Die Zuwanderung der letzten 60 Jahre ist Bestandteil des Erfolgs der Schweiz. Unser Land befindet sich heute in erstaunlich guter Verfassung. Nicht allein für mühsame, schlecht bezahlte Arbeit kamen und kommen Ausländer in die Schweiz: Heute sind viele Einwanderer hochqualifiziert. Im Rahmen des 2002 in Kraft getretenen Personen-Freizügigkeitsabkommen mit der Europäischen Union (EU) hat die Zuwanderung wieder zugenommen: Die Wirtschaft ist gewachsen. Wenn man bedenkt, dass heute 22% der Einwohner unseres Landes keinen Schweizer Pass haben, ist es beachtlich, wie friedlich Menschen aus über hundert Ländern, verschiedenster Kulturen und Religionen zusammenleben. Natürlich gibt es Konflikte, aber sie sind begrenzt, und die Schweizerinnen und Schweizer sind dank der vier verschiedenen Landessprachen und Kulturen gewohnt, mit Andern konfrontiert zu sein. Ein Mangel besteht jedoch darin, dass 22% der Einwohner von den demokratischen Rechten ausgeschlossen sind; nur in ganz wenigen Kantonen, in einer bescheidenen Anzahl Gemeinden dürfen die Zugewanderten abstimmen.
SVP-Initiative ist zerstörerisch
Gäbe es nicht jene Leute und jene Partei, welche die Angst vor den Ausländern schüren, welche Vergehen und Verbrechen aufbauschen, sofern es von Zugewanderten verübt werden, hätten wir beinahe idyllische Zustände. Wer aber Verbrechen, welche von Männern verübt werden, die aus einer „gewaltbereiten“ Gesellschaft stammen, dazu benützt, ganze Volksgruppen auszugrenzen, erzeugt Misstrauen, Feindschaft und neue Gewalt. Das Inserat „Kosovaren schlitzen Schweizer auf“ ist dafür ein treffendes Beispiel. Im Vorfeld der Nationalratswahlen hat die Schweizerische Volkspartei (SVP) erneut eine Volksinitiative lanciert, diesmal „Gegen die Masseneinwanderung“, die es jedoch gar nicht gibt. Zwar haben wir eine stetige Zuwanderung, die Rosskur der SVP-Initiative, welche die bilateralen Verträge ausser Kraft zu setzen droht, hätte schwerwiegende Folgen für unser Land. Dennoch bin ich der Meinung, das an sich vorteilhafte Freizügigkeitsabkommen sei durch eine Ausnahmeklausel zu ergänzen. Die andern Parteien sollten sich nicht damit zufrieden geben, stets nur die Vorteile herauszustreichen.
Heute kann der Bundesrat nur noch die Zuwanderung aus den Nicht-EU-Ländern begrenzen. Der grösste Teil der Zuzüger kommt jedoch aus den EU-Staaten, und da sind dem Bundesrat die Hände gebunden. EU-Bürger, die eine Arbeit finden, haben das Recht, hier zu arbeiten und zu leben. Einzig wenn die Zahl der Aufenthaltsbewilligungen an Erwerbstätige aus EU-Staaten in einem Jahr um mindestens 10% über dem Durchschnitt der vorangegangenen Jahre liegt, darf die Schweiz die sogenannte Ventilklausel anwenden und Kontingente einführen. Das wäre nach Angaben aus Bern in den Jahren 2008 und 2009 möglich gewesen, doch der Bundesrat verzichtete darauf. Seither sind die Voraussetzungen, die Ventilklausel anzuwenden, nicht mehr erfüllt worden, und ab dem Jahr 2015 fällt sie ohnehin endgültig dahin.
EU sollte besondere Situation anerkennen
Die Schweiz müsste eigentlich die Kompetenz haben, unter bestimmten Voraussetzungen über die Einwanderung selbst bestimme zu können, solange sie nicht Mitglied der EU ist. Hiefür gibt es verschiedene Gründe: 1. Als die bilateralen Abkommen ausgehandelt wurden, hatte wohl niemand daran gedacht, dass die Schweiz sich zu einem eigentlichen Magnet für Zuwanderer entwickeln würde. In den zehn Jahren von 2001 bis 2010 betrug die Zunahme der ständigen ausländischen Bevölkerung gemäss Statistik des Bundesamts für Migration 301'328 Personen, also 30'000 pro Jahr. Diese Zahl wäre deutlich höher, wenn sich in letzter Zeit nicht jährlich rund 40'000 Personen hätten einbürgern lassen. 2. Die Schweiz hat mit 22% schon heute den weitaus höchsten Ausländeranteil der europäischen Länder mit Ausnahme der Mini-Staaten Luxemburg und Liechtenstein. Von den Nachbarstaaten haben Österreich (10.3%) und Deutschland (8,8%) den höchsten Einwanderanteil, in den skandinavischen Ländern liegt er um 6%. Da langfristig auch Zuwanderungen in bescheidenem Ausmass ins Gewicht fallen, könnte der Anteil der Einwanderer innert der nächste Jahrzehnte auf 24 oder 25 % ansteigen.
In dieser Situation sollte sich der Bundesrat dazu durchringen, der EU die besondere Situation der Schweiz zu unterbreiten. Die einzelnen Länder müssten verstehen, dass ein Land mit einem hohen Anteil Einwanderer eine weitere starke Zuwanderung im Rahmen der Personenfreizügigkeit auf die Länge kaum verkraften kann, zumal es sich praktisch um eine Einbahnstrasse Richtung Schweiz handelt. Das Ziel wäre, das Abkommen über die Personenfreizügigkeit zu ergänzen. Vorstellbar wäre, dass bei einem bestimmten Anteil Einwanderer, z.B. ab 24%, der Bundesrat die Kompetenz erhielte, erneut eine Ventilklausel einzuführen, um die Einwanderung auch aus der EU vorübergehend zu begrenzen, beispielsweise mittels Kontingenten, wie sie während der Übergangszeit in Kraft waren. Sofern der Anteil der Zuwanderer unter die vereinbarte Schwelle sinkt - beispielsweise infolge einer längeren Wirtschaftsflaute –, würde die Ventilklausel vorübergehend aufgehoben. Dieser Vorschlag bedeutet kein Nein zur Personenfreizügigkeit, sondern vielmehr deren langfristige Sicherung.
Nicht nur fordern, auch geben
Die vorgeschlagene Neuauflage einer Ventilklausel ist nicht als Alternative zu den vom Bundesrat vorgeschlagenen wirksameren flankierenden Massnahmen zu verstehen, welche verhindern sollten, dass Zuwanderer und namentlich Grenzgänger zu tieferen Löhnen angestellt werden und der Missbrauch der Scheinselbständigen andauern oder gar noch anwachsen kann. Es handelt sich auch nicht um eine ausländerfeindliche Massnahme, denn ein unabhängiger Staat muss die Kompetenz haben, in besonderen Situationen die Zuwanderung zu steuern. Im Gegenzug sollte die Schweiz und die Kantone die verschiedenen Steuervorteile für ausländische Unternehmen gegenüber schweizerischer Unternehmen abbauen. Unloyale Konkurrenzvorteile gegenüber andern Staaten sollten in Zukunft nicht mehr ausländische Unternehmen in die Schweiz locken. Es geht im Übrigen darum, eine umweltverträgliche Besiedelung der Schweiz zu fördern, wofür allerdings planerische Weichenstellungen notwendig sind. Dazu scheint der Nationalrat noch nicht bereit zu sein, sonst hätte er in der Herbstsession die Abschöpfung des Mehrwertes infolge einer Einzonung nicht erneut abgelehnt. Eine neue Ventilklausel ist bei andauernder Zuwanderung gut begründbar und würde zudem der aggressiven Volksinitiative der SVP den Wind aus den Segeln nehmen.