Das Buch erschien im Jahre 1966 als Vorabruck in der „Neuen Zürcher Zeitung“, und ich erinnere mich genau, mit welcher Spannung ich jeweils die nächste Folge erwartete.
Der Titel von Zuckmayers Lebensbericht entstammt der zweiten Strophe des bekannten Liedes „Ich hatt’ einen Kameraden“. Der Autor verwendet ihn auch als Kapitelüberschrift dort, wo von seiner Zeit als Frontsoldat im Ersten Weltkrieg die Rede ist und er seiner gefallenen Kameraden gedenkt. Überhaupt ist diese Autobiographie ein Buch des Gedenkens: Der Schriftsteller erinnert sich an Mitmenschen, die ihm in seinem langen, bewegten Leben begegnet sind und mit denen er sich freundschaftlich verbunden fühlte.
Carl Zuckmayer, 1896 in Nackenheim bei Mainz geboren, stammt aus einer Weingegend, und auch in seiner Autobiographie wird viel und oft getrunken. Sein Vater, pflichtbewusst und fortschrittsgläubig, ein Bewunderer Bismarcks, hätte sich für seinen Sohn eine gutbürgerliche Karriere gewünscht; doch dieser entwickelte an Volksschule und Gymnasium geringen Leistungswillen und fühlte sich zur Literatur und den schönen Künsten hingezogen. Doch dann kam der Erste Weltkrieg: Im Jahre 1914 meldete sich Carl Zuckmayer als Kriegsfreiwilliger.
Politisierung, Radikalisierung
In den meisten Lebensberichten, die wir aus dieser Zeit besitzen, wird die Kriegsbegeisterung geschildert, die in Deutschland vor allem junge Menschen erfasste. Man sah im Krieg ein schicksalhaftes Ereignis, das die Möglichkeit bot, aus den erstarrten Strukturen der wilhelminischen Gesellschaft auszubrechen. Dass der Krieg über Jahre andauern und neue Formen der Vernichtung entwickeln würde, ahnte niemand. Auch Zuckmayer entzog sich diesem kollektiven Rauschzustand nicht. „In dieser inneren Befreiung der ganzen Nation von ihren abgelebten Konventionen“, schreibt er, „in diesem Aufbruch ins Ungewisse, ins ungeheure Wagnis, ganz gleich wen es verschlinge, sahen wir den Sinn des Krieges.“
Fast während des ganzen Krieges stand Zuckmayer im Einsatz an der Westfront. Seine Autobiografie gibt einen sachlichen Bericht vom Kriegsverlauf, gestützt auf Briefe und erste literarische Texte, die der Autor damals verfasste. Er überlebte eine schwere Verwundung und wurde für seine Tapferkeit vor dem Feinde ausgezeichnet. Die Illusionen, mit denen er ins Feld zog, verflogen rasch, doch die Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Neubeginn blieb. „Wir waren vom Krieg geprägt und gezeichnet“, schreibt Zuckmayer, „aber wir fühlten uns vom Krieg nicht zerstört. Wer hatten ihn überlebt und überwunden, wir hatten unsere heile Haut heimgebracht, jetzt wollten wir vorwärts, in ein anderes Stadion, wo es galt, neue kühnere Kämpfe zu wagen.“ Wie bei anderen Kriegsteilnehmern führte das Kriegserlebnis bei Zuckmayer zu einer Politisierung und Radikalisierung des Denkens. Während der expressionistische Schriftsteller Ernst Toller, ebenfalls Verfasser einer Autobiografie, zum revolutionären Pazifisten und zu einem der Führer der „Münchener Räterepublik“ wurde, engagierte sich Zuckmayer politisch auf Seiten der SPD. Er studierte ohne rechtes Interesse in Frankfurt und Heidelberg Jurisprudenz und Geisteswissenschaften, schrieb aber vor allem für linke Zeitschriften und nahm an politischen Kundgebungen teil. Er sah sich weniger als Parteipolitiker, hoffte aber als Schriftsteller und Verfasser von Theaterstücken zur politischen Erneuerung beitragen zu können. Zuckmayers Freund und Vorbild war der sozialistische Politiker Carlo Mierendorff, dem die Autobiografie ein schönes Porträt widmet. Mierendorff vertrat einen gemässigten Sozialismus und wandte sich früh und mit aller Entschiedenheit gegen den aufkommenden Nationalsozialismus. Durch ihn wurde Zuckmayer mit Persönlichkeiten bekannt, die sich 1944 am Hitler-Attentat beteiligen sollten.
Die zwanziger Jahre verbrachte Zuckmayer vor allem in Berlin, das nach den bürgerkriegsähnlichen Zuständen der unmittelbaren Nachkriegszeit einen bespiellosen kulturellen Aufschwung erlebte. Die Schilderung, die „Als wär’s ein Stück von mir“ vom Berlin der Weimarer Republik gibt, gehört zu den anschaulichsten, die wir aus der autobiografischen Literatur jener Zeit besitzen. Obwohl knapp bei Kasse und als Bühnenautor vorerst erfolglos, stürzte sich Zuckmayer mit einem Gefühl der inneren Befreiung ins kulturelle Leben der Stadt. Der Aufstieg war schwierig. Der ambitionierte junge Mann arbeitete als „Schlepper“ in Nachtlokalen und bewegte sich in der Halbwelt der Ganoven und Prostituierten, wie wir sie aus den Darstellungen von Otto Dix und George Grosz kennen. Als erfolgreicher Theaterautor kam er mit zahlreichen prominenten Persönlichkeiten von Theater, Film und Cabaret in Kontakt, die dem Leser in meisterhaft gezeichneten literarischen Porträtskizzen vorgestellt werden. Hervorgehoben seien hier die Porträts von Gerhart Hauptmann, Bert Brecht, Walter Mehring, Ödön von Horvath, Bert Brecht oder Stefan Zweig. Merkwürdig übrigens, welches Spiel die Zeit mit dem Ansehen dieser Schriftsteller getrieben hat: Hauptmann ist heute eine ferngerückte Autorität, kaum mehr aufgeführt, kaum mehr gelesen. Bert Brecht, in den sechziger Jahren die Leitfigur der Intellektuellen, ist aus der Mode gekommen. Der Kabarettist Mehring ist, obwohl er die letzten Lebensjahre in der Schweiz verbrachte, ziemlich vergessen. Ödön von Horvath, der früh verstorbene Freund Zuckmayers, würde wohl staunen, wenn er sähe, wie oft und auf welche Weise er heutzutage inszeniert wird. Und Stefan Zweig, von den Germanisten und Historikern gleichermassen kritisch beurteilt, wird weltweit unverdrossen und mit Begeisterung gelesen.
Hohles Pathos der NS-Volkstumspropaganda
„Die Stadt“, schreibt Zuckmayer am Anfang seines Kapitels über das Berlin der zwanziger Jahre, „frass Talente und menschliche Energien mit beispiellosem Heisshunger, um sie ebenso rasch zu verdauen, kleinzumahlen und wieder auszuspucken.“ Dass der Autor einem solchen Schicksal entging, verdankte er seinem Lustspiel „Der fröhliche Weinberg“, das im Jahre 1925 im „Theater am „Schiffbauerdamm“ aufgeführt wurde. Das Stück wurde zum Grosserfolg, zuerst in Berlin, dann überall auf dem Land. Es spielt unter Weinbauern, Schiffsleuten und Kleinbürgern, in einer dörflichen Welt, die dem Verfasser seit seiner Kindheit vertraut war. In derber, dialektal eingefärbter Prosa verfasst, entlarvte der „Fröhliche Weinberg“ das hohle Pathos der nationalsozialistischen Volkstumspropaganda und gab sie der Lächerlichkeit preis. Zuckmayer hatte ein Volksstück geschrieben, das mit jedem Satz das Blut-und-Boden-Geschwätz der Nazis Lügen strafte. Das vergass Goebbels dem Autor nie.
Auch mit einem weiteren, wiederum sehr erfolgreichen Lustspiel, dem „Hauptmann von Köpenick“, erregte Zuckmayer 1931 die Wut der Nationalsozialisten. Hier war es die Kritik am preussischen Militarismus welche die Nazis als Angriff auf die deutsche Ehre empfanden. Das verhinderte nicht, dass das Stück bis zur Machtergreifung Hitlers an Bühnen in ganz Deutschland gespielt wurde. Der Autor aber fühlte sich seines Lebens in Berlin nicht mehr sicher und liess sich mit seiner Frau und deren Kind aus erster Ehe in Henndorf bei Salzburg nieder. Dort hatte er sich aus den Einkünften aus dem „Fröhlichen Weinberg“ ein Ferienhaus gekauft, und dort hoffte er, das Ende des Hitler-Regimes abwarten zu können. Aber es kam ganz anders. Im März 1938 marschierten Verbände der deutschen Wehrmacht in Österreich ein und wurden von der Bevölkerung begeistert begrüsst. Nun blieb nur die Emigration. Mit viel Glück gelang Zuckmayer die Ausreise in die Schweiz. Seine Autobiografie berichtet anschaulich von der Fahrt im mit Emigranten überfüllten Zug, von den Kontrollen durch Polizei- und Zollbeamte. Und vom Empfang in der Schweiz: „Ich werde nicht vergessen“, schreibt Zuckmayer, „wie ich in Zürich bei meiner ersten Anmeldung als politischer Flüchtling, dem die Schweiz ja traditionsgemäss Asylrecht gewährt, in biederer Mundart angeschnauzt und behandelt wurde, als sei ich ein potentieller Betrüger, Schwindler, Scheckfälscher oder womöglich gar ein Kommunist.“
Im Juni 1939 verliessen Zuckmayer, seine Frau, die Tochter und der Hund Mucki an Bord eines holländischen Dampfers Europa mit Kurs auf New York. Den Aufenthalt in den USA ermöglichte die einflussreiche Journalistin Dorothy Thompson, die Zuckmayer 1925 in Berlin kennengelernt hatte. Doch die materielle Lage der Familie war katastrophal, und in Hollywood, wo sich der Schriftsteller als Verfasser von Drehbüchern kümmerlich hätte durchbringen können, fühlte er sich fremd. So entschloss er sich – ein seltener Fall in der abenteuerlichen Vielfalt von Emigrantenschicksalen – Farmer zu werden. Im Jahre 1941 liess er sich in Barnard, Vermont nieder, im selben Bundesstaat, der über zwanzig Jahre später dem russischen Schriftsteller Alexander Solschenizyn ebenfalls Asyl gewähren sollte; man kann sich vorstellen, dass sich die beiden, wären sie einander begegnet, gut verstanden hätten. Seinem Leben als Farmer widmet Zuckmayer gegen Ende seiner Autobiografie eine kurze Darstellung; wer mehr darüber wissen will, kann das im schönen Buch nachlesen, das seine Frau Alice Herdan-Zuckmayer unter dem Titel „Die Farm in den grünen Bergen“ verfasst hat. Während seines Aufenthalts in den USA berichtete Zuckmayer im Auftrag des „Office of Strategic Services“ über das Verhalten deutscher Kulturschaffender zum Nationalsozialismus; sein Bericht ist unter dem Titel „Geheimreport“ 2002 in einer sorgfältig edierten Ausgabe erschienen.
Weimar, Laboratorium der kulturellen Moderne
Im Jahre 1946 kehrte Carl Zuckmayer, der das amerikanische Bürgerrecht erworben hatte, im Auftrag des Pentagon nach Europa zurück, um sich über die kulturelle Situation im Nachkriegsdeutschland zu unterrichten. Zur gleichen Zeit wurde im Zürcher Schauspielhaus sein Stück „Des Teufels General“ uraufgeführt. Im Jahre 1958 erwarb der Schriftsteller in Saas-Fee im Wallis in Haus, in einer Gebirgslandschaft, die er schon früher kennen und lieben gelernt hatte. Hier verstarb er 1977, zehn Jahre, nachdem seine Lebenserinnerungen erschienen waren. Am Schluss seines Buches zitiert Zuckmayer aus dem Dokument, das ihm zur Verleihung des Bürgerrechts von Saas-Fee übergeben wurde: „‚Ewige Rechte und ewige Freundschaft soll man bestätigen und befestigen mit Schrift, weil im Laufe der Zeit vergangener und vergänglicher Dinge bald vergessen wird.‘ In diesem Satz“, schreibt Zuckmayer am Schluss seines Buches, „liegt der Sinn meiner Erzählung.“
Als historische Quelle ist vor allem Zuckmayers Beschreibung des kulturellen Lebens in der Weimarer Republik interessant. Das Berlin der zwanziger Jahre war ein eigentliches Laboratorium der kulturellen Moderne, in dem die verschiedensten Denkweisen und Stilrichtungen erprobt und gegeneinander ausgespielt wurden: Nationalismus und Sozialismus, Geschichtspessimismus und Fortschrittseuphorie, Expressionismus und Neue Sachlichkeit, Kubismus und Dadaismus. In der Metropole wurden begeistert neue Einflüsse aufgenommen: der amerikanische Jazz, die schwarzafrikanische Kunst, der russische Film und das russische Ballett. Allen diesen Zeittendenzen gemeinsam war ihr radikaler Geltungsanspruch und ihr antibürgerlicher Affekt. Zuckmayers gelingt es, die bunte und faszinierende Vielfalt dieser Kultur lebendig werden zu lassen. Zugleich aber macht seine Schilderung deutlich, wie wenig diese Kultur dem aufkommenden Nationalsozialismus entgegenzusetzen hatte. „Too little and too late“, schreibt er, „sagte man in Amerika zu Beginn des Zweiten Weltkriegs über die Anstrengungen der Westmächte, Hitlers Machtgier zu dämmen. Zu wenig und zu spät, so scheint mir, war auch das, was wir, die deutschen Intellektuellen dieser Zeit, versucht haben.“
Zuckmayers Autobiografie ist in einer angenehmen, menschenfreundlichen Prosa verfasst. Hier erzählt ein alter Mann, der mit sich selbst und der Welt ins Reine gekommen ist, die von leiser Melancholie überschattete Geschichte seines gefährdeten Lebens. Die Schrecken von Krieg und Diktatur sind in seiner Erzählung allgegenwärtig; aber sie vermögen nicht die lichten Momente der Erinnerung auszulöschen: die glückliche Kindheit in der rheinhessischen Heimat, die Faszination des jungen Mannes durch den pulsierenden urbanen Kulturbetrieb, die Begegnung mit Menschen, denen sich der Schriftsteller angesichts der wachsenden Bedrohung durch das Dritte Reich umso tiefer verbunden fühlte. Zuckmayers Lebensbericht ist frei von Ressentiments und selbstgerechter Verurteilung; auch wendet er sich mit Entschiedenheit gegen die damals unter den Amerikanern verbreitete Idee der Kollektivschuld und die Projekte einer „Umerziehung des deutschen Volkes“.
Heimatlos
Als der Autor nach Kriegsende im Auftrag der USA und als amerikanischer Staatsbürger ins zerstörte Berlin zurückkehrte, spürte er, dass ihm seine Heimat fremd geworden war. „Ich gehörte nicht zu den Siegermächten“, schreibt er, „aber auch nicht zu den Besiegten. Jetzt, nach der Wiederkehr, war ich erst wirklich heimatlos geworden und wusste nicht, wie ich je wieder Heimat finden sollte.“ In Deutschland war es Zuckmayer vergönnt, seine betagten Eltern, die Bombardierung und Umsiedlung überlebt hatten, wiederzusehen. „In dieser Zeit“, schreibt er, „erfuhr ich zweierlei Glück: Das eine: helfen zu können, Not zu lindern. Das andere – vielleicht das grösste und gnadenvollste, das mir in meinem ganzen Leben beschieden war: nicht hassen zu müssen.“
Zuckmayers Autobiografie erschien zuerst, wie eingangs erwähnt, in der „Neuen Zürcher Zeitung“. „Das Buch ist ein Meisterwerk“, schrieb der damalige Feuilletonredaktor Werner Weber dem Verfasser, „ich kann Ihnen sagen, dass in den zwanzig Jahren, die ich hier an meinem Posten bin, kein anderer Abdruck im Romanfeuilleton einen ebenso starken, aus allen Kreisen spürbaren Erfolg hatte.“ Worauf Zuckmayer antwortete: „Noch immer hageln die Zuschriften der NZZ-Leser täglich auf mich ein, die erklären, an dem Ganzen hätte ihnen nur das Wort ‚Ende’ missfallen. Auch haben mir einige Damen (vermutlich ältere) Päckchen von Lindt-Sprüngli zugehen lassen ...“
„Als wär’s ein Stück von mir“ wird heute kaum mehr gelesen. Das spricht nicht unbedingt gegen das Buch, sondern eher gegen die Zeit, in der wir leben.