Früher hätten die Medien von Bhagwat kaum Notiz davon genommen, doch heute ist der RSS die mächtigste nichtstaatliche Organisation des Landes.
Kein indisches Wort
„Lynching" sei ein Wort, das im indischen Wörterbuch nicht vorkomme, sagte Bhagwat. Deshalb träfen die Vorwürfe an die Adresse von Hindutva-Sturmtrupps nicht zu. Für einmal schwiegen selbst deren digitalen Schreihälse, und die liberalen Kritiker hatten die Oberhand. Haben wir richtig gehört, so ihr Tenor. Einfach weil für einen kriminellen Akt besonderer Art – kollektive Selbstjustiz – nur ein Lehnwort aus den USA vorliegt, soll der Tatbestand in Indien gar nicht möglich sein?
Nicht die politisch motivierte Weisswaschung soll hier erkundet werden, sondern die ihr zugrundeliegende Sprachauffassung: Ein Wort oder Name ist nicht nur ein beliebiges Laut- und Schriftzeichen für einen Sachverhalt. Das Zeichen ist Teil der Essenz des Gemeinten.
Rassistische Sprachtheorie
Dies gilt heute in besonderem Mass für die Begriffe „Hindu“ und „Hindustan“, den zentralen „Reizlauten“ der Hindutva-Ideologie, die nun das gesellschaftliche Leitbild werden soll. Dessen Grundwerk heisst auch so („Hindutva“,1923). Der Autor V. D.Savarkar versucht darin den Beweis zu führen, dass das Wort „Hindu“ nicht von historischen Nachbarn geprägt wurde, in Anlehnung an den Namen des Grenzflusses „Sindhu“, dem heutigen Indus, und schon gar nicht von den verhassten islamischen Eroberern. Vielmehr ist der Name „Hindustan“ quasi in die Erde gebrannt, und das „Hindustani“ gehört zu dessen Bewohnern wie ein eigener Körperteil.
Es ist dies die altbekannte rassistische Sprachtheorie, die auch im Deutschland der Nazis herumgeisterte, als Teil des Arier-Kults und der Festlegung des Indo-Germanischen als essentieller, quasi genetischer Grenze zu den „semitischen“ Sprachen. Der sichtbare Ausdruck dieses unterschwelligen Axioms – einer organisch-biologischen-rassischen Sprachverwandtschaft – ist der Kampf um geografische Bezeichnungen.
Dies ist in gewissem Mass auch verständlich, sind diese doch die sprachlichen Merkstäbe für die räumliche und historische Orientierung eines Individuums. Nicht nur indische Nationalisten kämpfen für solche „Urlaute“ oder halten daran fest. Auch die britische Kolonialmacht überzog das Land mit englischen Namen, um ihren Besitzanspruch symbolisch aufzuwerten, genauso wie es islamische Eroberer getan hatten. McLeodganj war so ein Name, Daltonganj, Abbotabad, Connaught Circle usw.
Problem der Ortsnamen
Die erste Generation freier indischer Bürger fand sich mit diesen historischen Ortsnamen ab. Dafür war auch Mahatma Gandhi verantwortlich, dank dem die meisten Inder den Kolonialherrn beinahe als Freund abziehen liessen. Erst in den Generationen danach – just bei jenen, die das Kolonialjoch nicht mehr am eigenen Leib gespürt hatten – kamen Forderungen auf, alte Namen durch einheimische, „authentische“ zu ersetzen.
Die eigentlichen Zielscheiben sind heute mehr denn je die Ortsnamen, die an die muslimische Herrschaft erinnern – Aurangzeb Road, Akbar Place, Allahabad, Ahmedabad. Bewohner von Premierminister Modis Machtzentrum Ahmedabad notieren auf ihren Visitenkarten „Karnavati" als Wohnadresse. Und „Allahabad" heisst nun „Prayagraj“, und ihr Gründer war niemand anders als Gott Brahma selber.
Die Bewegung hatte zaghaft begonnen. Die ersten Neubenennungen waren eigentlich nur bessere Transkriptionen desselben Namens, wie „Varanasi“ für Benares, oder „Thiruvanantapuram“ für „Trivandrum“ „Kolkata“ für „Kalkutta“.
Mum- oder Bom-bay?
„Chennai“ war dann schon ein Bruch mit der Geschichte, denn „Madras“ hatte, trotz seiner britischen Patenschaft, die besseren lokalen Wurzeln. Doch es galt die ironische Formel des Politikers und Schriftstellers Shashi Tharoor: „Schlechte Geschichtskenntnisse, gleich noch schlechtere Lexikografie, gleich gute Politik“.
1996 war Bombay an der Reihe. Auch hier ging es nicht mehr um phonetische Varianten (Mum- oder Bom-bay?) sondern um die Frage, welche Geschichte wichtiger war – die koloniale mit Bombay oder die lokale mit Mumbai. „Bombay“ gehe auf die Zeit zurück, als es von den Portugiesen gegründet wurde. Sie hatten einen „Guten Hafen“ vorgefunden, und so nannten sie ihn: Bom Bahia.
Nein, befand die Gegenseite. Der Name gehe auf die lokale Fischerkaste der Kolis zurück, die Ureinwohner der Inseln. Sie seien die Verehrer einer lokalen Muttergöttin namens „Mumbadevi“ gewesen. Zudem beschränke sich der Gebrauch von „Bombay“ heute auf die englischsprachige Elite; das Volk rede nur von „Mumbai“.
Ich schlug mich auf die Seite der anglophonen Elite; nicht aus Klassendünkel allerdings, sondern weil die frühesten Karten alle von „Bombay“ (oder „Bombahim“) sprachen. Warum die sprachliche Assoziation zur historischen Herkunft nicht beibehalten? Alles andere wäre Geschichtsklitterung.
Geiselnahme historischer Ausdrücke
Dazu kam meine heftige Abneigung gegen die Geiselnahme historischer Ausdrücke durch Politiker. Sie wollten mit „nativistischen“ Namen quasi einen Familienbaum errichten, dessen Wurzeln tief in die Geschichte – und in den Boden – hineingewachsen sind.
Zudem rümpfte ich die Nase beim Gedanken, was die anglophone Globalisierung mit „Mumbai“ (ausgesprochen mit einem „u“ wie „Unsinn“) nun macht: Sie artikuliert es englisch und redet von „Mömbai“, mit all den möglichen Alliterationen von „Mom“ wie Mutter bis zu „Slum“ wie Slumbay.
Erste Zweifel kamen mir, als ich vor kurzem die Abbildung einer Karte von Bombay sah, die von 1645 stammte und damit noch älter als die bisherigen war. Die sieben Inseln, die später zu „Bombay“ zusammenwuchsen, waren damals noch in portugiesischem Besitz. Und dort steht nicht Bombahim, sondern „Mombaim“.
Nostalgie
Ist es am Ende nicht Haarspalterei, auf ein paar Lauten – B oder M? O oder U? – eine politische Haltung aufzubauen und störrisch an „Bombay“ festzuhalten, trotz dem allmählichen Verschwinden seines Gebrauchs? Schlimmer noch: Verriet mein nostalgisches Festhalten nicht eben jene magische Aufladung eines Wortzeichens, die ich den „nativistischen“ Politikern vorhielt? Auch ich investierte allerhand Emotionen – Ressentiments, Nostalgie, Sturheit – in diese zwei Laute B-O!
So entschliesse ich mich nun (zusätzlich angestupft vom Cheflektor des Journals) zum Rückzug und ergebe mich stumm und dumm dem Namen Mumbai. Lieber Assoziationen mit „Mummy“ als mit „Bomben“, tröste ich mich. Letztere braucht niemand in dieser Stadt, sei es ein Verehrer von „Mumbadevi“ oder „Bombay Masala“, ein „Mumbaikar“ oder ein „Bombaywallah“. Und ich lächle grimmig, wenn ich sehe, dass zwei der wichtigsten Institutionen der Stadt – die Gemeindeverwaltung und die Börse – immer noch „Bombay Municipal Corporation“ und „Bombay Stock Exchange“ heissen.