahm hatten US-Truppen einen Stützpunkt eingerichtet und mit schwerem Baugerät den Sand durchwühlt, in dem früher Archäologen mit Löffeln und Pinseln nach antiken Siegeln, Lehmtafeln, Vasen oder Statuen suchten. Bis heute ist kaum abzuschätzen, wie groß die Schäden infolge des Krieges sind. Die Forderung der UNESCO, eine systematische Studie über die Auswirkungen des Krieges auf die antiken Fundstätten durchzuführen, lehnte der UN-Sicherheitsrat ab.
Sieger kommen nicht vor Gericht.